Hoffnungen zum Neujahr: 2021 wird nicht alles besser

Auch in diesem Jahr wird es wieder viele Menschen hart treffen. Es ist besser, wir stellen uns darauf ein, als grundlos optimistisch zu sein.

Eine Frau mit einer Mundschutzmaske trägt eine beleuchtete Brille, auf die die Worte "Happy New year" angebracht sind.

Eine Neujahrsfeiernde in Mexico City: Ob 2021 so ein happy new year wird, das werden wir sehen Foto: Rebecca Blackwell/ap

Im Jahr 2021, so schwören viele, werden wir wieder so richtig Gas geben. ­Alles wird seit dem 1. Januar sofort wahn­sinnig schön. Aber wird es das wirklich?

Gar nichts wird schön, um hier gleich mal allzu überzogene Erwartungen mit dem Kopfkissen der Vernunft zu ersticken. Der Karren, den wir über Jahre hinweg in den Dreck gefahren haben, wo er 2020 endgültig stecken geblieben ist, wird sich 2021 keinen Millimeter rühren. Wieder wird das Jahr zu warm und zu trocken. Woanders dann zu nass und zu windig. Zu kalt eher nirgends. Unter dem Motto „Permafrost ist Spermarost“ werden uns in diesem Jahr noch mehr toxische Banditen an der Spitze von noch mehr Ländern den Erdball unterm Arsch anzünden.

Kriege, Hunger, Heuschrecken. Wieder wird es viele Menschen hart treffen. Daniel Kehlmann wird erneut auf den einen oder anderen Restaurant­besuch verzichten müssen, und in den griechischen Schreckenslagern werden die Babys der Geflüchteten weiterhin im Schlaf von Ratten gebissen. Schon irgendwie blöd, aber leider kann man ja dagegen so rein gar nichts machen. Europa ist nun mal sehr arm, vor allem Deutschland, und ein Lieferservice ist kein vollwertiger Ersatz: Das ­Entrecôte wird zäh, wenn man es zu Hause noch mal aufwärmt, der Spargel verliert Aroma, und nur der Schampus sprudelt ungemindert aus der Flasche.

Menschenfreundliche Wahrheit statt grausame Lüge

Manche mögen denken, hier wolle jetzt einer aus reiner Bosheit die Stimmung vermiesen, doch ganz im Gegenteil. Ich will nur helfen. Denn grundloser Optimismus ist wohl die Lebenseinstellung, die der bei einer Alkoholkrankheit am ähnlichsten ist: ein fataler, selbstzerstörerischer Irrweg. Gerade bei unangenehmen Dingen ist es einfach besser, man weiß, was einen erwartet: Kommt die Kiste noch mal durch den TÜV? Wie viele Folgen hat eine Staffel von „Bridgerton“? Herr Doktor, wie lange werde ich noch leben?

Wie menschenfreundlich kann die Wahrheit sein und wie grausam hingegen die Lüge. Wenn wir uns vormachen, die Pandemie sei spätestens im kommenden Sommer besiegt, wird die Enttäuschung uns endgültig den Stecker ziehen.

Es ist klüger, sich die Zukunft wie einen Marathon einzuteilen, damit einem nicht nach wenigen Schritten die Puste ausgeht. Besser, wir richten uns darauf ein, dass auch 2021 wieder ein rechtes Scheißjahr wird, dem unweigerlich noch weitere Scheißjahre folgen werden. Aber zum Glück nicht mehr gar so viele, dem Klimawandel sei Dank.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Seit 2001 freier Schreibmann für verschiedene Ressorts. Mitglied der Berliner Lesebühne "LSD - Liebe statt Drogen" und Autor zahlreicher Bücher.

Die Coronapandemie geht um die Welt. Welche Regionen sind besonders betroffen? Wie ist die Lage in den Kliniken? Den Überblick mit Zahlen und Grafiken finden Sie hier.

▶ Alle Grafiken

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.