Homeschooling wie vor der Pandemie: Von wegen Digitalisierung

Dass beim digitalen Unterricht immer noch wenig klappt, hat liegt am Versagen der Verwaltung – und an der Technikfeindlichkeit des Bildungsbürgertums.

Eine Frau sitzt an einem Laptop in einem leeren Klassenraum,

Wer was ausprobiert, wird garantiert ausgebremst: Lehrerin allein im Netz Foto: Kay Nietfeld/dpa

HANNOVER taz | Ein weiteres E-Mail-Postfach. Wenn mich jemand nach dem Stand der Digitalisierung an Niedersachsens Schulen fragt, ist das die Antwort, die ich aus eigener Anschauung dazu geben kann: Ich habe jetzt ein weiteres E-Mail-Postfach. Auf der von der Schule bevorzugten Plattform, auf der sich immerhin auch das Kind selbstständig die Arbeitsblätter herunterladen und ausdrucken kann – und manchmal sogar Fragen stellt und Ergebnisse zurückschickt.

Soweit ich es beurteilen kann, ist das der einzige Fortschritt. Von den iPads oder sonstigen Endgeräten, von denen viel die Rede war und auf die sich die Kinder schon gefreut haben, ist hier bisher nichts angekommen. Obwohl diese Pandemie schon einen altersschwachen Laptop und ein Tablet endgültig in die Knie gezwungen hat.

Ich mag mich darüber aber auch kaum noch aufregen. Ich nehme an, dass uns diese Endgeräte auch nichts nützen würden, weil nach wie vor ein großer Teil der Lehrerschaft keine Vorstellung davon hat, wie man diese Dinger sinnvoll nutzen könnte.

Es gibt zwei Dinge, an denen die Digitalisierung der Schulen gerade scheitert: Das eine ist das seit Jahren zur Perfektion getriebene System der organisierten Verantwortungslosigkeit, bei dem garantiert jedes Rädchen neben das andere greift; und das andere ist das Personal.

Lehrers Bauchschmerzen heißen Datenschutz

Nur ein kleines, absurdes Beispiel für die Idiotie des Systems: Zuständig für die Anschaffung der Ausstattung sind in der Regel die Schulträger, also die Kommunen. In anderen Organisationen würde das nun so laufen, dass man – beim Einkauf neuer Geräte oder neuer Software – die entsprechenden Schulungen für die Mitarbeiter gleich mit einkauft. Das geht hier aber nicht, weil die Kommunen den Lehrern nichts zu sagen haben – die sind ja schließlich Landesbedienstete und ihre Fortbildung ist ein Kapitel für sich.

Außerdem haben sie bestimmt ein Datenschutzproblem. Das ist nämlich die willkommene Ausrede für alle, die keine Lust haben, sich mit diesem neumodischen technischen Schnickschnack auseinanderzusetzen. Der Datenschutz ist für Lehrer, sonstige Beamte und auch manche Eltern das, was für das Schulkind die diffusen morgendlichen Bauchschmerzen sind. Ohne sich auch nur 30 Sekunden damit auseinandergesetzt zu haben, auf welche Daten ein Programm überhaupt zugreift und welche Gefährdungen davon ausgehen: Uh, nein, aua, geht gar nicht.

Dieses akute Bauchweh hängt vor allem damit zusammen, dass im deutschen Bildungsbürgertum seit Jahrzehnten die Auffassung gepflegt wird, Bildschirme seien böse. Und zwar vollkommen unabhängig davon, was man mit diesen Bildschirmen so tut. Immer ist nur von den Gefahren die Rede gewesen, der verheerenden vollrausch-artigen Wirkung auf das arme Kindergehirn, der unweigerlichen Vernichtung von Kreativität, Konzentrationsvermögen und motorischen Fähigkeiten.

Wie soll man sich denn da so plötzlich umstellen? Nein, nein, besser man beschränkt die Benutzung auf ein Minimum und nutzt die Geräte allenfalls dazu, Hausaufgaben zu verteilen und wieder einzusammeln.

Zumal, seien wir mal ehrlich, das mit dem Umstellen ja ohnehin so eine Sache ist. Veränderungen haben die wenigsten Menschen gern. Und offenbar zieht dieser Lehrer­beruf noch einmal überdurchschnittlich viele Menschen an, die es a) gern sicher und überschaubar haben und sich b) dann darüber beklagen, dass Kinder irgendwie auch nicht mehr so sind wie noch vor zehn Jahren.

Natürlich, nicht alle Lehrer, es gibt auch andere: Menschen, die tatsächlich gern mit Kindern und Jugendlichen arbeiten und die über die dazu nötige Offenheit, Neugier und geistige Beweglichkeit verfügen. Das sind die, die sich auch mit Begeisterung auf neue Mittel und Wege stürzen – und dann todsicher ausgebremst werden.

Das darf in diesem System nämlich auch nicht sein: dass da irgendeiner einfach macht und ausprobiert. Da muss man erst die Förderrichtlinie abwarten, einen Konferenzbeschluss herbeiführen, einen Beauftragten ernennen, einen Arbeitskreis gründen und die nötigen Ausgleichsstunden in den Stundenplan einspeisen. Das kann dann halt schon einmal drei bis vier Pandemien lang dauern, bis so etwas wie digitaler Unterricht tatsächlich möglich ist.

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Niedersachsen-Korrespondentin der taz in Hannover seit 2020

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