berliner szenen
: Wie auf dem Dorfplatz um vier

Eine Freundin holt mich mit zwei Flaschen Bier ab und in unseren dicken Jacken spazieren wir Richtung Kindl-Brauerei, weil sie die noch nicht kennt. Die Straßen Neuköllns sind leer, und obwohl es gerade erst 20 Uhr ist und die Wetter-App minus zwei Grad zeigt, haben wir das Gefühl, auf einem Dorfplatz um vier Uhr nachts bei minus zehn zu stehen.

Lange halten wir das nicht aus. Wir machen uns auf den Weg zu mir, sie besteht darauf, mir beim Kohleschleppen zu helfen, in der Hoffnung, dass es uns danach wärmer wird. Wir nehmen den Ausgang zur Isarstraße und auf der Treppe begegnen wir einer Clique junger Männer, die uns entgegenkommt. Einer von ihnen steckt seine Hand in meine Jackentasche. Ich drehe mich zu ihm um, er lächelt mich an und ich lächle zurück, so überrascht bin ich. „Was suchst du in meiner Tasche?“, frage ich ihn trotzdem. Er antwortet nicht, aber grinst, ein bisschen wie die Cheshire Cat von „Alice im Wunderland“.

Ich taste nach meiner Tasche und da finde ich mein Telefon. „Ich wusste nicht, wo mein Handy liegt. Er aber schon“, sage ich zu meiner Freundin und wir lachen. Nachdem wir uns mit der Kohle-Arbeit tatsächlich aufgewärmt haben, trinken wir ein Bierchen in der Reuterstraße, das war noch vor dem Alkoholverbot, und unterhalten uns, als sei es eine Sommernacht. Das Bier trinken wir trotzdem schnell.

Ich habe einen Handschuh verloren, merke ich zu Hause. Am nächsten Tag finde ich ihn an der Kellertür und erschrecke. Wie er dahin kam, ist ein Mysterium. Die Freundin wiederum hatte einen Schlüsselbund in ihrer Tasche, der ihr nicht gehört. „Gehört er dir?“, fragt sie. „Nein, natürlich nicht.“ Wir stellen uns vor, dass der Junge mit dem Grinsen ihr den Schlüssel heimlich zusteckte. Jetzt müssen wir entdecken, was wir damit öffnen können. Luciana Ferrando