Stealthing-Urteil des Amtsgerichts Kiel: Moralisch falsch

Juristisch mag der Freispruch für den Mann, der entgegen der Absprache ohne Kondom mit einer Frau verkehrte, nachvollziehbar sein. Menschlich nicht.

Eine geschlossene Kondompackung liegt auf einem Kaktus

Weglassen oder anpieksen – beides schlecht für Safer Sex Foto: Benedikt Geyer/Unsplash

Sex ohne Kondom – obwohl vorher eindeutig abgelehnt. Einer Frau aus Kiel ist das passiert, der mutmaßliche Täter wurde freigesprochen. Das ist absolut unverständlich. Denn für mindestens 51 Prozent unserer Gesellschaft ist das eine grauenhafte Vorstellung.

Das Ausmalen dieses Szenarios berührt und bedroht etwas ganz Elementares, Tiefsitzendes, Intimes – es ist wahrscheinlich das Bedürfnis nach und das Recht auf Schutz und Selbstbestimmung über unseren Körper. Das geht gar nicht, unter keinen Umständen, ist die einzig mögliche Bewertung dieser Situation!

Einige Menschen stellen sich vielleicht Fragen wie: War er denn HIV-positiv? Hatte er andere Geschlechtskrankheiten? Ist sie schwanger geworden? Ist er überhaupt gekommen? Aber die Antworten auf diese Fragen sind im Grunde egal, jedenfalls für die moralische Verurteilung der Tat. Denn selbst wenn all das nicht der Fall ist, bleibt es ein Vertrauensbruch übelster Art, ein seelischer, körperlicher, eben ein sexueller Übergriff.

Nicht eindeutig im juristischen Sinne, zumindest noch nicht. Wobei es bei aller Unklarheit schon zu bedauern ist, dass der Kieler Richter seinen Spielraum nicht dazu genutzt hat, das Gesetz weit auszulegen – das Berliner Urteil hätte ihm dabei den Rücken freigehalten.

Damit künftig kein Spielraum mehr bleibt, muss das Oberlandesgericht Schleswig den Fall neu verhandeln lassen. Sollte der Mann – oder andere künftig Angeklagte, die einer Frau oder auch einem Mann so etwas antun – bei einer etwaigen Verurteilung bis zum Bundesverfassungsgericht gehen, ist das sein gutes Recht. Und dann stellen wir hoffentlich fest, was es juristisch bedeutet, einen Menschen einer Intimität auszusetzen, die dieser ausdrücklich nicht wollte. Menschlich ist das längst klar.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Seit 2024 freie Journalistin. Von 2019 bis 2023 erst Volontärin, dann Redakteurin und Chefin vom Dienst bei der taz Nord in Bremen. Hat mal Politik-, Kommunikations- und Medienwissenschaft sowie Komplexes Entscheiden an der Uni Bremen studiert. Schreibt gern über Verkehrs- und Klimapolitik, Sport, Justiz, Parlamentsgeschehen und Soziales.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.