die woche in berlin
: die woche in berlin

Diese Woche bringt gleich zwei Schlappen für den Berliner Senat: Das Verfassungs­gericht entscheidet zugunsten der Initiative Berlin Werbefrei. Und dann wird der vorschnelle Abriss des Jahnsportparks kassiert. Ach ja, und die Debatte über ein (un)mögliches Böllerverbot wird zum Rohrkrepierer

Direkte Demokratie sabotiert

Beschämender Umgang des Senats mit Volksbegehren

Hören Sie auf mit Ihren Sonntagsreden über die Stärkung direkter Demokratie! Tun Sie nicht mehr so, als würden Sie das Engagement Ihrer Bürger*innen wertschätzen!

Ja, Sie sind gemeint, rot-rot-grüne Mitglieder des Senats, insbesondere der Senatsverwaltung des Inneren. Seien Sie ehrlich: Die Möglichkeit direkter Demokratie ist Ihnen eine Last, der Sie mit Sabotage begegnen. Wie anders sollte man den Umgang mit Volksbegehren in dieser Legislaturperiode auch beschreiben.

Das prominente Beispiel: Mehr als 14 Monate hat sich die Verwaltung von Innensenator Andreas Geisel (SPD) Zeit gelassen, um einen simplen Antragstext der Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen zu prüfen. Dann entschied man sich, ihr eine Abschwächung aufs Auge zu drücken und den Text von einem Gesetzesauftrag zu einer formal unverbindlichen Aufforderung herabzustufen.

Aber es geht noch schlimmer: Wurde mit den Gegenr*innen des Immobilien­konzerns wenigstens noch gesprochen, so sind andere Versuche einfach direkt mit der Arroganz der Macht vom Tisch gewischt worden. Obwohl, von „direkt“ kann keine Rede sein, wenn es wie im Fall des Volksentscheids Berlin Werbefrei 16 Monate dauerte, bis der Senat entschied, das Gesetz verstoße gegen das Recht, und es ohne Rückkopplung mit den Streiter*innen für eine lebenswerte Stadt dem Verfassungsgericht vorlegte. Ebenso wurde mit einem Volksbegehren für mehr Videoüberwachung verfahren; da allerdings schon nach rekordverdächtigen sieben Monaten.

In beiden Fällen hat das Berliner Verfassungsgericht dem Senat seine sorgfältig geprüften Entscheidungen um die Ohren gehauen. Bereits im September wurde gerügt, dass der Senat seine Bedenken nicht mit den Überwa­chungs­freun­d*innen erörtert habe, obwohl er laut Abstimmungsgesetz genau dazu verpflichtet ist. Paragraf 17, Absatz 4. Schauen Sie mal nach, liebe Zuständige!

Ein vergleichbares Urteil folgte nun diese Woche im Falle von Berlin Werbefrei. Auch hier hielt der Senat es nicht für nötig, zu kommunizieren, und versteifte sich stattdessen auf die absurde Position, das Anliegen sei unzulässig, weil mit den geforderten Verboten von Werbung im öffentlichen Raum und in öffentlichen Räumen zwei gänzlich unterschiedliche Forderungen gekoppelt würden. Netter Versuch, entschied das Gericht.

Der Rechtsstaat funktioniert, also Ende gut, alles gut? Nein! Die Verzögerungstaktik und Ablehnungspraxis des Senats führt etwa im Fall der Wer­bungs­be­freier*innen dazu, dass sie nun zwar weitermachen können, eine Volksabstimmung parallel zur nächsten Wahl aber nicht mehr zu schaffen ist. Bei einem eigenständigen Termin aber die notwendige Anzahl von Berliner*innen an die Urnen zu holen, ist ein extrem schwieriges Unterfangen. Die Chancen für die engagierten Bürger*innen wurden minimiert – danken können sie den Sonntagsredner*innen. Erik Peter

Die Möglichkeit direkter Demokratie ist Ihnen eine Last, der Sie mit Sabotage begegnen. Wie anders sollte man den Umgang mit Volksbegehren in dieser Legislatur­periode auch beschreiben

Erik Peterüber die Entscheidung des Berliner Verfassungsgerichts zur Volksentscheid-Initiative Berlin Werbefrei

Senat muss wieder mal klein beigeben

Jahnsportpark wird nun doch nicht abgerissen

Ein Sportsenator, der eine Großveranstaltung nach Berlin holen will. Sportverbände, die auf eine neue Arena hoffen. Behindertensportlerinnen und -sportler, die eine moderne, inklusive Anlage haben wollen. All das zusammen ergab eine Gemengelage, in der die Verantwortlichen auf Zeit spielten. Je schneller das marode Jahnstadion in Prenzlauer Berg abgerissen werden würde, desto schneller würde eine neue Arena entstehen können, die Großveranstaltungen und Behindertensport gleichermaßen ermöglicht.

So dachte es sich der rot-rot-grüne Senat, allen voran Sportsenator Andreas Geisel (SPD). Allerdings machte er seine Rechnung ohne den Bezirk. Denn weder wurde bei dieser Quick-and-dirty-Planung untersucht, ob das alte Stadion oder wenigstens Teile davon saniert werden können. Noch folgte der Sportsenator den Forderungen der Bürgerinitiative Jahnsportpark, erst das gesamte Gelände zu planen, bevor mit dem Abriss nur des Stadions begonnen wird. Dieser Verweigerung brachte dann auch Abgeordnete aus dem Bezirk in Stellung.

Dass das Stadion nun vorerst doch nicht abgerissen wird und die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen am Montag den Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan bekannt gab, hat damit zu tun, dass der Senat in dieser Stadt nicht nach Gutsherrenart agieren kann. Selbst dort, wo er das Verfahren an sich gezogen hat, müssen am Ende noch die Abgeordneten im Landesparlament zustimmen. Im Fall des Jahnsportparks drohte dem Sportsenator eine Niederlage im Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses, also lenkte er – zähneknirschend – ein.

Es ist nicht das erste Mal, dass Abgeordnete auch der Regierungskoalition gegenüber dem eigenen Regierungsbündnis mit den Muskeln spielen. Am Checkpoint Charlie waren es Grüne und Linke, die gegen den Letter of Intent des rot-rot-grünen Senats mit dem Investor protestierten. Auch hier musste der Senat klein beigeben, in einem Bebauungsplanverfahren konnte das Parlament die Planungshoheit zurückgewinnen. Auch hier hatte also die Legislative das letzte Wort und nicht die Exekutive.

Nun mag ein oft jahrelang dauerndes Bebauungsplanverfahren in Zeiten der sprichwörtlich gewordenen „Tesla-Geschwindigkeit“ ein Anachronismus sein. Dennoch kann nur so sichergestellt werden, dass alle Beteiligten angemessen gehört und in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Dass sich in Pankow und Mitte die Abgeordneten durchgesetzt haben, kann also auch in Neukölln oder Charlottenburg-Wilmersdorf Mut machen. Denn dort will der Karstadt-Eigner Signa trotz heftiger Proteste ebenfalls Fakten schaffen. Das Parlament könnte ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Uwe Rada

Die Knallköpfe dürfen weiter Krach machen

Die jährliche Debatte übers Böllerverbot endet wie immer

Nie war Berlin einem effektiven Böllerverbot an Silvester so nah, wie in diesem vermaledeiten Coronajahr 2020. Nie wäre es so einfach und logisch gewesen, den öffentlichen Verkauf von Raketen, Batterien und Knallfröschen zu untersagen, denn dieses konkrete Verbot bräuchte es dafür: Wo keine Böller, da keine Böllerei, da kaum angeheiterte nachbarschaftliche Umarmungsorgien auf der Straße um 24 Uhr, keine Nachbildung von Straßenkämpfen und keine unnötigen Schichten in den wegen Corona bereits am Limit arbeitenden Krankenhäusern.

Ein schlichtes bundesweites Verkaufsverbot hätte aufwendig abgesperrte Verbotszonen und aufreibende Kontrollen durch die Polizei unnötig gemacht. Und über die paar Knallerreste, die noch in den Schubladen herumlagen, oder die paar geschmuggelten Kracher aus östlichen Nachbarländern, über die hätte man dezent hinweggehört. Das Jahr 2020 ohne sinnlos abgetrennte Finger und schwer verletzte Zehnjährige zu beenden, ohne viel unnötigen Feinstaub in der Luft und ohne rotschimmernde Knallerreste am Boden: Das wäre angemessen gewesen nach zehn Monaten Pandemie und ein Zeichen an jene, die in dieser Zeit oft Alltagshelden genannt wurden, etwa die Pfleger in den Kliniken.

Aber der auch unter Druck der Berliner Grünen forcierte Verbotsvorschlag endete in der entscheidenden Sitzung der Kanzlerin mit den MinisterpräsidentInnen am Mittwoch wie einer dieser „Heuler“ genannten Miniraketen: Erst krass laut, aber nach drei Sekunden vorbei. Am Ende haben Angela Merkel und die LänderchefInnen Silvesterfeuerwerk lediglich auf belebten Plätzen und Straßen untersagt. Wie die konkreten Vorgaben aussehen werden, damit soll sich laut Berlins Regierendem Bürgermeister die Ministerpräsidentenkonferenz noch mal am 2. Dezember befassen. Er strebe eine bundesweit einheitliche Lösung an, sagte Michael Müller (SPD) am Donnerstagabend nach der Senatssitzung.

Angesichts der Inkonsequenz vieler Beschlüsse vom Mittwoch ist diese Haltung zum Böllern konsequent: Wer zuvor extra verschärfte Kontaktbeschränkungen über Weihnachten massiv lockert, der darf seinen BürgerInnen auch nicht die Freude am Knallen nehmen wollen. Die heidnisch-christlichen Spiele müssen bleiben, egal wie hart das Brot danach schmeckt.

Natürlich hätte ein Verbot einen weiteren Verzicht auferlegt: Viele Menschen haben fast kindlichen Spaß am Böllern, am Raketen betrachten, am Zündeln, und es ist auch nichts dagegen zu sagen, sein Leben lang irgendwo ein Kind zu bleiben. Und natürlich hätte sich die Politik dem Vorwurf ausgesetzt gesehen, die Pandemie nur als Vorwand zu nutzen, um eine Maßnahme durchzusetzen. Aber wäre das so schlimm, da es sich um eine schlichtweg logische und sinnvolle Maßnahme handelt?

In vielen anderen Städten der Welt ist man längst zu dieser Einsicht gekommen. Und die Menschen dort leben trotzdem noch. In anderen Ländern wird auch viel schärfer gegen Zigaretten vorgegangen, und auch dort leben die Menschen noch. Und in anderen Städten werden ganze zentrale Bereiche für den Autoverkehr gesperrt und von FußgängerInnen zurückerobert. Und diese Städte sind bisher nicht untergegangen.

Ein allgemeiner Verzicht auf Böller in diesem Jahr – und erst mal nur in diesem – hätte gezeigt, was fehlt, wenn nicht geknallt wird, und was nicht fehlt. Viele wären sicher erstaunt gewesen.Bert Schulz