Verletzungen im Männerfußball: Kicken, bis der Arzt kommt

Es wäre sinnvoll gewesen, im Männerfußball Spiele zu streichen. Das aktuelle Programm gefährdet die Gesundheit und wertet Partien ab.

Bayern-Spieler Lucas Hernández wird im Spiel gegen Bremen von zwei Medizinern verletzt vom Platz geführt und verzieht das Gesicht

Immer spielen tut weh: Lucas Hernández mit Schmerzsignalen Foto: Lukas Barth/dpa

Der FC Bayern hat einen Sieg mit vier Verletzten bezahlt. Beim mühsamen 3:1 gegen Stuttgart musste zunächst Lucas Hernández nach einem Sturz ausgewechselt werden, eine Viertelstunde später ging Jérôme Boaten verletzt vom Feld; zehn Minuten später zog sich Corentin Tolisso eine Muskelverletzung zu, und der für ihn eingewechselte Javi Martínez klagte ebenfalls über muskuläre Probleme, zog aber durch. „Ich bin definitiv sehr müde“, umschrieb Leon Goretzka euphemistisch die Lage. Und Gonzalo Castro, Kapitän des Gegners, stellte fast schon mitleidig fest, die Bayern gingen derzeit „auf dem Zahnfleisch“.

Siege sind im Corona-Spielplan teuer. Sie kosten bei den Spitzenteams ganz wörtlich körperliches Kapital. Ähnlich äußerte sich am Wochenende Liverpool-Coach Jürgen Klopp, nachdem James Milner sich am Oberschenkel verletzt hatte. Klopp klagte darüber, dass die Partie auf 12.30 Uhr am Samstag angesetzt worden war, obwohl Liverpool gerade erst am Mittwoch in der Champions League gespielt hatte. „Das ist sehr, sehr gefährlich für die Spieler.“ Und: „Dieser Rhythmus ist ein kompletter Killer.“

Es hätte eine einfache Lösung für dieses Problem gegeben: die Gruppenphase der Champions League zu kürzen, sodass die Teams nur einmal gegeneinander spielen. Warum soll Gladbach in einer komprimierten Saison auch noch zweimal gegen Donezk antreten, wo schon einmal mäßig interessant ist? So werden stattdessen Topspiele abgewertet, weil der FC Bayern am Dienstag mit B-Kader gegen Atlético Madrid antritt, um sich für Leipzig zu schonen.

Oder man hätte zumindest die leidige Nations League aussetzen müssen. Wenn der internationale Kalender all das nicht zulässt, warum nicht die Männer-Bundesliga nur mit der Hälfte der Spieltage austragen? Ach was, solange gespielt werden kann, wird gespielt. Fernsehgelder wollen verdient werden, Sender die bezahlte Leistung erhalten. Der freie Markt heißt eben nicht die klügste Lösung – nicht einmal für die ebenfalls schwer ermüdeten Fans –, sondern die kurzfristig profitabelste. Kicken, bis der Arzt kommt.

An den Hierarchien nichts verändert

Es gibt noch eine interessante Entwicklung dabei. Besser gesagt, eine Nichtentwicklung. Denn an den Hierarchien der Männer-Bundesliga hat sich trotz der extremen Belastung nichts geändert. Der FC Bayern, RB Leipzig und Borussia Dortmund stehen oben. Im Gegensatz zu den anderen internationalen Ligen, in denen das Coronajahr eher überrascht: In Spanien führt RS San Sebastián die Tabelle an und Barcelona kraucht auf Platz 14, in Italien steht die US Sassuolo gerade vor Roma und Juventus auf Platz 3, und in der Premier League sind Manchester United und Arsenal auf Platz 13 und 14 abgerutscht, Man City ist Achter.

In Deutschland aber verändert auch ein FC Bayern mit Zahnfleischbluten wenig. Das höchste der Gefühle ist Union Berlin auf Platz 6. Eine Überraschung, gewiss, aber keine, die, um im schmerzhaften Bild zu bleiben, den Großen die Zähne zieht. Die werden einfach effizienter. Zum Spitzenspiel gegen Bayern kommende Woche werden die Leipziger direkt aus Istanbul anreisen, weniger Reisestress. Die Bild-Zeitung nennt es eine „Entscheidung zur Entschleunigung“. Gut, was man eben so unter Entschleunigung versteht.

Kein ernsthafter Widerstand

Widerstand dagegen hält sich bemerkenswert in Grenzen. Zumindest in der Bundesliga klagt niemand so wirklich. Jedenfalls nicht mit Wut im Bauch, nicht mit dem Ziel, etwas an der Situation zu verändern. Denn sie müssen ja alle. Denn so ist es ja eben. Spielzeit ist Geld, Geld muss ja wohl recht haben. Bayern-Trainer Hansi Flick: „Spiel, Regeneration, Abschlusstraining, so geht es immer weiter. Da ist kein Platz, um wirklich mit der Mannschaft zu trainieren. Diese Bedingungen müssen wir aber annehmen. Wer sie am besten annimmt, wird den größten Erfolg haben. Das wollen wir sein.“ Es zeichnet sich ab, dass diese Prophezeiung stimmen wird. Wie heißt es in der Bayern-Hymne? „Denn so war es und so ist es und so wird es immer sein“.

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Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de

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