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Christus kommt früher

In Italien dürfen Gottesdienste stattfinden, Kirche gibt sich pragmatisch

Aus Rom Michael Braun

„Der Weihnachtsmesse zwei Stunden früher beizuwohnen oder das Jesuskind zwei Stunden früher zur Welt kommen zu lassen – das ist keine Häresie, ich sage das als Katholik.“ Vor einigen Tagen erläuterte Italiens Minister für regionale Angelegenheiten, Francesco Boccia, wie sich die Regierung unter Ministerpräsident Giuseppe Conte das Weihnachtsfest vorstellt: voll im Coronamodus ohne auch nur die kleinste Lockerung.

In ganz Italien gilt gegenwärtig die Ausgangssperre von 22 Uhr bis 5 Uhr morgens, und das wird auch an Heiligabend so bleiben. Nichts ist es deshalb mit der traditionellen Christmette um Mitternacht. Im Jahr 2020, in Italien, kommt Christus einfach früher zur Welt. Den Grund lieferte Minister Boccia auch: „Häresie ist es, die Kranken nicht wahrzunehmen, die Schwierigkeiten, in denen sich die Ärzte befinden, die leidenden Menschen.“

Messen dürfen in Italien seit dem Ende des Frühjahrs-Lockdowns wieder gefeiert werden, mit Desinfektionsmittel am Eingang der Kirchentüren, mit Verzicht auf Gesang und mit strikten Abstandsregeln. An alldem wird sich auch über die Weihnachtstage nichts ändern; die Pfarreien sind aufgefordert, am 24. Dezember über Tag genügend Gottesdienste anzubieten, damit alle Gläubigen zum Zug kommen, ohne dass es Gedränge gibt.

Gegen den Minister Boccia protestierte zwar der Bischof aus dem apulischen Altamura, Giovanni Ricchiuti, mit der Forderung, der Politiker solle „die Hände vom Weihnachtsfest der Christen lassen“. Und der Lega-Chef Mat­teo Salvini schob nach, Boccia möge doch bitte schön „den Kindern nicht das Weihnachtsfest verderben“, so als seien ausgerechnet die Kleinen besonders scharf darauf, nächtens zur Kirche zu gehen.

Doch weder die italienische Bischofskonferenz noch gar Papst Franziskus ließen mit weiteren Protesten von sich hören. Sie akzeptierten ohne Murren die Vorgabe der Regierung. Franziskus selbst machte am letzten Dienstag vor, dass er selbst den Ball flach halten will. Normalerweise begibt sich seit 1958 jeder Papst jedes Jahr am 8. Dezember ins Zentrum Roms zur Mariensäule an der Piaz­za di Spagna, um Marias unbefleckte Empfängnis mit der Niederlegung weißer Rosen zu würdigen. Franziskus cancelte dieses Jahr das für den Nachmittag vorgesehene Event, um „Menschenansammlungen“ zu vermeiden. Stattdessen kam er allein, still und heimlich ohne jede Vorankündigung morgens um sieben.

Die Christmette im Petersdom wird am 24. Dezember bereits um 19.30 Uhr gefeiert. Unklar ist noch, ob Franziskus wie vor einem Jahr am 6. Januar Kinder taufen wird.