Auf den Markt statt in den Keller

Anders als selbstgenügsame Kunstpräsentationen dürfen Aus-stellungen zum Verkauf auch im Lockdown öffnen. Die Schlumper aus Hamburg springen mit „Das kleine Format“ in diese Lücke

Ulla Diedrichsens Uhren dürfen nur mit Preis ausgestellt werden Foto: Julia Esterlich/Die Schlumper

Von Falk Schreiber

Der „Keltische Kulthelm, Gold, 500 v. Chr.“ erinnert frappierend an einen reich verzierten Dildo. Aber das ist ja häufig so mit prähistorischen Artefakten: Man erkennt nicht so richtig, was eigentlich zu sehen ist. Oder? Rohullah Kazimi spielt in seiner Serie „Steinzeitobjekte“ mit unserer Vorstellung von Kunst(-Handwerk), mit der Behauptung von Rang, die durch bestimmte Schlagworte („Gold!“, „500 v. Chr.!“) aufgerufen wird. Wobei tatsächlich Tuschezeichnungen zu sehen sind, feingliedrig zwar, kunstvoll, aber eben nicht: golden. Und auch nicht: alt.

„Steinzeitobjekte“ ist eine Satire, und zwar eine höchst unterhaltsame. Im Zuge der Corona-Schutzmaßnahmen sind die Ausstellungshäuser eigentlich geschlossen. Eine Ausnahme bilden kommerziell betriebene Galerien – weswegen auch die Hamburger Ateliergemeinschaft „Die Schlumper“ ihre Verkaufsausstellung „Das kleine Format“ im Lockdown eröffnen kann: 73 Arbeiten von Künstler*innen mit Behinderung, meist auf Papier.

Die dort gezeigte Kunst ist verkäuflich und bewegt sich preislich im niederschwelligen Rahmen, das gibt der Schau ein wenig ein supermarktartiges Gepräge, zudem besteht die Möglichkeit, dass man heute Bilder beschreibt, die schon morgen nicht mehr zu sehen sind. Aber immerhin: Wenn man nichts kaufen könnte, gäbe es die Ausstellung überhaupt nicht.

Der 1987 in Kabul geborene und seit 2007 bei den Schlumpern arbeitende ­Kazimi zählt zu den etabliertesten Künstler*innen des Outsider-Art-Zusammenschlusses. An der Ausstellung ist er mit mehreren Arbeiten beteiligt, wobei die achtteilige Serie „Steinzeitobjekte“ ein Zentrum der Schau darstellt, schlicht durch ihren Umfang. Eine inhaltliche Ausstellungsdramaturgie nämlich gibt es nicht – alle Arbeiten sind kleinformatig, das ist die Setzung, was die Präsentation etwas willkürlich daherkommen lässt.

Gleichwohl: Im ersten Stock überrascht eine Wand in Petersburger Hängung, die diese Vielstimmigkeit zum Formprinzip macht. Magid Ajjanes Übermalungen hängen da neben Miriam Hosners Tellerobjekten, und mittendrin findet man eine kleine Wollskulptur: Michael Gerdsmanns gehäkelten „Fliegenpilz“. Passt alles nicht zusammen und erzeugt gerade in dieser Heterogenität eine Spannung. Freilich, eine Spannung, die sich vor allem durch die interessante Hängung ergibt, und sobald die Werke verkauft sind, ist die Hängung aufgelöst.

Manche Beiträge allerdings vermitteln ihre Qualität auch aus sich heraus. Stefanie Buberts Serie „Mode“ etwa, ein skeptisches Nachdenken über Schönheitsbilder, das in direkter Verbindung zu Magid Ajjanes titellosen Übermalungen von Kunstdrucken steht. Oder Johannes Dechaus Serie „Die drei!!!“, die zunächst an liebevoll nachgezeichnete Hörspielhüllen denken lässt und sich dann zu einem Kommentar auf Geschlechterrollen und auf die Konventionen der Spannungsnarration entwickelt. Zentral bei Dechau sind nämlich drei Mädchen, Kim, Franzi und Marie, und deren Erlebnisse sind weniger abenteuerlich als vielmehr typisch jugendlich.

„Die drei!!! – entdecken, dass Hamburg einen Strand hat“, heißt eine Folge, „Die drei!!! – langweilen sich im Garten“ eine andere. Bis plötzlich ein weiterer Aspekt in die Serie einbricht, mit der Folge „Die drei!!! – im Playboy“. Und auch hier wieder: Dieser plötzliche Umschwung vermittelt sich nur, wenn man die gesamte Serie vor Augen hat, eine Herauslösung der Bilder funktioniert nicht.

Diese Herauslösung findet aber statt, sobald die Bilder einzeln verkauft werden. Was keine Kritik an den beteiligten Künstler*innen ist, auch nicht am Ausstellungskonzept: Die Qualität des Gezeigten steht außer Frage, und die Ausstellung holt das Beste aus einer Idee, die sich als „Kleines Format“ auf eine rein formale Vorgabe konzentriert. Wer die Schau sieht, bekommt einen umfassenden Überblick, wie einer der bundesweit renommiertesten Zusammenschlüsse von Künstler*innen mit Behinderung arbeitet, von Malte Kaisers extrem detaillierten Kaltnadelradierungen bis zu Tongtad Mahasuwans Arte-Povera beeinflusster Skulptur „Rolle“, einer mit Dispersionsfarbe ins Groteske erweiterten Malerrolle, die ihre eigene Materialität infrage stellt.

Die Ausstellung holt das Beste aus einer Idee, die sich als „Kleines Format“ auf eine rein formale Vorgabe konzentriert

Es gibt Gefälliges wie Patrick Mertz’ titellose Halbakte, es gibt extrem Reduziertes wie Birgit Schlemmingers Fineliner-Zeichnungen „Schafe“ und „Blumen“, es gibt Spielereien wie Benjamin Binders detailgetreue, den „Kleines Format“-Rahmen sprengende „Diktiergeräte“.

All das hat seinen Reiz, als Querschnitt durch unterschiedliche künstlerische Sprachen. Gleichzeitig ist es aber auch traurig. Weil es auf einen Verlust verweist: darauf, dass hier eigentlich Kunst gezeigt werden sollte, von Künstler*innen, die etwas zu sagen haben, die mit Sehgewohnheiten brechen, die ihre Fertigkeiten beweisen, die abseits der großen Diskurse produzieren, die Kontexte herstellen.

Und die Ausstellung verweist darauf, dass so etwas derzeit einfach nicht geht, dass die Macher*innen gezwungen sind, ihre Arbeit in eine Verkaufsschau zu integrieren, weil das die einzige Möglichkeit ist, aktuell Kunstpräsentation stattfinden zu lassen. Eine Schau, in der die Werke nicht über Form und Inhalt zueinander in Beziehung gestellt werden, sondern über Listenpreise.

In welchem Verhältnis stehen also Ulla Diedrichsen Arbeiten (180 Euro) zu denen von Janika Roth (80 Euro), jeweils Werke mit dem Titel „Tier“, jeweils Farbstift auf Papier, jeweils 14,5 mal 20,5 Zentimeter? Das ist die falsche Frage, –und dass „Das kleine Format“ diese Frage aufwirft, das ist ein Problem der momentan erzwungenen Ausstellungspraxis.

„Das kleine Format“: bis 14. 2., Galerie der Schlumper, Marktstraße 131, Hamburg