Machtkampf pur

In Sachsen-Anhalt feuert Ministerpräsident Reiner Haseloff seinen Innenminister Holger Stahlknecht, der lange als möglicher Nachfolger galt

Holger Stahlknecht, Ex-Innen­minister von Sachsen-Anhalt Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Von Stefan Reinecke

Bis Freitagvormittag lief der Kampf um den Staats­vertrag in Sachsen-Anhalt äußerst zähflüssig, aber mit klaren Konfliktlinien. Die CDU-Fraktion schaltete auf stur und wollte – der rechte Flügel sowieso, aber auch die Mitte-Christdemokraten – keinen Millimeter von dem Nein zu der Gebührenerhöhung abweichen. SPD und Grüne versuchten verzweifelt, einen Kompromiss zu finden, um das Ende der Regierung zu verhindern. Allerdings lag völlig im Nebel, wie ein Kompromiss zwischen Ja und Nein zum Staatsvertrag aussehen könnte. CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff, der zu dem Konflikt monatelang geschwiegen hatte, versuchte, ein gemeinsames Nein von CDU und AfD unbedingt zu verhindern, und wollte daher die Abstimmung einfach absetzen.

Am Freitag änderte sich die Lage dramatisch. CDU-Innenminister Holger Stahlknecht kritisierte in einem Interview der Magdeburger Volksstimme den „erhobenen Zeigefinger der Moralisierung“ bei den Öffentlich-Rechtlichen – ein Wording, das sonst die AfD benutzt. Die CDU-Haltung zum Staatsvertrag sei „nicht verhandelbar“ – de facto bedeutet das, dass es keine Gespräche mit SPD und Grüne mehr gibt. Sprengstoff hatte aber vor allem der letzte Satz in dem Gespräch: Wenn SPD und Grüne die Regierung verlassen, dann, so Stahlknecht, „käme es zu einer CDU-Minderheitsregierung und zur regulären Landtagswahl am 6. Juni 2021“. Das bedeutet: Stahlknecht schlägt unverblümt vor, dass die CDU sich von der AfD tolerieren lässt. Denn dass SPD und Grüne, nachdem die CDU sie aus der Regierung gefeuert hat, brav eine CDU-Minderheitsregierung tolerieren, ist politisch unvorstellbar. Die grüne Fraktionschefin Cornelia Lüddemann bezeichnete das Interview der taz gegenüber als „offenen Aufruf zum Königsmord“. Auch die SPD, die am Mittwoch noch äußerst verbindliche Töne angeschlagen hatte, schaltete in den Angriffsmodus. Katja Pähle, SPD-Fraktionsvorsitzende, bezeichnete das Interview als „Versuch einer strategischen Rechtsverschiebung, als gezielten Dammbruch und eine offene Kampfansage an den Ministerpräsidenten“.

Stahlknechts Interview wirkte wie ein Brandbeschleuniger, der den Konfliktkern für alle sichtbar machte: Der Streit über den Staatsvertrag ist nicht der Grund, sondern nur der Anlass. Der Konflikt dreht sich um die Frage, ob die CDU weiter die Kenia-Koalition als Bollwerk gegen die AfD will – oder ob man den Zaun zur AfD nicht niederreißt. Genau das hat Stahlknecht nahegelegt. Dabei kann er sich auf einer starke Minderheit in der CDU-Fraktion stützen, die Kenia nie wollte. Stahlknecht, der lange als designierter Nachfolger von Haseloff galt, hat mit dem Interview nicht nur Haseloffs Versuch versenkt, noch einen Kompromiss in der Gebührenfrage zu finden, sondern auch den eisernen politischen Grundsatz des Ministerpräsidenten frontal angegriffen: Keine Zusammenarbeit mit der AfD.

Am Mittag verkündete Haseloff die Innenministerentlassung. Stahlknecht habe „unabgestimmt während der laufenden Bemühungen des Ministerpräsidenten, die 2016 gebildete Koalitionsregierung zu stabilisieren, öffentlich den Koalitionsbruch und die Möglichkeit einer allein von der CDU gebildeten Minderheitsregierung in den Raum gestellt“. Der Putschversuch ist damit niedergeschlagen. Die SPD lobte Haseloff. SPD-Fraktionschefin Katja Pähle sagte: „In einer Zeit, in der die Demokratie bekämpft wird, kommt es besonders auf Haltung an. Reiner Haseloff hat heute Haltung gezeigt.“ Zu Ende ist die Krise aber keineswegs. Bis Mittwoch haben CDU, SPD und Grüne Zeit, einen Kompromiss in der Staatsvertragsfrage zu finden. Dort gibt es keine Bewegung. Es gibt auch schon Gerüchte über einen Termin für eventuelle Neuwahlen: den 28. Februar.

Eine fragwürdige Rolle spielt Friedrich Merz in dem Konflikt. Merz, der CDU-Chef werden will, hat in Sachsen-Anhalt viele Sympathisanten. Merz ist Haseloff in einem entscheidenden Punkt in den Rücken gefallen. Ein gemeinsames Nein im Landtag von CDU und AfD, das Haseloff verhindern will, sei unproblematisch. Es sei „vollkommen unwichtig, welche Meinung die AfD dazu hat“, so Merz.