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Global denken, lokal trinken

In einer traditionellen Manufaktur und neueren Mikro-Destillerien werden in Berlin aus heimischen Zutaten unter anderem diverse Wodkas, Gins, Kräuterbitter, Obstbrände und Liköre gebrannt

Seit 1874: Schnäpse aus dem Wedding Foto: D. Spiekermann-Klaas/tagesspiegel/imago

Von Ansgar Warner

Wenn es um Schnaps geht, ist die Kartoffel auch nur so eine Art exotisches Obst: Man kann aus ihr durch alkoholische Gärung eine hochprozentige Maische herstellen, aus der per Destillation beinahe reiner Alkohol wird. Mit Wasser auf trinkbare Werte verdünnt, erhält man klassischen Erdäpfel-Brand. Kein Wunder, dass im Kartoffel-Land Preußen schon im 19. Jahrhundert die Schnaps-Industrie boomte – alleine in der Provinz Brandenburg soll es um 1831 mehr als 1.400 private Brennereien gegeben haben.

Doch auch der Staat brannte kräftig mit, egal ob nun Kartoffeln oder Weizen als Grundlage dienten: 1874 wurde per Kabinettsorder in Berlin-Wedding die „Versuchs- und Lehranstalt für Spiritusfabrikation“ gegründet, bald darauf umbenannt in die „Preußische Spirituosen Manufaktur“. Die besteht im Kern (und im Korn) bis heute – inzwischen betrieben von TU-Professor Ulf Stahl, Barmann Gerd Schroff und Destillateurin Janine Mlitzke.

Schon alleine wegen der historischen Gerätschaften am bis heute erhaltenen Orginal­standort lohnt sich ein Besuch, wegen des Fabrikverkaufs aber ebenfalls: Zu den unter Kennern geschätzten Marken gehören Adler Berlin Wodka und Adler Berlin Gin, aber auch diverse Kräuterbitter, Obstbrände und Liköre.

Eine fast ebenso lange Tradition, dafür aber einen deutlich weiteren Weg hinter sich hat Vodka Schilkin. Vermarktet wird er heutzutage als „Made in Berlin von den Machern der Berliner Luft“ – von Weitem könnte man die Flaschenkegel mit blauer Banderole fast für Wodka Gorbatschow halten. Das ist gar nicht so weit hergeholt. Schon die russischen Zaren schenkten sich Schilkin ein, schließlich wurde das Unternehmen im Jahr 1900 in Sankt Petersburg gegründet von Apollon Fjodorowitsch Schilkin.

Als dann Wladimir Iljitsch Lenin an die Macht kam, verlegte die Schnapsbrenner-Dynastie ihren Lebenmittelpunkt nach Berlin. Seit 1932 wird Vodka Schilkin im fernöstlichen Stadtteil Kaulsdorf gebrannt. Nach dem Krieg wiederaufgebaut, in der späten DDR verstaatlicht, nach der Wende wieder privatisiert.

Die Schnaps-Industrie boomte schon im Kartoffel-Land Preußen

Die einen brennen im großen Stil, die anderen im kleinen, was dann gerne mit dem Begriff „Mikro-Destillerie“ belegt wird. Eine solche betreibt etwa das Label „Our/Berlin Vodka“ unweit des Treptower Parks. Die per Hand in drehkronbekorkte 350-Milliliter-Fläschchen abgefüllte Spirituose ist Teil einer Initiative des französischen Spirituosenherstellers Pernod Ricard, die in diversen Metropolen rund um den Globus jeweils geschmacklich angepasste Vodka-Rezepte erfindet, von Detroit bis Amsterdam, von London bis eben Berlin.

In diesem Fall sind heimischer Weizen und Treptower Grundwasser drin. Und wenn man will, hat man nicht nur einen im Tee, es geht auch umgekehrt: per „Vodka Infusion Tee Kit“ lässt sich Our/Berlin etwa mit Matcha-Aroma aufpeppen.

In der Kreuzberger Schnaps-Szene lautet das Motto ebenfalls „Global denken, lokal trinken“. Das dort ansässige „Freimeister“-Kollektiv vereint eine ganze Reihe von Barkeepern, Kleinbrennern und Mikro-Destillateuren aus Berlin, Deutschland und der Welt – Ziel ist es, den Spirituosenmarkt nicht den Industrieriesen zu überlassen. Der Vertrieb wird online und per App inr Richtung Privatkunden wie auch Restaurants und Kneipen organisiert.

Ein gutes Beispiel für das hochprozentige Netzwerk ist der Initiator Theo Ligthart. In der hauptstädtischen „Craft Distiller“-Szene wurde er mit Eigenkreationen wie „Das Korn“ bekannt. Drei Weizensorten stecken drin, angebaut wird der Rohstoff in Brandenburg. Kornkenner attestieren dem klaren Getränk im eckigen Flakon Frucht- und Vanillearomen und einen milden Abgang mit leichter Süße. Es ist letztlich sogar Fusel mit künstlerischem Anspruch: Lighthart versteht das Gebinde mitsamt Inhalt als eine Form der sozialen Plastik im Sinne des Altmeisters Joseph Beuys.

Die Produkte der Preussischen Spirituosen Manufaktur Schroff & Stahl GbR können vor Ort oder über die Webseite erworben werden. Seestr. 13, 13353 Berlin. Öffnungszeiten: Mo.–Fr. 11–19 Uhr oder nach Vereinbarung. Tel.: (030) 450 28 537, E-Mail: info@preussenbest.de, www.psmberlin.de.

Der Vodka der Schilkin GmbH & Co. KG Berlin kann online erworben werden. aniland-shop.de/schilkin.

Our/Berlin Vodka hat einen Laden in Treptow. Am Flutgraben 2, 12435 Berlin. Öffnungszeiten: Mo.–Fr. 10–18 Uhr, www.ourvodka.com.

Die Waren des Craft-Distiller-Netzwerks Freimeisterkollektiv GmbH können per App und online, aber auch in zahlreichen über die Stadt verteilten Bars und Geschäften gekauft werden, freimeisterkollektiv.de.

Das Ladengeschäft von Fräulein Brösels Schnaps­erwachen GmbH ist in der Friedelstraße 28, 12047 Berlin. Öffnungszeiten: Mo.–Fr. 10–18 Uhr, schnapserwachen.com.

Geistreiche Schwerpunkte setzen dabei inzwischen auch Destillateurinnen, etwa Karin Stelzer, die von Kigali/Runda aus exotische Obstbrände ins Freimeisterkollektiv einspeist, etwa mit Ananas, Mango, Tamarillo und Maracuja-Aromen. Obstbrände aus der Norddeutschen Tiefebene steuert wiederum die Bremer Brennerin Brigitta Rust bei, zum Beispiel auf Basis von Schlehe, Hagebutte oder Sanddorn.

Auch in Berlin selbst ist das Schnapsbrennen und Destillieren keine ausschließliche Männerdomäne mehr. Siehe Fräulein Brösel, mit bürgerlichem Namen Stefanie Drobits. Die Exil-Österreicherin und gelernte Mobile-Market Managerin brennt nicht nur edle Tropfen, sie betreibt in Neukölln einen eigenen Laden: „Fräulein Brösels Schnapserwachen“. Beliebt bei den Kunden, zu denen auch viele Berliner Restaurants und Kneipen gehören, ist seit jeher der Haselnuss-Schnaps, eine der aktuelleren Kreationen nennt sich „Mieze Schindler“.

Dieser Erdbeerschnaps bekam seinen Namen von einer alten Sorte, die in den zwanziger Jahren bei Dresden von einem gewissen Herrn Otto Schindler gezüchtet wurde – seine Frau Mieze mochte die hocharomatische Erdbeersorte besonders gern. Ein halbes Dutzend Schnapsgeister versammelt Brösels Destillen-Portfolio derzeit, darunter auch solche Sorten wie Vogelbeere, Schwarze Johannisbeere und Marille.