Im trägen Tempo suburbaner Landschaft

Dieser Film schwimmt in Südstaatenliteratur wie seine Protagonisten im Bourbon: Shainee Gabels Debüt „Lovesong für Bobby Long“

Wenn einer in weißem Leinen von der Kneipe zum Begräbnis torkelt, den Strohhut auf dem Kopf, den Bourbon noch in der Hand, dann sind wir im Süden der USA, höchstwahrscheinlich in New Orleans. Nirgendwo sonst steuert das Leben so zielsicher auf den Tod zu – zumindest in der amerikanischen Fiktion, in Literatur, Film und Musik, wo das tägliche Verwesen in schwüler Hitze ja erst das wahre Leben ausmacht. Die abgeblätterten Fassaden, die vermoderten Vorgärten und den ganzen Jazz braucht es gar nicht mehr bei so einem Bild.

Der Mann im Anzug heißt Bobby Long. Er raucht und säuft sich zu Tode, war mal Literaturprofessor und wird gespielt von – darauf einen Bourbon! – John Travolta. Ein paar Dinge in diesem Film muss man einfach nehmen, wie sie sind. Die weiß gefärbten Haare und die Literaturzitate, mit denen die gar nicht so alte Kino-Ikone hier um sich wirft, gehören dazu. Mit einer jüngeren Ausgabe seiner selbst, seinem ehemaligen Musterschüler Lawson (Gabriel Macht), haust Bobby in einer der typischen Bruchbuden.

Es wäre ein gemütliches Dahinsiechen bis zum Finale, würde nicht plötzlich Pursy (Scarlett Johansson) in der Tür stehen. Das Trailerpark-Girl ist die Tochter der Frau, die Bobby gerade beerdigt hat. Es verbindet sie nicht viel mit der Verstorbenen, einer im Leben gescheiterten Jazzsängerin, aber von ihr hat sie das Haus geerbt. Mitsamt seinen Insassen.

Es scheint also Scarlett Johanssons Schicksal zu sein, es bis auf weiteres mit verbitterten alten Männern zu tun zu haben. Dieser hier ist nicht so witzig wie Bill Murray. Und es hilft auch nicht, dass er seine Anzüglichkeiten (Pursy klingt in seinem Slang wie „Pussy“) mit Robert Frost aufwerten kann. Aber Johanssons frühreifer Charme äußert sich nicht zuletzt in der wohligen Ahnung, sie könne jederzeit alles hinschmeißen. Nicht aus schlechter Laune. Sondern weil es etwas Besseres geben muss als das hier. Das Leben als Hollywoodstar. Eine WG mit zwei Säufern.

„Lovesong für Bobby Long“, das Debüt der 35-jährigen Shainee Gabel, ist eine Literaturverfilmung, aber noch viel mehr in dem Sinne, dass der Film in Südstaatenliteratur schwimmt wie seine männlichen Protagonisten im Whisky. Gabels Bibel ist ganz offensichtlich das Buch, das Pursy hier ein paar Mal in die Hand nimmt: „Das Herz ist ein einsamer Jäger“, ein Manifest der Außenseiter, Ungeliebten und Geschlagenen dieser Welt, geschrieben von Carson McCullers, einer der verlorensten Autorinnen des 20. Jahrhunderts. Eine schöne Weile lang tut es der Film ihr nach, wuchert vor sich hin im trägen Tempo der suburbanen Landschaft, als wüsste er nicht, wohin. Auch hier finden drei Menschen – wobei Gabriel Macht als Erzähler und mögliches Liebesinteresse eher funktionslos bleibt – über den Tod eines geliebten Menschen zu einer Ersatzfamilie zusammen. Aber im letzten, unnötig sentimentalen Akt kommt es dann doch zur erbarmungslosen Bereinigung aller unklaren Verhältnisse. Nichts, weder der Alkohol noch die Freundschaft, ist dicker als Blut. Da folgt Gabels Drehbuch, das so gerne Literatur wäre, wieder ganz Hollywood.

Andererseits: Aus cineastischem Blickwinkel ist es völlig ausreichend, Scarlett Johansson zwei Stunden beim Essen (Erdnussbutter, M&Ms) und Lesen (Carson McCullers, John Steinbeck) zusehen zu dürfen. Und von John Travolta können andere Fehlbesetzungen noch immer eine Menge lernen. Nicht nur, wie man fachgerecht und so erbarmungswürdig wie möglich über einer Kloschüssel zusammenbricht. In seiner letzten Szene bestellt der Disco King von einst einen Alabama Shuffle. Das ist kein Drink. Das ist ein Tanz.

PHILIPP BÜHLER

„Lovesong für Bobby Long“. Regie: Shainee Gabel. Mit John Travolta, Scarlett Johansson, Deborah Kara Unger u. a. USA 2004, 119 Min.