„Das ist Rebellion des Nichtstuns“

DJ Marlene Stark fehlt in der Pandemie die Gemeinschaft im Club. Ein Gespräch über das Losgelöstsein auf dem Dancefloor, das Musikproduzieren und die Erkenntnis, non-binary zu sein

Marlene Stark ist 35 Jahre alt, wurde in Ellwangen geboren und sieht sich als non-binäre Person, will also nicht einem bestimmten Geschlecht zugeordnet werden Foto: Rachel Israela

Interview Andreas Hartmann

taz: Marlene Stark, Sie sind DJ. Gemeinsam mit Co-Autorin Anna Gien haben Sie “M“, einen Roman unter anderem über den Rausch der Nacht in Berliner Clubs, geschrieben. Wie stark vermissen Sie Ihr früheres Leben?

Marlene Stark: Ich kann keine Streams mehr machen und in leeren Clubs auflegen. Wer will die überhaupt noch sehen? Ich hoffe so sehr darauf, dass es bald wieder richtig losgeht. Ich bete jeden Tag.

Wie ist Ihnen das Runterfahren des Nachtlebens bekommen?

Außerhalb der Clubs verbringe ich die meiste Zeit alleine im Studio und während der Coronapause habe ich gemerkt, dass große Teile meines Soziallebens an das Auflegen gebunden waren. Vor Corona habe ich fast jedes Wochenende aufgelegt, ich war ständig unterwegs und erst jetzt merke ich, wie sehr mir das fehlt, wie viel mir die Gemeinschaft im Club wirklich gegeben hat. Und das Losgelöstsein. Du gehst da rein und tanzt einfach mal 30 Stunden lang, obwohl wir uns sonst keine 30 Sekunden lang auf irgendetwas konzentrieren können. Das ist eine komplette Transformation von Zeit.

Sie sind eigentlich Maler*in. Dann haben Sie mit dem DJen angefangen und den Roman geschrieben. Aktuell arbeiten Sie an einem Kurzfilm und jetzt haben Sie Ihr Debütalbum als Technoproduzentin mit dem Titel „Hyäne“ veröffentlicht. Gibt es was, das Sie nicht können?

Ich bin nur mutig und neugierig und mache einfach.

Wie ging das bei Ihnen los mit dem Produzieren von Musik?

Ich habe vor drei Jahren angefangen. Ich habe mir alles an Hardware zusammengekauft, was ich benötige, und mich so lange damit befasst, bis ich das umsetzen konnte, was ich im Kopf hatte. Ich bin ja auch ziemlich wahnsinnig und steigere mich schnell in Dinge hinein. Ich habe mir dafür auch kaum Youtube-Tutorials angeschaut, da reden die dann zu langsam und das macht mich irre. Das Schöne am Produzieren ist, dass es sehr viele Möglichkeiten gibt, wie man sich ausdrücken kann, und man nie auslernt.

Sie haben sich die Geräte besorgt und dann einfach losgelegt?

Ich habe mich vor allem darauf konzentriert, einen eigenen Sound zu kreieren, statt mich zum Beispiel mit Genres, Beatmustern und bestimmten Arrangements zu beschäftigen. Meine Klangästhetik ist durch das Auflegen sowieso schon stark geprägt und ich weiß bei einem Track nach den ersten Sekunden, ob ich ihn gut finde oder nicht, das kommt einem beim Produzieren zugute, ein gutes Ohr.

Sie haben die Kunst- genauso wie die Clubszene erlebt und beschreiben beide ausführlich in Ihrem Buch. Sie haben mal gesagt, in der Clubszene sei Sexismus weniger virulent als in der Kunst. Inwiefern gilt das?

Also wenn man fragt, wie beschissen ist es in der Kunst- und wie beschissen in der Musikszene, dann ist es vielleicht einfach in der Musikszene etwas weniger beschissen. Aber da viele Menschen, die in Clubs gehen, ungefähr in meinem Alter sind, eine differenziertere Genderidentität haben und  außerdem eben nicht weiß, alt, cis und Sammler aus reichen Verhältnissen sind, kommt es in der Musikszene vielleicht schneller an, wenn man fragt: Was bedeutet Gleichberechtigung? Was ist Sexismus? Bei der jüngeren Generation gehen solche Fragen einfacher in die Köpfe und bewegen etwas. Aber ich denke, in der Kunstwelt bewegt sich definitiv auch etwas, ich bin in diese nur nicht mehr so involviert.

Musiker*innen, etwa Gitarist*innen, berichten immer noch davon, dass sie vor einem Konzert die Bühne betreten und jemand ihnen zeigen will, wo sie ihr Instrument anschließen sollen.

Ich identifiziere mich ja nicht als Frau, aber das hatte ich auch schon, dass ich in den Club kam und dann hat der Techniker erst einmal versucht, mir den Mixer zu erklären. Die Person meinte das wirklich nett und ich sagte auch nur: Danke, aber ich habe schon einmal einen Mixer bedient.

Glauben Sie, dass jetzt die Fragen kommen, ob Sie als Künst­ler*in, DJ und Schriftsteller*n Ihr Album überhaupt selbst produziert haben?

Also ich habe mir technisch was draufgeschafft in den drei Jahren, das soll mir in der Zeit erst einmal jemand nachmachen. Und wenn mir da jetzt jemand komisch kommt, dann bewegt mich das eigentlich auch nicht mehr. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg, da etwas zu verändern, und es wird hoffentlich bald gar nicht mehr infrage gestellt, dass Können nicht von der geschlechtlichen Identität abhängig ist.

Ist Ihre Platte mit elektronischer Tanzmusik der nachgereichte Soundtrack zu Ihrem Roman, in dem atemlos die Ausgehkultur verhandelt wird?

Ich würde eher sagen, die Platte ist eine Weiterentwicklung vom Buch. Und von meiner Identität. Man hört viel Energie heraus. Und Energie habe ich in letzter Zeit auch für mich selbst gebraucht, um den Schritt zu machen, non-binary zu sein, mich selbst nicht mehr als Frau zu definieren, mich anders wahrzunehmen. Es war ein intensives Jahr für mich und ich denke, das hört man der Musik auch an. Meine generelle politische Einstellung hat sich seit dem Buch auch nochmals stark ausdefiniert. Ein Track auf der Platte heißt „Just change it“: Ich will jetzt mehr Politik auf der Tanzfläche haben. Ich will, dass Leute aware sind, wenn sie tanzen.

Kann das Treiben auf dem Dancefloor wirklich politisch sein?

Ich denke schon. Die Tanzfläche ist ein Raum, der nicht kapitalistisch ist. Und Clubbing ist die Rebellion des Nichtstuns. Wir rebellieren, indem wir 30 Stunden lang nicht konsumieren. Wir benutzen in der Zeit nicht einmal unser Handy. Man tanzt, anstatt zu scrollen oder irgendeinen Content zu schaffen.

Stark lebt in Neukölln und ist Resident-DJ im Club Sameheads. Mit Anna Gien hat sie den Roman „M.” veröffentlicht, eine darauf basierende Inszenierung soll bald in der Schaubühne Berlin zu sehen sein. Eben ist Starks erste Technoplatte mit dem Titel „Hyäne” erschienen.

Diese Form von Rebellion gibt es wegen Corona gerade nicht.

Aber ein positiver Nebeneffekt der Pandemie ist, dass die Leute zur Besinnung gebracht werden. Sie fragen sich: Was vermisse ich, was brauche ich wirklich? Was ist mir tatsächlich wichtig und was bedeutet mir Clubkultur?

Sie sehen auch etwas Positives an Corona?

Ich bin ein positiver Mensch und es ist ja auch schon genug Negatives zur Pandemie gesagt worden. Und außerdem: Ich bin Künstlerin. Da lernt man, mal größere, mal kleinere Krisen zu überwinden, und das kann ja auch inspirierend sein.

Wie wird es in diesem Jahr weitergehen mit dem Clubben?

Ich denke, es wird noch etwas länger schwierig bleiben. Die Krise hört ja nicht plötzlich auf, auch wenn wir morgen wieder in Clubs gehen können, falls es dann noch welche gibt.

Immerhin sind Clubs jetzt Kultur- und nicht mehr nur Vergnügungsstätten. Das wurde für Berlin eben erst beschlossen.

Die Unterstützung der Clubszene als Kulturstätten fängt jetzt an, und das ist auch gut so. Aber es ist immer noch sehr wenig im Vergleich zu dem, was Opern- und Theaterhäuser an Subventionen bekommen. Die Hochkultur hat einfach eine bessere Lobby. Denn wer besucht diese Häuser? Die reiche, ältere Oberschicht. Für mich spielt es aber keine Rolle, ob ­Senioren in der Oper auf Antidepressiva vor sich hin schlafen oder ob da jemand auf Ecstasy in der Ecke im Club liegt: Der Erfahrungswert ist vielleicht sogar ähnlich und die Bewusstseinserweiterung auch. Aber um das wirklich zu wissen, müsste ich erst unglücklich werden.