Überwachung gegen die Pandemie: Weniger Datenschutz hilft nicht

Auch wenn Politiker:innen sie schüren: Die Erwartungen an eine Corona-App, die Zugriff auf mehr Daten hat, sind schlicht überzogen.

Eine Frau mit Mundnasenschutz blickt auf ihr Smartphone in einer Fußgängerzone

Ein großer Teil der Bevölkerung steht der Corona Warn-App kritisch gegenüber Foto: Frank Hoermann/SVEN SIMON/imago

Den Datenschutz aufheben – diese Forderung wird in der Pandemie gerade alle paar Wochen wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Mal von einem talkshowaffinen Philosophen, mal von einem aufstampfenden Politiker (ja tatsächlich, in der Regel sind es Männer) und immer mit der Prämisse, dass sich dann diese Pandemie viel leichter bekämpfen ließe. Nun ist diese Forderung zunächst einmal leichter sag- als umsetzbar. Schließlich ist Datenschutz keine dahingeworfene Bananenschale, die man mal eben mit spitzen Fingern aufheben und in den nächsten Mülleimer befördern könnte. Sondern ein Oberbegriff für einen ganzen Haufen an Gesetzen auf unterschiedlichsten Ebenen. Und auch ein weiteres Bevölkerungsschutzgesetz der Bundesregierung kann nicht eine europäische Verordnung oder europäische Grundrechte außer Kraft setzen.

Aber abgesehen davon: Schauen wir uns die Sache doch mal an. Angenommen, wir könnten die Datenschutz-Bananenschale mal eben in den Müll werfen und gucken: Welche Daten würden dann nutzbar? Was könnte man mit ihnen anstellen? Und wie würde sich das auf die Pandemiebekämpfung auswirken?

Erster Ansatzpunkt wären vermutlich die Standortdaten von Handynutzer:innen. Standortdaten wären dann attraktiv, wenn sich mit ihnen ermitteln ließe, wer sich in der Nähe einer mit Sars-CoV-2 infizierten Person aufgehalten hat. Denkbar sind dabei zwei Möglichkeiten. Die erste: Daten darüber, wann sich welches Gerät in eine Mobilfunkzelle eingebucht hat. Das wissen die Provider, etwa die Telekom, und sie könnten diese Daten mit entsprechender Rechtsgrundlage wohl ziemlich aktuell bereitstellen. Das Problem: Die Daten von Mobilfunkzellen bieten nur einen sehr groben Anhaltspunkt dafür, ob sich zwei Personen nahegekommen sind. Auf dem Land, wo man sich in der gleichen Mobilfunkzelle befinden kann, ohne auch nur in Sichtweite voneinander zu sein, sowieso.

Doch auch in der Stadt wären die Daten zu ungenau. Wer alle Menschen, deren Telefone zeitgleich mit dem Gerät einer infizierten Person in einer Mobilfunkzelle eingebucht waren, in Quarantäne schickt, kann gerade bei hohen Inzidenzen gleich weite Bereiche der Stadt nach Hause bitten. So könnte – beispielsweise – eine infizierte Bringdienst-Mitarbeiterin an einem einzigen Arbeitstag auf ihrem Weg durch eine Stadt ganze Viertel in Quarantäne schicken.

Bleibt Möglichkeit 2: GPS-Daten. Die sind unter freiem Himmel deutlich genauer. In Innenräumen – in denen das Ansteckungsrisiko bekanntlich besonders hoch ist – aber leider nicht. Ob sich eine Person im ersten oder fünfzehnten Stockwerk eines Gebäudes aufhält, ob zwei Menschen nebeneinander, aber getrennt von einer Wand arbeiten – das lässt sich per GPS nicht ermitteln. Weiteres Problem: Wer sich per GPS ortet, braucht eine Software, um die Daten an Dritte zu übermitteln.

Entweder also eine weitere App oder eine Erweiterung der Corona-App. Die müssten Menschen installieren, um sich freiwillig überwachen zu lassen. Angesichts dessen, dass nicht einmal ein Drittel aller Einwohner:innen in Deutschland die – datensparsame – Corona-App nutzt, ist es eher unwahrscheinlich, dass eine kritische Masse an Menschen eine Rundumüberwachung per Smartphone zulassen würde. Und die Nutzung einer solchen App verpflichtend zu machen, wäre wohl kaum praktikabel. Es sei denn, eine Smartphone-Nutzung wird zur Pflicht, inklusive drakonischer Strafen, wenn das Gerät zu Hause vergessen wird oder der Akku unterwegs leer ist.

Ein durchaus verständlicher Wunsch nach Wissen

Apropos Standortdaten: Die wünscht sich der eine oder die andere Nutzer:in direkt in der Corona-App. Momentan liefert eine Warnung nur den Tag des mutmaßlichen Risikokontakts mit. Wer am fraglichen Tag nahe Kontakte im Büro, im Bus und im Restaurant hatte, weiß also nicht, worauf sich die Warnung bezieht. Doch so verständlich der Wunsch nach Wissen ist: Für die Pandemiebekämpfung würde das nicht viel taugen. Schließlich würden damit keine zusätzlichen Risikokontakte erkannt. Allenfalls ließen sich indirekt Erkenntnisse über das Dunkelfeld der Infektionen ohne bekannten Ursprung gewinnen.

Sollte sich dabei etwa ergeben, dass der ÖPNV oder Kinos eine signifikante Infektionsquelle sind, könnte man hier mit Maßnahmen gegensteuern. Diese Erkenntnis ließe sich aber auch ohne Standortdaten gewinnen – etwa über eine optionale Clustererkennung in der App, bei der Fahrgäste zum Beispiel beim Einsteigen einen QR-Code scannen.

Aber es sind ja noch mehr Daten in der Welt. Zum Beispiel von Menschen, die an der Kasse mit Karte zahlen. Das hat in der Pandemie deutlich zugenommen. Also ab mit den Daten zu den Gesundheitsämtern. Oder? Na ja. Abgesehen davon, dass die persönlichen Kartendaten nicht unbedingt beim Händler vorliegen – etwa, wenn der:die Kund:in per Smartphone mit Apple oder Google Pay zahlt – wie kämen überhaupt vorliegende Daten zu den Behörden? Zumal in les- und auswertbarer Form? Eine neue Software wäre nötig, samt Infrastruktur und Schulung der Behördenmitarbeiter:innen – bei unklarem Nutzen. Wahrscheinlich ist da die Impfung schneller.

Also, nächster Versuch: Daten aus Überwachungskameras. Gerade mutmaßliche Hotspots sind gut überwacht: Bahnen, Busse, Bahnhöfe, Kaufhäuser, Einkaufsstraßen, belebte öffentliche Orte. Diese Bilder könnte man doch alle an die Gesundheitsämter schicken. Und dann? Sagen die: Herzlichen Dank, bitte gebt uns noch eine brauchbare Gesichtserkennung dazu samt einer Software, um das alles auszuwerten. Brauchbare Gesichtserkennung, das muss man dazu sagen, gibt es noch nicht so richtig. Selbst an Seehofers Überwachungsversuch am Berliner Fernbahnhof Südkreuz waren die Erkennungsraten bescheiden. Und da lag der Software schon eine Datenbank mit den zu erkennenden Personen vor.

Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Was läuft anders in Ländern, die mithilfe von viel Überwachung die Pandemie besser bekämpfen als Deutschland? Nun, einiges. Nicht nur ist die Nutzung von aktuellen Smartphones in Ländern wie Südkorea, Taiwan oder China deutlich stärker verbreitet. Auch die staatliche Kontrolle in der Pandemie ist deutlich strikter. So setzt Südkorea unter anderem auf harte Strafen bei Quarantäneverletzungen und ein ausgefeiltes, technikgestütztes, aber auch personalintensives System der Kontaktnachverfolgung. Und wer in China etwa ein öffentliches Verkehrsmittel betreten will, kann das nur, wenn das Smartphone einen grünen Code für niedriges Risiko ausgibt.

Die Länder haben zudem Erfahrung mit der Bekämpfung von Pandemien. Das betrifft einerseits die Politik. Andererseits aber auch die Bevölkerung. Demonstrationen von Menschen, die der Pandemie ihr Pandemiesein absprechen? Gibt es im – ebenfalls demokratischen – Südkorea nicht. Stattdessen ein Bewusstsein dafür, wie man sich und andere schützt. Und in Taiwan, das die Pandemie sehr erfolgreich bekämpft und dafür auch auf zahlreiche digitale Hilfsmittel setzt, wird dabei hingenommen, dass eine deutlich größere Zahl an Menschen vorsorglich in Quarantäne geschickt wird als in Deutschland. Wenn hierzulande schon das Tragen einer Maske in öffentlichen Verkehrsmitteln oder Geschäften zu vielen Menschen als unzumutbar erscheint – geht jemand ernsthaft davon aus, dass sämtliche von einer App in Quarantäne geschickte Personen die Isolation auch beim dritten oder fünften Mal diszipliniert einhalten? Oder fordert jemand dafür dann eine digitale Fußfessel?

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schreibt über vernetzte Welten, digitale Wirtschaft und lange Wörter (Datenschutz-Grundverordnung, Plattformökonomie, Nutzungsbedingungen). Manchmal und wenn es die Saison zulässt, auch über alte Apfelsorten. Bevor sie zur taz kam, hat sie unter anderem für den MDR als Multimedia-Redakteurin gearbeitet. Autorin der Kolumne Digitalozän.

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