Plan gegen Kinderquäler

Noch immer befasst man sich in Niedersachsen damit, wie massenhafter Kindesmissbrauch zu verhindern wäre. Die Lügde-Kommission gibt jetzt Empfehlungen

Mehr als 30 Kinder wurden auf dem Campingplatz zum Opfer Foto: Guido Kirchner/dpa

Von Nadine Conti

Lügde (sprich: Lüchte) steht mittlerweile am Anfang einer ganzen Reihe von Ortsnamen, die ein vages Gefühl von Übelkeit verbreiten und für massenhafte, systematische sexuelle Gewalt an Kindern stehen: Lügde, Bergisch Gladbach, Staufen, Münster.

Zur Erinnerung: In Lügde ereignete sich der Fall, bei dem das zuständige Jugendamt dem mittlerweile verurteilten Haupttäter, einem über 50-jährigen Pädokriminellen, der auf einem Campingplatz hauste, ein kleines Mädchen als Pflegekind, Beute und Köder überließ und mehrere Hinweise auf das, was da lief, vom Tisch wischte. Man muss das vielleicht noch einmal so brutal formulieren, um klarzumachen, wo die lange und zähe politische Auseinandersetzung mit dem Fall wurzelt.

Am 16. Dezember 2020, fast zwei Jahre nach der ersten Pressekonferenz der Polizei zu diesem Fall, stellte nun die niedersächsische Justizministerin Barbara Havliza (CDU) den Abschlussbericht der Lügde-Kommission vor. Die sollte – im Gegensatz zur Sonderermittlerin, die man ebenfalls im Einsatz hatte – weniger die Schuldfrage klären, als vielmehr erörtern, was getan werden muss, damit so etwas nicht wieder passiert.

Zu dem Thema hat es zwar auch schon einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss in NRW gegeben, wo der Tatort liegt und der Polizei bei den Ermittlungen noch diverse Pannen unterliefen. Da hatten aber die Mitarbeiterinnen des zuständigen Jugendamtes im niedersächsischen Hameln-Pyr­mont Kooperation und Aussagen verweigert.

Die niedersächsische Sonderermittlerin hatte in ihrem Bericht wiederum schwere fachliche Fehler, aber keine strukturellen Mängel festgestellt – was allerdings auch erst einmal keine weiteren Konsequenzen hat.

Nun also die Lügde-Kommission, geleitet von Dr. Thomas Meysen, der engagierten Zweckoptimismus verbreitet: Die umfassende Erschütterung und das große mediale Interesse an all diesen Missbrauchsfällen zeige doch, dass noch etwas intakt sei in unserer Gesellschaft, sagt er einleitend.

Meysen leitet beim Socles International Center for Socio-Legal Studies in Heidelberg unter anderem Forschungsprojekte zum Thema Kinderschutz. Unter seiner Leitung hat sich die Kommission mit Fachleuten und Experten, Opferbegleitern und auch der Mutter des betroffenen Mädchens auseinandergesetzt. Herausgekommen ist ein Bündel von 44 Verbesserungsvorschlägen und die Forderung nach einer „Qualitätsoffensive“ in Sachen Kinderschutz.

Die Empfehlungen betreffen zum einen die Vernetzung und Zusammenarbeit der verschiedenen Stellen. Was auch die Sonderermittlerin schon als Manko festgehalten hat: Fachstellen müssten häufiger einbezogen werden, die Zusammenarbeit zwischen Polizei, Jugendämtern und Familiengerichten ist oft nicht gut und systematisch genug, hängt zu viel von Zufällen und Einzelpersonen ab. Auch in die Fortbildung in diesen Bereichen müsste mehr investiert werden.

„Die gesetzlichen Grundlagen sind gut, wir brauchen eine Qualitätsoffensive im Kinderschutz“

Thomas Meysen, Vorsitzender der Lügde- Kommission

Außerdem müssten die Kinder und Jugendlichen sowie ihre Herkunftsfamilien und sonstigen Netzwerke stärker miteinbezogen werden, sagt Meysen. Auch das brauche mehr Ressourcen und ein hohes Maß an Fachkompetenz, die Studium und Ausbildung nicht automatisch lieferten. Je isolierter und sprachloser ein Kind sei, desto schutzloser sei es auch.

Inhaltlich sehr viel tiefer befasst sich der Bericht der Kommission mit den internen Vorgängen des Jugendamtes. Die Teamleitungen müssten gestärkt werden, heißt es etwa, um sich, freigestellt von der Einzelfallarbeit, tatsächlich darauf konzentrieren zu können, ihren Fachkräften den Rücken zu stärken, aber auch um die kritische Reflexion möglich zu machen. Fehler passierten oft, weil an einmal getroffenen Entscheidungen festgehalten werde.

Denn – auch das ist lange bekannt – die Jugendämter haben vor allem im Allgemeinen Sozialen Dienst ein Fachkräfteproblem. Hier gibt es viele, sehr junge Mitarbeiter, die nach ihrem Bachelor-Abschluss zwar theoretisch auf dem neuesten Stand sind, denen es aber an Erfahrung fehlt.

Die Umsetzung dieser Empfehlungen liegt nun bei den zuständigen Ministerien und Kommunen. Gleichzeitig wird sich ein weiteres Gremium mit Lügde und den Folgen befassen: Am Montag hat eine Enquetekommission des Landtages zum Kinderschutz ihre Arbeit aufgenommen.