Stickstoffwerte in Großbritannien: Londons tödlich dreckige Luft

In London bekommt ein neunjähriges Mädchen keine Luft mehr. Sie hat Asthma und stirbt. Doch ihr Tod hat noch andere Ursachen.

Smog hängt über dem The Shard skyscraper im Geschäftszentrum von London, so dass die Sonne kaum durchkommt

Manchmal wird die Luftverschmutzung in London sogar sichtbar: 2. November 2015 Foto: Toby Melville/reuters

LONDON taz | Ella wollte in die Luft. Pilotin bei der Royal Airforce werden, das war der Traum des kleinen Schulmädchens. Doch es kam anders. Am 15. Februar 2013 bekam die kleine Ella plötzlich keine Luft mehr, es war eine Asthmaattacke mit dramatischen Folgen: Ella Adoo-Kissi-Debrah starb im Alter von nur neun Jahren. Doch als Ursache für ihren Tod wird neben ihrer Krankheit Asthma noch ein zweiter Grund aufgeführt: Luft, die voller Feinstaub und Stickoxid war. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Gerichtsmedizin im Vereinigten Königreich, dass Luftverschmutzung offiziell als Todesursache anerkannt wird.

Ella lebte 25 Meter entfernt von einer stark befahrenen Verkehrsader in Südlondon. In den Tagen vor ihrem Tod war die dortige Schadstoffbelastung ungewöhnlich hoch, weshalb der zuständige Gerichtsmediziner Philip Barlow am Mittwoch in nüchternem englischen Rechtsjargon zu Protokoll gab, dass Asthma verstärkt durch das Ausgesetztsein an exzessiver Luftverschmutzung zu Ellas Tod führte.

Dass die dramatische Luftverschmutzung mit zu Ellas Tod führte, ist das Ergebnis eines jahrelangen Kampfes von Ellas Mutter. Denn im ersten Urteil von 2014 war lediglich akuter Atemstillstand als Todesursache vermerkt worden. Die Anwälte von Ellas Mutter argumentierten, dass die britische Regierung ihrer Verantwortung aus Artikel II der europäischen Menschenrechtskonvention – dem Recht auf Leben – nicht nachgekommen sei, „da sie die Öffentlichkeit nicht vor den gefährlich hohen Werten der Luftverschmutzung schütze“.

Gerichtsmediziner Barlow kündigte an, dass eine gerichtsmedizinische Anweisung an die Regierung folgen werde. Es ist ein außergewöhnlicher Schritt, der nur dann erfolgt, wenn ein Tod auf Umstände zurückgeht, deren Verbesserung die Leben anderer retten könnte. Eine solche Anweisung kann zu einer Gesetzesänderung führen.

Stickstoffdioxidwerte über EU-Richtlinie

In vielen Teilen Londons herrscht seit Jahrzehnten eine Luftverschmutzung, die – wie in Ellas Bezirk – Stickstoffdioxidwerte weit über 40µg/m3 aufweist und damit sowohl weit über den Richtlinien der EU wie auch der Weltgesundheitsorganisation liegt. Als Ella starb, war der heutige Premierminister Boris Johnson noch Bürgermeister Londons. Sein Nachfolger Sadiq Khan fand heraus, dass Johnson damals eine Studie über die Auswirkungen der Luftverschmutzung auf Kinder in London unter Verschluss gehalten hatte.

Nach Ellas Tod geraten auch die Kommune und die Gesundheitsbehörden in die Kritik, denn Ellas Mutter verstand offensichtlich nicht die Auswirkungen der hohen Luftverschmutzung auf ihre Tochter; niemand hatte sie und ihre Familie gewarnt. Barlow vermerkte, dass die Stadtbehörde trotz Messungen drei Jahre gebraucht hatte, bis sie einen Plan zur Luftsäuberung beschloss, obwohl sie die Werte als Notstand hätten einschätzen müssen.

Wegen der medialen Aufmerksamkeit für Ellas Tod ließ die Reaktion der britischen Regierung nicht lange auf sich warten. „Wir stellen 3,8 Milliarden Pfund (4,22 Milliarden Euro) für die Säuberung des Verkehrs und der Stickoxidbelastung zur Verfügung, insbesondere von ppm.25 Feinstaub“, erklärte eine Sprecherin.

Zwar gibt es in London inzwischen eine Umweltzone, doch Ellas Mutter ist das nicht genug. Denn Fahrzeuge, die an der Grenze der Umweltzone entlangfahren, werden ausgenommen; darunter fällt auch der südliche Stadtring, neben dem sie mit ihrer Tochter wohnte. Sie fordert daher, dass Fahrzeuge pro gefahrenem Kilometer besteuert werden sollten. In Südlondon hat sie eine eigene Organisation gegründet, um Kindern mit Asthma zu helfen.

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