Polizeikritiker aus den eigenen Reihen: Ein heißes Eisen

Die „Bundes­arbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten“ wurde 1986 gegründet. Für manche waren sie Vorbilder, für andere Schweine.

Vermummte Demonstranten werfen mit Steinen.

Protest vor dem AKW Brokdorf, 1986. Andere Demonstranten waren gar nicht so weit gekommen Foto: Thomas Wattenberg / dpa

HAMBURG taz | Dass auch im Polizeiapparat Menschen arbeiten, die sich eher als Linke verstehen, zeigte viele Jahre lang die „Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten“. Ihre Gründung ging auf die umstrittenen Polizeieinsätze gegen die Brokdorf-Demonstrationen 1986 zurück: Obwohl das Bundesverfassungsgericht ein Grundsatzurteil zur Verteidigung der Versammlungsfreiheit verkündet hatte – den sogenannten „Brokdorf-Beschluss“ –, hatten am 7. Juni starke Polizeieinheiten den sogenannten „Hamburger Konvoi“, der sich mit 12.000 TeilnehmerInnen auf dem Weg zum Atommeiler befand, in den Mittagsstunden bei Kleve in Schleswig-Holstein gestoppt.

Unterstützt von Helikopter-Luftlande-Einheiten des damaligen Bundesgrenzschutzes attackierte die Polizei die TeilnehmerInnen des Konvois und machte die Fahrzeuge durch Zerstechen von Reifen und Zerschlagen von Windschutzscheiben fahruntüchtig. Der Hamburger Konvoi musste – sofern die Fahrzeuge noch manövrierfähig waren – umkehren, ohne den Ort der Demonstration je erreicht zu haben

Als Reaktion auf diese Vorgänge sowie die Einkesselung von 761 Demonstrantinnen tags drauf auf dem Heilgengeistfeld schlossen sich rund 20 Hamburger BeamtInnen um den Schutzpolizisten Manfred Mahr und dem Sprecher der Hamburger Fachhochschule der Polizei, Thomas Wüppesahl, zum „Hamburger Signal“ zusammen, das den Polizeiapparat unter die Lupe nehmen und Missstände beseitigen wollte. Das „Signal“ verstand sich als Bürgerrechtsbewegung mit dem Ziel, ein „Zeichen gegen Demokratieabbau in unserer Republik zu setzen“.

Bereits ein Jahr später formierte sich 1987 in Bonn die Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten (BAG), zu deren Gründungsmitgliedern neben Mahr und Wüppesahl der Kriminalhauptkommissar Manfred Such aus Soest in Nordrhein-Westfalen gehörten. Angestrebt wurde die Gründung weiterer Landesverbände. So entstand in Nordrhein-Westfalen ein erster regionaler Zusammenschluss, kurz darauf gründete sich im November 1987 in Bayern eine Landesarbeitsgemeinschaft mit 35 Mitgliedern.

Thomas Wüppesahl

Thomas Wüppesahl 2004, dem Jahr seiner Verhaftung Foto: Michael Rauhe / dpa

„Die werden es noch schwerer haben als wir“, war damals die Einschätzung der Hamburger Vorstandssprecher Manfred Mahr und Heiko Dietrich-Schönherr, die von Repressalien und psychischem Druck gegen ihre Mitglieder berichteten. So waren Medienberichte über die Kritischen in Polizeistationen in Hamburg an schwarzen Brettern aufgetaucht, die Namen rot unterstrichen, damit jeder die „Kameradenschweine“ gut erkennen konnte.

Das zweite Arbeitstreffen der BAG im Februar 1988 fand direkt im oberpfälzischen Schwandorf in der Nähe der geplanten Wiederaufbereitungsanlage für Brennelemente in Wackersdorf (Bayern) statt, um die Rolle der Polizei in der Auseinandersetzung um den Ausbau von Großtechnologien kritisch zu beleuchten. Nach Meinung der BAG stellen die Einsätze der Polizei zum Schutz derartiger Anlagen „den Schutz der Privatrechte Einzelner – hier der Betreibergesellschaft – dar“. Die Polizei werde dabei zum „Erfüllungsgehilfen“.

Junge Polizistinnen und Polizisten, so BAG-Sprecher Manfred Mahr, sollten ermutigt werden, sich in Vereinen und Bürgerinitiativen zu engagieren, damit ihnen „das Obrigkeitsdenken gar nicht in die Wiege gelegt wird“. Ein solches Engagement wäre für ihn auch eine Garantie für „rechtsstaatliches Einsatzverhalten“ der Beamten. „Für mich ist die Einkesselung von Menschen unfassbar und menschenunwürdig“, erklärte Mahr. Er wies darauf hin, dass ein Beamter bei der Anordnung zu einer offensichtlichen Straftat oder Ordnungswidrigkeit sogar die Pflicht habe, den Befehl zu verweigern.

Mit bundesweit 200 Mitgliedern stellte sich die BAG Übergriffen bei Demonstrationen und der Aufrüstung der Polizei entgegen und versuchte, durch die Forderung nach einer besseren sozialadäquaten Polizeiausbildung ausländerfeindlichen und rassistischen Tendenzen entgegenzuwirken und die „Wahrung der Menschenrechte durch alle Polizisten zu gewährleisten“. Zudem forderten sie die konsequente Strafverfolgung von Wirtschafts- und Umweltdelikten.

Die BAG erhielt 1988 den Gustav-Heinemann-Bürgerpreis der SPD, die damit das Eintreten „für mehr demokratische Gesinnung und Strukturen in der Polizei“ und „besonders für das Recht und die Pflicht zu Widerspruch und selbstkritischer Prüfung“ würdigte.

Doch zugleich nahmen die befürchteten Repressalien gegen kritische Polizistinnen und Polizisten zu. Als BAG-Gründungsmitglied Manfred Such in der WDR-Talk-Show „Drei vor Mitternacht“ erklärte, er erlebe im Dienst „fast täglich“ rechtswidrige Handlungen von Kollegen, was er in seiner Publikation Bürger statt Bullen weiter ausführte, stellten 66 seiner Kollegen Strafanträge, und die Staatsanwaltschaft Arnsberg erhob im Jahre 1988 Anklage wegen Beleidigung. Das Verfahren wurde schließlich eingestellt. Obwohl viele „kritische“ Gewerkschaftsmitglieder waren, wurden sie von den Polizeigewerkschaften DPolG, GdP und BdK eher als „Nestbeschmutzer“ angesehen.

Ein weiteres heißes Eisen packte die BAG 1989 bei ihrer Jahrestagung in Stuttgart nahe Stammheim an, auf der sie sich mit dem Gesinnungsparagrafen 129a Strafgesetzbuch (Bildung terroristischer Vereinigungen) kritisch auseinandersetzte. Wie andere Bürgerrechtsorganisationen stellten auch die „Kritischen“ fest, dass dieser Paragraf sowie der Paragraf 129 (Bildung krimineller Vereinigungen) zur Verfolgung von Straftaten nicht notwendig seien. In der Praxis des politischen Strafrechts diene insbesondere der Paragraf 129a in erster Linie zu ausgedehnter Ermittlungstätigkeit und Gesinnungsstrafrecht. Immer wieder würden unbeteiligte Bürger erfasst.

Beim Hamburger Polizeiskandal Anfang der 1990er-Jahre spielten die kritischen Polizistinnen und Polizisten des Hamburger Signals eine Schlüsselrolle, waren sie es doch, die manch rassistischen Übergriffe und Polizeigewalt zunächst noch intern und dann auch öffentlich machten. So avancierte der Polizist Uwe Chrobok, der 1993 als erster seinen Ausbildern an der Landespolizeischule von Polizeigewalt gegen vornehmlich schwarze Menschen im Polizeirevier Kirchenallee in Hamburg-St. Georg gegenüber dem Hauptbahnhof berichtete, zum Kronzeugen.

Freiheitsberaubungen und Körperverletzungen

Er hatte gesehen, dass mutmaßliche Drogendealer in den Verwahrzellen mit Tränengas oder Insektenspray zur Desinfektion besprüht worden waren. Vorgesetzte taten sich mit solchen Berichten schwer und wollten sie nur widerwillig zur Kenntnis nehmen, wären sie doch eigentlich gezwungen gewesen, Strafverfahren gegen die Übeltäter in Uniform einzuleiten, um sich nicht der Strafvereitelung im Amt schuldig zu machen.

Lange versuchte daher die Polizeiführung, den Skandal unter der Decke zu halten, dann kam das Ausmaß doch heraus und SPD-Innensenator Werner Hackmann trat „entsetzt“zurück. In über 100 Fällen sollen Verdächtige nachts an die Stadtgrenze gefahren und orientierungslos ausgesetzt worden sein, selbst Scheinhinrichtungen soll es gegeben haben, ungerechtfertigte Freiheitsberaubungen und Körperverletzungen waren offenbar keine Seltenheit. Für die „Kritischen“ war eine logische Konsequenz aus diesen Erfahrungen die Forderung nach einem unabhängigen Polizeibeauftragten mit weitreichenden Befugnissen, an den sich auch Polizisten bei Kenntnis von Straftaten ihrer Kollegen anonym wenden könnten.

Die Reaktion des Polizeiapparates blieb nicht lange aus. Repräsentanten der BAG kritischer Polizistinnen und Polizisten wurden zunehmend mit Repressalien und Zwangsversetzungen überzogen. Dem Hamburger Kripobeamten Thomas Wüppesahl, der vom Dezernat Wirtschaftskriminalität in die Abteilung Autodiebstahl des Dezernats Organisierte Kriminalität (OK) versetzt worden war, wurde vorgeworfen, Verfahrensakten, die in der OK-Dienststelle schlampig herumlagen, geklaut und der Presse zugespielt zu haben, um die Polizei in Misskredit zu bringen. Er wurde in zwei Instanzen freigesprochen.

Raubmord zum Schein

Derartige Vorgänge lösten bei Wüppesahl jedoch die Paranoia aus, dass sein langjähriger Freund bei den Kritischen, Andreas Schellen, der 1990 in der taz-Serie „Helm ab – nachdenken“ über faschistoide Tendenzen beim Einsatzzug Mitte berichtete, ein polizeilicher Spitzel (V-Mann) sein könnte. Seiner eigenen Darstellung nach schlug er deshalb seinem Freund Andreas Schellen zum Schein einen blutrünstigen Raubmord in Berlin vor. Der Wachmann eines Geldtransports sollte erschossen und ihm der Geldkoffer am Handgelenk mit einem Fleischerbeil abgehackt werden.

Doch Wüppesahl irrte. Schellen stellte sich erst aufgrund des Mordplans, nachdem er Mitglieder der BAG konsultiert hatte, in den Dienst der Polizei, um als Lockspitzel für das Dezernat interne Ermittlungen zu arbeiten. Er förderte die Pläne für den Überfall. Bei der Übergabe einer Waffe klickten im Oktober 2004 bei Wüppesahl die Handschellen. Er wurde wegen Verabredung zu einer Straftat zu viereinhalb Jahren Knast verurteilt.

Die BAG gibt es zwar trotz heftiger Streitigkeiten in den letzten zwei Jahrzehnten offiziell noch, die Zentrale befindet sich am Wohnsitz von Bundessprecher Thomas Wüppesahl in Geesthacht. Seit 2011 fand aber keine Mitgliederversammlung mehr statt. Viele Protagonisten der ersten Stunde haben inzwischen mit dem Kapitel abgeschlossen und möchten sich dazu nicht mehr öffentlich äußern.

Es sei eine wichtige Zeit gewesen, die niemand missen möchte, weil man doch einiges habe bewirken können. Doch die Zeiten hätten sich geändert.

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