BARBARA BOLLWAHN über ROTKÄPPCHEN
: Ein bodenständiger Stern im Osten

Wer sich ohne Kühltasche ins Berliner Umland wagt, der braucht sehr, sehr viel Glück

Ostler mögen den Wein süß und das Essen fettig. Ein Klischee, das leider oft der Realität entspricht. Doch es gibt Hoffnung! Eine Köchin namens Carmen Krüger, Chefin von „Carmens Restaurant“ in Eichwalde im Südosten von Berlin, mitten in einer gastronomischen Einöde, in die man nicht ohne Kühltasche fährt.

Frau Krüger veröffentlicht jeden Sonntag in einer Berliner Tageszeitung Rezepte, bei denen sie ein Hohelied auf bodenständige Küche mit regionalen Produkten singt. Ende vergangenen Jahres las ich ihr erstes Rezept. Es ging um den idealen Hefeteig für Pfannkuchen (oder Berliner, wie die Berliner sagen).

„Sechs Eigelb sollen’s schon sein – wenn wir backen, dann ordentlich“, schrieb sie. Am liebsten hätte ich die Eier selbst gelegt. Und dann dieses sympathische Verständnis für Haushalte, die keine Rührmaschine vom Preis eines Mittelklassewagens haben. „Wer keine Maschine hat: gut frühstücken, Ärmel hochkrempeln und selber kneten wie früher.“ Die Pfannkuchen waren ein Traum, und so wurde ich ein Fan von Frau Krüger.

Neulich stellte sie eine Sülze von Räucheraal und Bohnen vor. „Diese Terrine ist genau das Richtige für einen schönen Sommerabend.“ Ich glaubte ihr aufs Wort. Als Küchenhilfe engagierte ich einen jungen Franzosen, der mit einem Räucheraal unterm Arm an einem schönen Sommerabend vor meiner Tür stand. Wir kochten grüne Bohnen in Salzwasser, zogen die Haut von dem Fisch ab, schnitten ihn in kleine Würfel, rösteten sie mit dem Fischkopf, gehackten Zwiebeln und Petersilie in der Pfanne, gossen Weißwein und Wasser auf.

Nach zwanzig Minuten hatten wir einen köstlichen Fischsud, den wir durch ein Tuch gossen, mit Zitronensaft, Salz, Cayennepfeffer und Zucker abschmeckten und in dem wir ausgedrückte Gelatineblätter auflösten. Wir schichteten Bohnen und Aal abwechselnd in eine Schüssel, gossen den Sud darüber und stellten die Terrine kalt. Alle halbe Stunde schauten wir nach, ob sie Anstalten machte, fest zu werden. Machte sie nicht. In Frau Krügers Rezept fand sich kein Hinweis darauf, wie lange die Terrine kalt stehen muss.

Als sich der schöne Sommerabend langsam seinem Ende neigte und wir unseren Hunger mit Wein unterdrückten, hatte ich eine Idee: „Ich rufe Frau Krüger an!“ Der Franzose schaute mich entsetzt an: „Das kannst du doch nicht machen.“ – „Frau Krüger ist eine von uns. Natürlich kann ich die anrufen!“

Es war gegen halb elf, als ich die Nummer von „Carmens Restaurant“ wählte. „Mein Name ist Bollwahn und ich koche gerade ein Rezept von Frau Krüger“, erzählte ich aufgeregt dem Mann, der ans Telefon ging. „Da gebe ich Ihnen am besten die Chefin“, sagte er. Schnell schaute ich noch einmal nach der Sülze, nicht dass sie plötzlich fest geworden war. War sie nicht.

„Krüger“, meldete sich eine sympathische Frauenstimme. „Ich koche gerade Ihre Sülze von Räucheraal und …“ Frau Krüger fiel mir ins Wort. „Wo ist das Problem?“ Sie sprach genauso schnörkellos, wie sie kochte. „Sie schreiben nicht, wie lange sie im Kühlschrank bleiben muss.“ Ohne Umschweife weihte sie mich in das Geheimnis ihrer Aalterrine ein: „Bis sie fest ist.“ Ich bedankte mich herzlich und legte auf.

Am nächsten Tag war die Sülze fest. Sie schmeckte köstlich. Der Abend ohne Aalterrine war trotzdem noch ein schöner Sommerabend geworden. Denn wir beschlossen, in „Carmens Restaurant“ zu essen. An einem Sonntagabend standen wir vor dem Lokal. An der Tür eine Speisekarte, die uns das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Nur: es war geschlossen. Der Laden scheint so gut zu laufen, dass sie nicht alle Tage öffnen muss und dann auch nur für einige Stunden. Ich war enttäuscht. Ganz im Gegensatz zu dem Franzosen. „Guck mal, ein Gault Millau“, sagte er anerkennend. „Was ist das denn für ein Fisch?“, fragte ich. Er klärte mich auf, dass es sich um eine hohe Auszeichnung eines französischen Restaurantführers handelt, ähnlich einem Stern von Michelin. Seitdem lese ich Frau Krügers Rezepte mit Ehrfurcht.

Fragen zur Sülze? kolumne@taz.de Morgen: Dieter Baumann über LAUFEN