„Geschichtsbild der 1950er Jahre“

Die Gedenkstätte Bergen-Belsen und der Stadtrat in Bergen streiten über Rolle der Wehrmacht

Von Reimar Paul

Eine Erklärung der Gedenkstätte Bergen-Belsen und der Stadt Bergen zum Weltfriedenstag sorgt für Wirbel. Die Gedenkstätte kündigte am Mittwoch an, sie werde ihre Unterschrift zurückzuziehen, falls der Berger Stadtrat einem Antrag von CDU und FDP folge und die Erklärung ändere. Die Erklärung war am 21. September von Bergens parteiloser Bürgermeisterin Claudia Dettmar-Müller vorgetragen worden. Darin hieß es: „Während des Zweiten Weltkrieges haben SS und Wehrmacht vor unserer Haustür unvorstellbare Verbrechen begangen.“

Im Kriegsgefangenenlager Bergen-Belsen starben 1940 bis 1945 rund 20.000 überwiegend sowjetische Gefangene, dafür war die Wehrmacht verantwortlich. Im KZ Bergen-Belsen, das von der SS betrieben wurde, kamen 1943 bis 1945 etwa 52.000 Häftlinge zu Tode.

Nachdem der Stadtrat am 24. September wegen Bedenken aus CDU und FDP einen Beschluss über die öffentlich verlesene Erklärung vertagt hatte, beschloss nun der Verwaltungsausschuss die Nennung der Wehrmacht in dem zitierten Satz in „Teile der Wehrmacht“ zu ändern. Dieser Beschluss soll in der heutigen Ratssitzung bestätigt werden.

In einer Stellungnahme zeigt sich die Gedenkstätte „irritiert, dass die Stadträte von CDU und FDP planen, eine von zwei Seiten unterschriebene Erklärung zu ändern, ohne eine der beiden Seiten, nämlich die Gedenkstätte, überhaupt zu konsultieren“. Inhaltlich sei der von CDU und FDP in die Erklärung hi­neinredigierte Zusatz „Teile der“ unsinnig: „Es ist klar, dass nicht jeder einzelne Wehrmachtssoldat an den Verbrechen in Bergen-Belsen beteiligt war – wie im übrigen auch nicht alle SS-Angehörigen in Bergen-Belsen tätig waren“, heißt es. Gemeint seien die Institutionen Wehrmacht und SS.

Schwerwiegender sei aber die geschichtspolitische Bedeutung der geplanten Änderung: Damit leisteten die Stadträte dem Geschichtsrevisionismus Vorschub. Spätestens nach der zweiten Wehrmachtsausstellung von Anfang der 2000er sei allgemein anerkannt, dass sich Verbände der Wehrmacht wie auch die Institution selbst schwerwiegender Verbrechen schuldig gemacht hätten – etwa systematisches Verhungernlassen von Millionen Kriegsgefangenen und Zivilisten, die Überstellung jüdischer Kriegsgefangener an die Konzentrationslager oder die Beteiligung an Massen­erschießungen.

„Der Mythos von der ‚sauberen Wehrmacht‘ schien überwunden“, so die Gedenkstätte. „Doch nun fallen die Stadträte in Bergen wieder dahinter zurück und offenbaren ein apologetisches Geschichtsbild, das an die 1950er Jahre erinnert.“