Basketballtrainerin über ihre Karriere: „Es ist schwer für Frauen“

Trainerin Şükran Gencay ist mit den Basketball-Herren des Hamburger ETV in die Dritte Liga aufgestiegen. Ein Gespräch über Ehrgeiz und Diversität.

Şükran Gencay steht in einer Sporthalle.

Hat sich mit dem Trainerjob als 18-Jährige Geld dazu verdient und ist dabei geblieben: Şükran Gencay Foto: Miguel Ferraz

taz: Frau Gencay, spielt es für Sie eine Rolle, dass Sie die einzige weibliche Basketballtrainerin in der Dritten Liga in Deutschland sind?

Şükran Gencay: Für mich ist es eigentlich nichts Besonderes, denn ich bin ja immer ich. Ich weiß, dass ich eine Frau bin. Für mich ist es also normal. Am Anfang war es deshalb auch anstrengend, immer öfter darauf angesprochen zu werden. Aber mittlerweile sehe ich die Aufmerksamkeit eher positiv.

Warum?

Ich merke, dass dadurch darüber gesprochen und geschrieben wird, normaler wird und nicht mehr so dieses „Oh mein Gott, haste das gesehen, da war eine Frau als Trainerin“ ist. Das finde ich cool und hoffe, dass die Aufmerksamkeit dazu führt, dass sich der Sport in Zukunft weiter durchmischt.

Welche Voraussetzungen haben Frauen im Profisport?

Ich glaube, in dem Fall kann man den Profisport wirklich über einen Kamm scheren. Ich denke, es ist schon sehr schwer für Frauen. Es gibt einfach sehr starre Muster, nicht nur im Sport, auch in der Wirtschaft. Wenn man an einen Chef denkt, dann ist es einfach meistens so, dass man an einen Mann denkt. Ich denke, das ist ein gesellschaftliches Thema, das sich im Sport einfach noch extremer zeigt. Auch weil Sport natürlich generell sehr männlich assoziiert ist. Das muss man erst mal brechen und sagen: Es gibt auch andere Bilder. Wenn Sie mich fragen, ist das überfällig. Man kann ja nicht immer weitermachen wie vor hundert Jahren.

Sehen Sie sich als Vorbild für genau diesen Wandel?

Vorbild finde ich ein starkes Wort. Aber ich hoffe schon, dass meine Geschichte dazu führt, dass Menschen die Hemmschwellen in ihrem Kopf überdenken. Dass Frauen sehen, was möglich ist, und dass Männer damit klarkommen müssen und vielleicht auch erkennen: Das ist gar nicht so schlecht.

Gab es in Ihrer Laufbahn Menschen, an denen Sie sich orientieren konnten?

Ich glaube, Trainer haben immer einen großen Einfluss: Du bist am Heranwachsen, du bekommst Input, du erlebst Extremsituationen im Spiel, du verlierst, du gewinnst. Wie geht man damit um? Da gab es immer Trainer, aber auch ältere Spieler, wo ich mir Dinge abgucken konnte. Wenn ich an ein echtes Vorbild denke, dann wäre das aber meine Mutter.

34, trainiert die 1. Basketball Herren des Eimsbütteler Turnverbands (ETV). Die studierte Wirtschaftsingenieurin arbeitet bei einem Logistikunternehmen und lebt in Hamburg.

Aus welchem Grund?

Sie war alleinerziehend mit mir und meinen beiden Schwestern, hatte Migrationshintergrund, keine Ausbildung in Deutschland. Und dennoch stehen wir drei alle ganz gut im Leben. Davor hab ich ganz viel Respekt – wie sie uns das alles mit harter Arbeit, Mut und Liebe ermöglicht hat. Da hab ich mir ganz viel abgeschaut.

Sie kommen aus Hamburg-Wilhelmsburg, einem klassischen Arbeiter:innenstadtteil. Wie sind Sie dort aufgewachsen?

Mein Vater kam als Gastarbeiter nach Deutschland, hat dann als Schweißer bei Blohm + Voss gearbeitet. Meine Mutter kam nach und natürlich hatten alle die Illusion, nach fünf Jahren mit Taschen voller Geld zurück in die Türkei zu gehen. Aber jeder weiß ja, dass es bei den meisten Familien nicht so gekommen ist. Wir sind hiergeblieben. Mein Vater ist ziemlich früh gestorben, da war ich sechs – und meine Mutter, bis zu diesem Zeitpunkt Hausfrau, musste schauen, wie sie klarkommt. Meine Schwestern und ich sind in St. Georg aufs Gymnasium gegangen, wodurch ich schon immer einen sehr durchmischten Freundeskreis hatte.

Was heißt durchmischt?

In Wilhelmsburg gab es zu dem Zeitpunkt einen sehr hohen Anteil an türkischen Kids. Und es war so, dass sie häufig miteinander abhingen. Das kann gut und schlecht sein, bei mir war es aber so, dass ich von Anfang an zum Beispiel auch viele deutsche oder albanische Freunde hatte. Durch den Sport dann nochmal viele andere. Das hat mir sehr geholfen in dem, wie ich mich entwickelt habe.

Wie kamen Sie zum Sport?

Das lag an meinem intrinsischen Ehrgeiz, denke ich. Ich war immer schon sportlich und letztlich hat mich mein Sportlehrer, der selbst begeisterter Basketballer war, in der fünften oder sechsten Klasse dazu gebracht, mit Basketball anzufangen.

Und Sie haben sich dann einfach im Verein angemeldet?

Meine Mutter kannte das Konzept Vereinssport gar nicht. In Deutschland war das gefühlt immer schon normal, aber sie kannte es einfach nicht. Außerdem gab es keine Vereine in unserer Nähe. Sie war deshalb alles andere als begeistert: „Meine kleine Tochter in die große weite Welt, soll die jetzt einfach in die U-Bahn?“ Das erschien ihr alles zu groß, sodass ich die ersten zwei Jahre nur in der Schule und auf der Straße gespielt habe, im Haus der Jugend in Wilhelmsburg auch. Ich habe dann aber immer weiter gekämpft und meine Mutter genervt.

Und sie hat nachgegeben?

Auch der Trainer unserer Schulmannschaft hat sich sehr dafür eingesetzt, dass ich in einen Verein gehe. Und ja, irgendwann hat sie es dann zugelassen. Der nächste erreichbare Verein war der ETV in Eimsbüttel. Und so bin ich hier gelandet.

Hat sich Ihre Mutter damit abgefunden?

Sie hat natürlich mit der Zeit gemerkt, wie viel mir das bedeutet und was mir das bringt. Irgendwann war sie dann sogar diejenige, die ihren Freundinnen gesagt hat, dass sie ihre Mädels doch mal in den Sportverein schicken sollen. Ich glaube, meine Generation macht in ganz vielen Punkten Sachen zum ersten Mal, die später normal sind. Wenn jetzt ein Mädel mit 16 Basketball im Verein spielt und einen türkischen oder spanischen Background hat, dann ist es halt so – aber damals war das schon was Besonderes.

In den vergangenen Jahren hat sich auch in Wilhelmsburg viel verändert. Wie nehmen Sie den Wandel wahr?

Ich wohne zwar mittlerweile in Altona, verbinde aber noch viel mit dem Stadtteil und bin auch noch regelmäßig dort, um meine Mutter zu besuchen. Ich freue mich auf jeden Fall über vieles, was passiert ist. Dass der Stadtteil durch die IBA …

… die Internationale Bauausstellung …

… aufgewertet wurde – auch mit vielen Parkflächen, mit Sportangeboten für die Kids, das finde ich toll. Es gibt Vereine und ganz viele Angebote, die ich nicht hatte als Kind. Auf der anderen Seite fällt mir die Gentrifizierung im Stadtteil wirklich auf. Manchmal frage ich mich, ob ich in der Schanze oder noch in Wilhelmsburg bin. Das ist schon komisch.

Was bedeutet das für die Leute im Viertel?

Ich habe Angst, dass Familien wie wir früher, die nicht viel Geld haben, da rausgedrängt werden und Wilhelmsburg zu hip für sie wird. Das beobachte ich schon heute. Der Stadtteil ist zwar immer noch durchmischt, aber es ist nicht so, dass ich denke, da kann man sich Wohnen auf Dauer leisten – und das finde ich schon schade.

Zurück zu Ihrer Karriere.Wann haben Sie begonnen, nicht nur zu spielen, sondern auch zu trainieren?

Das ging relativ früh los, so mit 17 oder 18. Da wurde ich gefragt, ob ich mir vorstellen kann, auch mal Teams zu trainieren. Das klang ganz spannend für mich und war auch eine Möglichkeit, mir ein bisschen was dazuzuverdienen. Ich habe dann anfangs eine U12- oder U14-Mädchenmannschaft trainiert.

In dieser Saison haben Sie damit aufgehört, selbst Basketball zu spielen. Wie schwer war der Schritt für Sie?

Ich habe lange relativ gut und hochklassig mit einem tollen Team gespielt und viel erlebt, sodass ich nicht mehr dieses extreme Gefühl hatte, noch etwas zu verpassen. Deshalb habe ich zuletzt vor allem aus Spaß gespielt, während der Ehrgeiz eher in Richtung meines Trainerinnendaseins gekippt ist. Es funktioniert eigentlich ganz gut für mich momentan – und ich habe auch weiterhin die Möglichkeit, bei den Damen mitzutrainieren. Es ist aber auch einfach so, dass es auf diesem Niveau zeitlich nicht mehr geht, dass ich einen normalen Job habe, selbst spiele und trainiere.

Sie spielen als Amateurmannschaft in einer Profiliga – also gegen Teams, die mit dem Sport ihr Geld verdienen. Empfinden Sie das als ungerecht?

Nee, ungerecht finde ich das nicht. Ich finde im Gegenteil, dass ich in einer tollen Situation bin. Ich habe tagsüber meinen Job, bei dem ich mir nicht so viele Gedanken machen muss, ob ich den in einem Jahr noch haben werde. Das ist was anderes, wenn man mit Basketball sein Geld verdient und nach Niederlagen Angst um seinen Job haben muss. Stattdessen ist und bleibt der Sport für mich vor allem eine Leidenschaft.

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