Auf der Spree schwimmt ein rosa Krokodil

A L’ARME FESTIVAL Für vier Tage gehörten die Bühnen des Radialsystems dem zeitgenössischen Jazz und improvisierter Musik

Der Drummer spielt mit Paukenschlegeln einen hypnotischen Dschungelrhythmus, aus dem sich metallischer Groove und dann swingender Hardrock schälen. Der Bassist, zum Ende hin wird er den Hals des Instrumentes auf den Bühnenboden stauchen, bearbeitet sein Werkzeug schon mal mit den Fäusten. In den dichten Klangteppich interveniert der Gitarrist mit Klängen, die an Flugzeugturbinen und Glockenschläge gemahnen. Oder an Sirenen: Michael Wertmüller, Marino Pliakas und Caspar Brötzmann setzten vorgestern knapp zur Geisterstunde den lautstarken Schlusspunkt unter das „A L’Arme!“-Festival, das am Mittwoch im Radialysytem begonnen hatte.

„A L’Arme“ – französisch für „an die Waffe“, Ursprung des Warnrufs „Alarm“. Genauso heißt ein Album von Caspar Brötzmanns Vater Peter, das er 1981 in großer Besetzung einspielte. Eine Musik, die den gängigen Vorstellungen von Free Jazz entspricht: Sie ist schrill, zuweilen Furcht einflößend und sollte es wohl auch sein. „Alarm“ (FMP) entstand zu einer Zeit, da der trügerische Frieden des Kalten Krieges einer finalen Grabesstille hätte weichen können. Es sagt einiges über die derzeitige Situation, wenn Sounds wie diese plötzlich scheinbar wieder gefragt sind. Die Abende im Radialsystem waren mit einem Publikum zwischen Anfang zwanzig und geschätzten Mitte sechzig gut gefüllt.

Dabei war der Free Jazz in den letzten Jahren natürlich nie weg. Nur musste er sich ausgerechnet in Berlin, einer Stadt, in der bis vor Jahren mit dem Total Music Meeting und den Workshops Freie Musik zwei regelmäßige Festivals zur Stilistik stattfanden, andere Räume suchen. Es wäre schön (das Wort sei in diesem Zusammenhang gestattet), wenn er mit „A L’Arme“ ein neues Podium gefunden hat.

Beispiel für die Zukunft

Initiiert hat das Festival der Berliner Pianist Louis Rastig. Dem Sohn des Posaunisten Conny Bauer ist dabei ein Beispiel gelungen, wie Jazz dieser Tage unbotmäßig sein kann. Einige der eingeladenen Künstler kommen aus einem weit gefassten Punkumfeld: So spielten die Niederländer Andy Moor und Colin McLean in den späten Achtzigern, frühen Neunzigern in der Glasgower Jazzpunkcombo Dog Faced Hermans; Moor ging zu den geistesverwandten The Ex. Er und McLean traten am Freitag gemeinsam auf und überzeugten an Gitarre und Elektronik mit einer eigentümlich zerklüfteten Musik, die sogar in einem Beat mündete.

Überhaupt: Wie bewegt man sich dazu? Gelegentlich ließen sich Ansätze dessen beobachten, was Peter Wawerzinek „Sitzpogo“ nennt. Ein gerüttelt Maß an Verwegenheit vorausgesetzt, wäre der Auftritt Neneh Cherrys am Eröffnungsabend als fast tanzbar zu umschreiben. Cherry präsentierte mit der Band The Thing Protopunk-Klassiker wie „Dirt“ von den Stooges und Klassiker des freien Liedguts wie Ornette Colemans „What Reason Could I Give To You“ zu brachial-nervösen Rhythmen: Cherry schrie und hauchte, begleitet von Mitgliedern des Peter Brötzmann Chicago Tentets.

„A L’Arme“ war auch ein Treffen der Generationen. Brötzmann senior selbst gab zwei energetische Konzerte mit seinen japanischen Mitstreitern Masahiko Satoh, Takeo Moriyama und Keiji Haino. Das Festival präsentierte zeitgenössische Musik, die eher auf Langsamkeit und Kontemplation setzt. 1974 spielte der Pianist Ulrich Gumpert mit Synopsis (Zentralquartett) den DDR-Freejazz-Klassiker „Auf der Elbe schwimmt ein rosa Krokodil“ (FMP) mit ein. Diesmal korrespondierten Gumperts getragene Satie-Interpretationen mit der nächtlichen Spree. Bis über die nahegelegene Schillingbrücke eine Polizeikolonne fuhr.

ROBERT MIESSNER

■ Neneh Cherry & The Thing: „The Cherry Thing“ (Smalltown Superfood)