Ein Kind mit Mundschutzmaske und einem roten Stift in der Hand sitzt an seinem Schreibtisch

Sie darf zum Unterricht kommen: Grundschülerin in Barcelona Foto: Emilio Morenatti/ap/picturealliance

Schulen in Coronapandemie:Wie es Nachbarländer machen

Schließungen, Wechselunterricht oder Luftfilter – hierzulande spitzt sich die Debatte um Schulen in der Pandemie zu. Wie sieht es in Europa aus?

18.11.2020, 11:10  Uhr

Österreich: Wahrer Glaubenskrieg um den Unterricht

Der Kampf ist entschieden: Am Dienstag ging Österreich in einen zweiten harten Lockdown, der auch den Kindern im Pflichtschulalter Distanzunterricht verordnet. Bis 6. Dezember öffnen die Schulen nur für jene Schülerinnen und Schüler, deren Eltern die Betreuung nicht wahrnehmen können. Bildungsminister Heinz Faßmann (parteilos auf einem ÖVP-Ticket) versprach, dass die Kinder dort nicht nur verwahrt, sondern auch in Kleingruppen unterrichtet würden. Dafür sollen etwa Lehramtsstudierende kurz vor dem Abschluss angeworben werden.

In den Direktionen scheint diese Botschaft nicht flächendeckend angekommen zu sein. Die pensionierte Schuldirektorin Heidi Schrodt teilte auf Twitter das an die Eltern gerichtete Schreiben einer Schule, in dem es wörtlich heißt: „Für Kinder, deren Eltern außer Haus arbeiten und die unbeaufsichtigt wären, besteht die Möglichkeit, dass sie von 8.00 bis 11.45 vormittags in der Schule von einer Lehrerin/einem Lehrer in einer jahrgangsübergreifenden Gruppe betreut werden. (Kein Unterricht, nur Betreuung).

Die von vielen Eltern und Bildungs­experten gehegte Befürchtung, die ohnehin schon abgehängten Kinder würden durch den Lockdown weiter an Terrain verlieren, wird dadurch nicht gerade entkräftet.

In den letzten Wochen hatte ein wahrer Glaubenskrieg um die Schulen getobt. Nicht nur gestresste Eltern traten dafür ein, den Unterricht unter allen Umständen aufrechtzuerhalten. Auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, die als Epidemiologin und ehemalige Gesundheitsministerin weiß, wovon sie spricht, findet die Lösung nicht in Ordnung. Nicht nur weil Kinder unter 14 „keine oder eine geringe Rolle“ spielten, sondern auch wegen „Nebenwirkungen“, die von schwer zu schließenden Bildungs­lücken bis zu Engpässen bei der weiblich dominierten Spitalspflege reichten.

Die These, dass Kinder weniger ansteckend seien, wird allerdings von einer am Wochenende veröffentlichten Dunkelzifferstudie im Auftrag des Bildungsministeriums entkräftet. Universitäten in vier Bundesländern haben 10.000 Schulkinder zwischen 6 und 14 Jahren sowie Lehrpersonen mit Gurgeltests untersucht.

Ihr Ergebnis: Unter den 40 positiv Getesteten lässt sich weder ein signifikanter Unterschied in der Ansteckungsrate zwischen Lehrern und Kindern noch zwischen den unter 10-Jährigen und den 10- bis 14-Jährigen erkennen. Damit werde widerlegt, dass jüngere Kinder weniger anfällig für Ansteckungen seien.

Frankreich: Schlechte Noten für die Regierung

Innerhalb einer Woche, vom 5. bis 11. November, hat sich die Zahl der positiv auf Corona getesteten Schüler:innen in den Grund- und Mittelschulen laut dem französischen Erziehungsministerium auf 12.487 vervierfacht. Insgesamt verzeichnet Frankreich täglich zwischen 30.000 und 50.000 bestätigte Neuinfektionen. Trotz dieser bedenklichen Entwicklung möchte Premierminister Jean Castex, der die zweite Lockdown-Periode bis zum 1. Dezember verlängert hat, die öffentlichen Schulen weiter offen halten. Nur die Hochschulen sind weitestgehend geschlossen.

Zahlreiche Eltern von Schulkindern sowie die Gewerkschaften der Lehrer:innen äußern jedoch ihre Besorgnis. Auf Twitter veröffentlichte ein Kollektiv von Beamt:innen des Erziehungssystems Fotos, die zeigen, wie wenig die Vorsichtsmaßnahmen umgesetzt werden.

Diese internen Kriti­ker:in­nen nennen sich „Stylos rouges“ – „Rotstifte“. Sie haben sich zum Sprachrohr der Proteste im öffentlichen Schulsystem Frankreichs gemacht und kreiden an, dass Warteschlangen von Schüler:innen, hoffnungslos überfüllte Schulrestaurants sowie der Mangel an Masken und Platz für den nötigen Abstand ie Regel seien.

Am Dienstag vergangener Woche haben deshalb mehrere Gewerkschaften einen Streik organisiert. Marc D., Geschichtslehrer in einem Collège (untere Mittelschulstufe) in Versailles, erklärt dazu: „Bezüglich der Covid-Vorschriften sagt man uns ständig‚ diese sollten ‚wenn möglich‘ eingehalten werden. Konkret aber ist dies so gut wie nie und nirgends möglich.“ In den Gängen und beim Betreten der Klassen seien die Schüler dicht beieinander.

Dass die Schulen offen bleiben, entspricht der Regierungsstrategie, dieses Mal die Wirtschaft, soweit es geht, in Gang zu halten. Die Schulleitungen sind gehalten, die Einhaltung der Abstandsregeln zu organisieren und wenn möglich den Unterricht in halbierten Klassen durchzuführen. Zudem müssen Schüler:innen ab 11 Jahren und das gesamte Personal Masken tragen. Seit Neustem sollten auch die Kleineren ab 6 eine Maske tragen.

Alexandra Zins-Lavigne, Mutter von zwei Schulkindern in Paris, meinte gegenüber der taz: „Das ist nicht nur ein zusätzlicher Kostenfaktor, sondern auch für meinen 7-jährigen Sacha nach kurzer Zeit schlicht unerträglich. Wenn wirklich eine große Infek­tionsgefahr besteht, müssten sie konsequenterweise die Schulen schließen.“ Der Regierung würde sie in Sachen Covid-Politik eine „schlechte Betragensnote“ geben.

Tschechien: Wer nicht klickt, der fehlt

Bevor die Achtklässlerin Katarina dieser Tage morgens aus ihrem Bett im siebten Prager Bezirk steigt, hat sie schon die erste Schulstunde hinter sich. Seit einem Monat ersetzt der virtuelle Meeting-Room die traditionellen Klassenzimmer Tschechiens. Jedes Fach hat dabei seinen eigenen Link, es gilt: Wer nicht klickt, der fehlt.

Darf Katarina morgens sonst die Tram nicht verpassen, die sie zu ihrer Schule am Prager Wenzelsplatz bringt, 14 Minuten von zu Hause entfernt, reichen ihr in Notstandszeiten ein Handy und eine Internetverbindung, damit sie ihre gesetzliche Schulpflicht erfüllt. „Bis Weihnachten könnte das von mir aus noch mindestens dauern“, lacht die Achtklässlerin.

Nicht nur für tschechische Schülerinnen und Schüler ist der Unterricht bequemer, seit die Regierung im Rahmen ihrer Anticoronamaßnahmen sämtliche Bildungseinrichtungen der Republik geschlossen hat. Von der Grundschule bis zur Universität ist nun sämtliche Kommunikation auf Google, Skype oder TeamViewer beschränkt.

Viele der Schulen kommen gerade so mit den Kernfächern nach: Mathe, Tschechisch, Fremdsprache. Im Durchschnitt unterrichten viele Schulen so nur noch vier anstatt sechs Stunden pro Tag. „Dafür haben wir aber mehr Aufgaben“, betont Katarina und erzählt von ihrer Power-Point-Präsentation für das Fach Gemeinschaftskunde.

Unterricht light für Schülerinnen und Schüler – aber nicht unbedingt für die Eltern. „Bei drei Kindern bin ich um zwölf Uhr mittags schon völlig fertig“, stöhnt Petr Novotný, der in seinem Job als Architekt dem Rat der Regierung folgt und, soweit es geht, im Homeoffice arbeitet.

Über die Hälfte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, so fand eine Studie des Gesundheitsministeriums heraus, bleiben in diesen apokalyptisch anmutenden Zeiten am heimischen Schreibtisch. Denn im Rahmen der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sind nicht nur die Schulen geschlossen und die Firmen im Homeoffice. Auch Gaststätten und Geschäfte sowie kulturelle Einrichtungen wurden durch Corona in einen Dornröschenschlaf versetzt.

Wie lange der noch anhalten wird, weiß niemand so recht. Schon am Donnerstag müssen Schülerinnen und Schüler der ersten beiden Klassen zwar wieder zum Präsenzunterricht erscheinen. Weitere Lockerungen hat die Regierung bislang jedoch noch nicht angekündigt: „Die Rückkehr in die Schulen wird schrittweise erfolgen“, erklärt Schulminister Robert Plaga seit Ende letzter Woche.

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