Deutsche Corona-Impftermine: Der Impfskandal ist keiner

Es ist der EU hoch anzurechnen, dass sie den Corona-Nationalismus ihrer Mitgliedsländer abgebremst hat. Alle fangen gleichzeitig mit dem Impfen an.

Ein Fläschchen mit dem Corona-Impfstoff

Die Impfampullen sind vorerst noch knapp Foto: Jessica Hill/dpa

Es wirkt wie der perfekte Skandal: Deutschland hat den revolutionären Impfstoff von Biontech/Pfizer mit 325 Millionen Euro gefördert – und trotzdem wird hierzulande noch nicht geimpft. Andere Länder hingegen sind längst vorgeprescht. In den USA und auch in Großbritannien wird das Vakzin bereits massenhaft verabreicht, und extrem gefährliche Nebenwirkungen sind bisher nicht zu erkennen.

Es entsteht der Eindruck, als würde Deutschland Kranke und Alte in einen unsinnigen Tod schicken. Die Rechnung ist schnell aufgemacht: Wer geimpft ist, kann nicht mehr an Corona sterben. Also bedeutet jeder Tag ohne Impfung, dass Tote zu beklagen sind, die man eigentlich hätte retten können. Warum also sind die Europäer so schnarchig?

Eine gängige Vermutung lautet, dass die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) ein bürokratisches Monster sei, dessen Beamte Dienst nach Vorschrift schieben. Doch dieser Vorwurf ist ungerecht, denn die EMA betritt Neuland. Sie ist die erste Behörde weltweit, die eine „bedingte“ Zulassung erteilt. Der Impfstoff wird also regulär überprüft, wofür Biontech/Pfizer umfangreiche Daten über ihre Testergebnisse liefern mussten.

Die USA und Großbritannien hingegen haben Notfallgenehmigungen erteilt und den Impfstoff weniger gründlich kontrolliert. Das birgt nicht nur Gefahren für die Patienten – langfristig könnte es auch den Erfolg der Impfkampagne torpedieren.

Das Coronavirus ist nur unter Kontrolle zu bekommen, wenn sich etwa 70 Prozent der Bevölkerung impfen lassen. Die Mehrheit der BürgerInnen muss dem Medikament vertrauen – aber dieses Vertrauen könnte durch eine überhastete Zulassung verloren gehen.

Zudem wäre es ein Missverständnis, zu glauben, dass man mehr Menschen impfen könnte, je früher die Aktion beginnt. Denn Impfampullen sind vorerst knapp, weil Biontech/Pfizer und andere Firmen gar nicht so schnell liefern können, wie die Staaten impfen wollen. Bis zum Sommer können nur 60 Prozent der Bevölkerung geschützt ­werden.

Die Impfungen sind also vorerst keine Wunderwaffe, sondern es bleibt unbequem. Alle BürgerInnen müssen weiterhin ihre Kontakte reduzieren, wenn es nicht zu immer neuen Corona-Ausbrüchen kommen soll. Die Impfungen schützen zwar Einzelne, vor allem die Schwächsten, aber noch bieten sie keine Vollkaskoversicherung für die gesamte Gesellschaft. Partys müssen warten.

Doch oft geht es nicht um die platte Realität, sondern um Nationalismus. Es wird zu einem Symbol patriotischen Stolzes, wer zuerst welchen Impfstoff injiziert. Die USA und Großbritannien gerieren sich, als hätten sie das Vakzin von Biontech/Pfizer erfunden.

Es ist der EU hoch anzurechnen, dass sie den Coronanationalismus ihrer Mitgliedsländer abgebremst hat. Die Impfstoffe werden gerecht auf alle EU-Staaten verteilt – und alle fangen gleichzeitig mit dem Impfen an. Auch dafür steht die EMA: für ein geeintes Europa.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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