Kulturproteste gegen Anti-BDS-Praxis: Einmal durchlüften, bitte!

Etablierte Kulturinstitutionen schlagen Alarm. Die Anti-BDS-Resolution des Bundestags erschwert ihre Zusammenarbeit mit internationalen KünstlerInnen.

Demonstration mit palästinensischer Flagge in den Haaren

Demo für die palästinensische antizionistische Aktivistin Ahed Tamimi im französischen Toulouse Foto: Alain Pitton/imago

Ich teile Ihre Meinung nicht, würde aber dafür sterben, dass Sie sie äußern dürfen. Dieser Satz, der nicht von Voltaire, sondern von einer britischen Autorin stammt, ist eine Pathosformel der liberalen Demokratie. Der freie Streit ist ihr Glutkern, zu viele Einschränkungen führen zu langsamem Ersticken.

Es gibt viele Gründe, die unbedeutende BDS-Bewegung, die den Staat Israel wegen seines Besatzungsunrechts boykottieren will, skeptisch zu sehen. In Europa trifft ihr Boykott in Unis und Kultur meist eher kritische Israelis, in Deutschland sollte man mit Boykotten sowieso vorsichtig sein.

Doch der amtliche Bannfluch gegen BDS per Bundestagsbeschluss hat fatale Wirkungen. Es kommt zwar kein BDS-Sympathisant vor Gericht. Aber jede Art von BDS-Befassung in öffentlich geförderten Räumen und Universitäten zu verbieten, ist ein massiver Eingriff in die Meinungsfreiheit. Da aber hat der Staat nur im Notfall etwas zu suchen. Dass Gerichte die schlimmsten Auswüchse der Anti-BDS-Praxis korrigiert haben, ändert nichts daran. Das diskursive Pendant zum BDS-Bannfluch ist der wahllose Antisemitismusvorwurf. Auch da ersetzt Diffamierung die Debatte.

Bislang haben diese Missstände vor allem liberale Juden kritisiert – weil sie sehen, dass all das dem Geschäft der Rechten in Israel nutzt, die Kritik am Besatzungsregime zum Schweigen bringen wollen. Dass nun auch etablierte deutsche Kulturinstitutionen wie das Goethe-Institut und die Kulturstiftung des Bundes durch einen öffentlichen Appell Alarm schlagen, ist erfreulich. Es ist der Versuch, die stickig-enge deutsche Debatte durchzulüften und das Fenster aufzumachen. Der Aufruf der „Initiative GG 5.3“ benennt auch präzise das Paradox des Anti-BDS-Beschlusses. Er antwortet auf den BDS-Boykott mit einem weiteren Boykott.

Die Motive für den Anti-BDS-Beschluss mögen ehrenwert gewesen sein, die Auswirkungen beschädigen den Kern der liberalen Demokratie: den freien Austausch von Argumenten. Es ist Zeit, ihn zu revidieren. Die Stärke der Demokratie ist die Fähigkeit, Fehler zu korrigieren.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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