„Lebendige Menschen sitzen dort irgendwo“

Diese Texte sind in einem Journalismus-Seminar von taz-Redakteurin Eiken Bruhn an der Uni Bremen entstanden. In diesem Jahr fand das Seminar online statt, und im Wintersemester war der Frust so spürbar, dass eine Schreibübung spontan umgenutzt wurde, um ihn los zu werden. Das Thema: „So erlebe ich mein Online-Studium“

Der Hamburger Uni-Campus im Grindelviertel: Die Pizzeria ist der einzige Teil der Mensa, der noch im Normalbetrieb läuft Foto: Miguel Ferraz

Auch geschlossen: das Auditorium der Hamburger Uni im Grindelviertel Foto: Miguel Ferraz

Katze im Rampenlicht

Magst du bitte mal deinen Po aus der Kamera nehmen?“ ist wohl kaum ein Satz, den ich in einem Präsenzkurs oft benutzt habe. Seit letztem Semester ist er aber zu einem Standardsatz geworden. Jedes Mal, wenn ich vor einer Online-Sitzung sitze, springt Rhona (meine Katze) auf den Schreibtisch und stellt sich gerne ins Rampenlicht. Sie versteht nicht, warum ich stundenlang vor dem Laptop sitze und ihr dabei keine Aufmerksamkeit geben kann. Letztendlich liegt sie dann auf meinem Schoß, auf meiner Schulter oder halbwegs auf meinem Laptop. Zwischen Katze und Laptop geht also mein Online-Studium weiter.

Wie ich das finde? Puh! Schwierige Frage. Was ich auf jeden Fall sagen kann: Ich bin froh, dass ich mit weiteren Studenten zusammenwohne. Das Gefühl, nicht die einzige unter unserem Dach zu sein, erleichtert die ganze Sache sehr.

Wenn ich aufzählen müsste, was ich wirklich vermisse, wäre es Folgendes: der Campus an sich. In der Bibliothek zu sitzen. Sich zwischen den Veranstaltungen die Beine vertreten zu können oder auch sich mit Kommiliton:innen persönlich auszutauschen. Mit Freunden: innen sich kurz auf einen Kaffee zu treffen oder sich zum Essen zu verabreden. Neue Bekanntschaften zu machen. Ich persönlich spreche gerne Leute an, bei denen ich denke, dass man einen gemeinsamen Nenner hat. Das fällt bei einem Online-Studium irgendwie weg.

Ich habe aber auch gelernt, die Situation zu schätzen. Ich bin dankbar, dass wir die Möglichkeit haben, weiterzustudieren. Wenn mein Studium jetzt in der Pandemie auch wegfallen würde, dann glaube ich, wäre mir sehr, sehr langweilig geworden.

Was ich ganz cool finde am Online-Studium: Der Kühlschrank ist in erreichbarer Nähe. Und auch jetzt, da es kälter wird, finde ich es ganz schön, mir den Kleidungs-Zwiebel-Effekt sparen zu können, wenn man von einem Gebäude ins andere laufen muss. Und der gute Bio Fairtrade-Kaffee von zu Hause schmeckt einfach viel besser.

Leona Pauli, 28, studiert Kulturwissenschaft/Erziehung und Bildungswissenschaft an der Uni Bremen.

Neuland Internet

Verbindungsprobleme, Tonnen an E-Mails, Rückenschmerzen: Wenn ich das Semester zusammenfassen müsste, wären das wohl die Begriffe, die mir zuerst in den Kopf schießen. Im Jahr 2020, das Internet ist noch Neuland, plagt man sich in einem „Hybrid-Semester“ mit den Veranstaltungen im neuen Format. Synchron, asynchron, als Cast – mit oder ohne Bild –, live und in Kleinstgruppen: mannigfaltige Möglichkeiten, die Lehre doch irgendwie in die Köpfe zu bekommen.

Das Essen in der Mensa, die zufälligen Begegnungen auf dem Campus, das Kennenlernen in der Arbeitsgruppe: Diese fundamentalen Aspekte des Studierens wurden mir genommen. Obschon die Pandemie uns alle einschränkt, ist es wohl das Beste, wenn alle gemeinsam und solidarisch verzichten.

Ich bin froh, das Studium nicht erzwingen zu müssen. Ich habe schon eins hinter mir. Ein oder zwei Urlaubssemester, in denen ich einfach arbeiten gehe, wären kein Problem und für die Psyche und den Geldbeutel wohl am besten. Was keinen Spaß macht, sollte man freiwillig nicht machen. Das lange Warten hat im Dezember aber auch endlich ein Ende für mich: Praktikum.

Es geht doch irgendwie weiter mit Politikwissenschaften. Mit Nicht-Studieren Credit Points zu bekommen, ist in der Pandemie wohl die angenehmste Form des Doch-Studierens. Das Praktikum in Teilzeit streckt sich über das ganze Semester und nimmt mir die Angst, doch zu viel verpasst zu haben. Ich bin sehr froh darüber.

Jan Nordmann, 24, studiert Politikwissenschaften an der Uni Bremen.

Schlafzimmer als Büro

Um es auf gut Deutsch zu sagen: Die letzten zwei Semester waren beschissen. Das letzte Semester habe ich damit verbracht, meine Bachelor-Arbeit zu schreiben. Die Bibliothek war für längere Zeit geschlossen. Ich kam nicht an die Bücher, die ich gebraucht habe. Ich hatte keinen Arbeitsplatz an der Universität.

Sobald ich mit dem Arbeiten fertig war, konnte ich noch nicht einmal meine Freunde sehen oder meinen Hobbys außerhalb des Wohnheims nachgehen. Das hat es nicht gerade einfach gemacht, am nächsten Tag weiterzuschreiben.

So geht es mir eigentlich immer noch. Meine Bachelor-Arbeit ist zwar schon ein ganzes Stück geschrieben, aber Motivation habe ich deshalb trotzdem nicht. Es gefällt mir einfach nicht, zu Hause zu sitzen. Ich muss in dem Zimmer, in dem ich mich normalerweise entspanne, mich auch noch dazu bringen zu arbeiten! Ein Wechsel der Örtlichkeit war bis jetzt immer mein Geheimrezept, um produktiv und motiviert zu arbeiten. Ich bin in der Universität, hier arbeite ich. Ich bin zu Hause, hier entspanne ich.

Jetzt geht das erst mal nicht mehr. Ich muss mich wohl damit abfinden, dass mein Schlafzimmer gleichzeitig auch mein Büro ist.

Joshua Leive, 23, studiert Politikwissenschaften an der Uni Bremen.

Nur die Stimme des Dozenten

Treffen in Gruppen, Freund*innen knuddeln, ins Theater, Kino oder auf Konzerte gehen – tja, wohl nicht dieses Jahr. Stattdessen sitze ich hier. Hier in meinem Zimmer. Anstatt meine Freund*innen zu sehen, starre ich ihn an. Meinen Laptop, der mir mittlerweile viel vertrauter ist, als mir lieb ist. Jeden einzelnen Tag seit Studienbeginn sitze ich davor und starre auf das kalte Display. Lese, schreibe, recherchiere. Aufgepeppt durch lange Gespräche mit meinen Mitbewohner*innen, Musizieren oder Telefonate mit meinen Freund*innen.

Manchmal gehe ich raus, ja. Mein Viertel kenne ich mittlerweile, aber was ist mit dem Rest? Ich studiere, aber kenne die Uni kaum. Habe einige Kommiliton*innen gesehen, aber die meisten nur durch eine Kamera. Vom Schreibtisch aus. „2020 wird das Jahr der Veränderungen!“, habe ich immer gesagt, aber das habe ich damit nicht gemeint! Abitur, Studium, Umzug, neue Stadt, neues Leben!

Aber das neue Leben lerne ich von meinem Schreibtisch aus kennen. Besonders in der ersten Studienwoche hat es sich für mich überhaupt nicht so angefühlt, als ob ich studieren würde. Anstatt mich auf mein Rad zu schwingen, verwirrt auf dem Campus umherzuirren, irgendwann den richtigen Raum zu finden, mit Kommiliton*innen zu quatschen und die Tür zum Vorlesungssaal zu öffnen, öffne ich bloß meinen Laptop. Und höre nur die Stimme des Dozenten oder der Dozentin. Kein Rascheln von Blättern. Kein Kramen nach einem einigermaßen funktionsfähigen Kugelschreiber in den Tiefen des Rucksacks. Nichts dergleichen.

Pia Tönnissen, 20, studiert Kommunikations- und Medienwissenschaft und Kulturwissenschaft an der Uni Bremen.

Endlich wieder zu spät kommen

Wenn ich darüber spreche, ob ich selbst von den Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus betroffen bin, bin ich oft sehr zwiegespalten. Ich habe das Glück und das Privileg, studieren zu können.

Andere Menschen haben das nicht und sind viel stärker betroffen. Dann gibt es noch die, die vergessen werden: Menschen in Geflüchtetenunterkünften, Menschen vor Europas Grenzen, die in Zelten leben müssen und der Gefahr des Virus direkt ausgesetzt werden. Menschen, die wenige soziale Kontakte haben und fast vollständig isoliert sind. Frauen*, die häusliche Gewalt erleben. Obdachlose. Die Liste ist noch länger. Die Liste wird noch länger.

Trotzdem schränken mich die Maßnahmen ein. Ich würde sehr gerne wieder „normal“ zur Uni gehen können. Mich im direkten Kontakt über Inhalte austauschen können. Sogar gerne mal wieder in der Mensa essen, wie sonst immer mit Freund*innen, und dann zu spät zur nächsten Veranstaltung kommen. All das ist weiterhin nicht möglich.

Dann diese Online-Veranstaltungen. In meinem Kopf sind viele Fragen: Warum benutzen alle Dozent*innen verschiedene Konferenzsysteme? Warum findet mein Statistik-Seminar nur alle zwei Wochen als Präsenzveranstaltung statt und dann auch noch vier Stunden lang? Wäre es nicht sinnvoller, sich jede Woche für zwei Stunden zu treffen, um nicht so lange mit so vielen Leuten in einem Raum zu sein? Wann kommt endlich mal jemand auf die Idee, die Stud.IP- Server zu verbessern? Wer ist auf die absurde Idee gekommen, dass es klug wäre, den Eingang zu den Geisteswissenschaften 2 auf den Hinterhof zu verlegen?

Ich wünsche mir ein Stück Normalität im Uni-Alltag zurück. Genau wie viele andere Menschen auch. Gleichzeitig finde ich die Maßnahmen sehr sinnvoll, um die Ausbreitung des Virus zu minimieren. Kritik an diesen Maßnahmen finde ich legitim. Wir sollten jedoch nicht vergessen, dass die Menschen, die diese Entscheidungen treffen müssen, unter unglaublichem Zeitdruck stehen und dem Virus „hinterherlaufen“.

René Bellinghausen, 21, studiert Soziologie und Erziehungs- und Bildungswissenschaften an der Uni Bremen.

Meer aus Fenstern

Grelles,weiß-blaues Licht scheint in mein Gesicht, dringt in meine Augen. Bilder, Buchstaben, ein Meer aus Fenstern. Ich höre schrille Stimmen, sehe unscharfe Köpfe. Augen blicken mich an. Ich begegne mir selbst. Da sitze ich und blicke auf einen Schirm voller Bilder.

Die Verbindung. Ich brauche sie. Ich hasse sie. Lebendige Menschen sitzen dort irgendwo. Lebendig wie ich. Doch man filtert uns. Unser Menschsein wurde ausgesiebt. Es bleibt ein elektronisches Bild. Ein Meer aus Nullen und Einsen, transportiert durch weltumspannende Leitungen. Unsichtbar.

Wir sind verbunden. Und gleichzeitig auf so beängstigende und abschreckende Weise getrennt. Ich bleibe allein. Möchte den Laptop zuklappen. Möchte weg. Dahin, wo das Leben ist.

Jasmin Koepper, 22, studiert Geografie und Kunst-Medien-Ästhetische Bildung an der Uni Bremen.

Rauschende Verbindung

Alle Studierenden, die sich motivieren können und die technische Ausrüstung haben, sitzen nun zu Hause vor ihren Webcams und lauschen der knackenden und rauschenden Verbindung. Und so sitze auch ich Tag für Tag in meinem WG-Zimmer, das nun Büro, Schlafzimmer und Aufenthaltsort in der Freizeit zugleich ist.

Wie sehr ich mir wünsche, zurück an die Universität zu gehen, überrascht mich selbst. Ich habe den vorher als so dröge wahrgenommenen Campus nun als Ort der Lehre und des Austauschs schätzen gelernt. Ich vermisse es, morgens das Haus zu verlassen, unterwegs zu sein, Menschen zu treffen, einen Arbeitsplatz außerhalb der Wohnung zu haben, an dem nicht nur ich arbeite, sondern der für viele ein Raum der Konzentration ist.

Und ich vermisse es, nach Hause zu kommen, zurück in die eigenen vier Wände – und abzuschalten. Das fällt schwer, wenn man vom Bett aus direkt auf den Schreibtisch schaut und daran denkt, wie viele Texte man eigentlich noch lesen müsste.

Neben der Isolation, die sich aufs Gemüt schlägt, sorgen sich die Studenten momentan auch um Praktikumsplätze. Hinzu kommen alle möglichen Vorurteile: „Jetzt chillen die Studierenden wohl nur noch im Pyjama zu Hause und verdummen auf Netflix.“ Diese Vorurteile stimmen einfach nicht. Ich habe während der Pandemie sehr viel mehr für die Uni geackert als in jedem vorherigen Semester.

Aber es gibt Menschen die diese Pandemie sehr viel härter trifft als mich. Ich kann mich glücklich schätzen, dass die Uni überhaupt stattfindet, ich ein komfortables Dach über dem Kopf und finanzielle Unterstützung habe. Die Pandemie lehrt uns vieles – auch Dankbarkeit und Mitgefühl.

Ronia Reichel studiert Medien- und Kommunikationswissenschaft und Kulturwissenschaft an der Uni Bremen.

Nicht nur schlecht

KommilitonInnen sieht man nur noch digital, lauwarme Ravioli ersetzen ausgelassene Mensabesuche, der Prof kennt auf einmal das Boyband-Poster an der Zimmerwand – die Nachteile des Online-Semesters liegen auf der Hand. Doch gibt es auch Vorteile? Drei gute Gründe, warum das neue Lernen nicht nur schlecht ist.

1. Altbewährte Konzepte werden überdacht

„Diese Vorlesung halte ich so schon seit 30 Jahren“: Diesen Spruch kennen wir. Online ist diese jahrzehntelange Erfahrung jedoch nicht mehr viel wert, und auch eingesessene DozentInnen müssen ihre Veranstaltungen neu überdenken.

2. Neue Methoden ergeben neue Möglichkeiten

Wöchentlich müssen wir Übungszettel rechnen und früher wurden diese in Papierform abgegeben. Beim Quer-durch-die-Uni-Getrage zum Korrektor ging öfter auch mal was schief. Seit Corona geht das alles online. Natürlich ist die Frage, ob man für so eine Innovation eine Pandemie braucht, aber dieser kleine Teil meines Uni-Lebens ist eindeutig besser geworden!

3. Profs sind verstärkt auf das Feedback von Studierenden angewiesen

Feedback von Studierenden war früher in wenigen Vorlesungen ein Thema. Dieses Semester ist das anders: Alle DozentInnen fragen explizit nach, ob wir Probleme oder Verbesserungsvorschläge haben. Eine riesige Möglichkeit, für die Studentenschaft, das Lernen zu gestalten – oder?

Klar, alle nervt das Online-Semester und manche haben große finanzielle Sorgen. Doch alles ist sicherlich nicht schlecht und einiges sogar eine Chance.

Louise von Lacroix, 21, studiert Nanowissenschaften an der Uni Hamburg und ist kein Teil des Bremer Schreibseminars.