Jürgen Gottschlichh über die Haftstrafe einer kurdischen Politikerin
: Ein Urteil, das spalten soll

Die drakonische Strafe von 22 Jahren Haft für die kurdische HDP-Politikerin Leyla Güven, die ein Gericht in Diyarbakır verhängt hat, ist ein Signal. Es zeigt, dass der türkische Präsident Erdoğan und sein rechtsnationalistischer Koalitionspartner Devlet Bahceli die Schrauben im Kurdenkonflikt wieder anziehen, weil ihnen dies als letzte Möglichkeit erscheint, wieder mehrheitsfähig zu werden. Angesichts der herrschenden Wirtschaftskrise und des katastrophalen Coronamanagements im Land ist die De-facto-Koalition von Erdoğans AKP und Bahcelis MHP in einigen Umfragen bereits unter 40 Prozent abgesackt.

Bleibt das Oppositionsbündnis von sozialdemokratischer CHP, rechter İyi-Parti (Gute Partei) und linker kurdischer HDP wie bei den letzten Kommunalwahlen, als Istanbul und Ankara für Erdoğan verloren gingen, stabil, droht Erdoğan bei den nächsten Wahlen im Jahr 2023 eine Niederlage. Deshalb soll das Bündnis gesprengt werden, indem die kurdische HDP als identisch mit der PKK angeprangert wird und dadurch CHP und İyi-Parti eine Zusammenarbeit mit „den Terroristen“ unmöglich gemacht werden soll. Dazu dient das Urteil gegen Leyla Güven. Ohne die HDP kann die Opposition aber nicht gewinnen.

Bis zu den nächsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen sind es noch zweieinhalb Jahre, eine Zeit, in der der Kurdenkonflikt von der Regierung wahrscheinlich weiter angeheizt werden wird. Die Opposition hat nur dann eine Chance, wenn sie trotzdem die Nerven behält. Das wird schwierig, weil die Provokationen zunehmen werden. Bahceli hat bereits gefordert, die HDP als „Terrororganisation“ zu verbieten. Doch andererseits haben alle Beteiligten aus der Vergangenheit genug Erfahrungen gesammelt, um nicht in Erdoğans Falle zu gehen.

Die HDP wird sich im schlimmsten Fall unter einem anderen Namen neu gründen – und wenn CHP und İyi-Parti bei ihrem Kurs bleiben, könnte es für Erdoğan eng werden. Denn eigentlich sind die Vorwürfe gegen die HDP so abgenutzt, dass sich nicht mehr viele Wähler davon beeindrucken lassen.

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