Bernhard Pötter
Wir retten die Welt
: 537 Stimmen gegen die Zukunft

Abendessen in der Familie. Auf dem Tisch steht die Gemüselasagne, in der Luft hängt die Frage: Was wäre, wenn...? Wie sähe unser Leben aus, wenn wir statt ohne Haustier in der Innenstadt mit zwei Hunden und vier Ponys auf einem Bauernhof lebten? Wenn Mama einen anderen Mann geheiratet und Papa etwas Ordentliches gelernt hätte?

Unser Spiel kommt mir in den Sinn, während ich stundenlang auf CNN die US-Wahl verfolge. Die angebliche Demokratie-Supermacht USA ist kurz davor, einen Rassisten, Narzissten, Pleitier, Lügner und Demokratie-Verächter als Präsidenten wiederzuwählen. Die Entscheidung steht auf Messers Schneide.

Das war vor 20 Jahren schon einmal so. Und in welcher Welt würden wir leben, wenn 2000 der Demokrat Al Gore US-Präsident geworden wäre? Er bekam eine halbe Million mehr Stimmen als sein Gegner, George „Dabbelju“ Bush. Aber weil der in Florida unter umstrittenen Umständen ganze 537 Stimmen vorn lag, kam er ins Amt: 9/11, Irakkrieg, Ausstieg aus dem Kioto-Protokoll, Neoliberalismus, bis es raucht. Bush II. galt vielen als der dümmste, dreisteste und schlechteste US-Präsident aller Zeiten. Bis Donald Trump kam.

Wir stellen uns also vor: Al Gore tritt 2001 sein Amt an, auch im Senat regieren die Demokraten. Ein Umweltschützer als Präsident, der verstanden hat, dass die USA aus Eigeninteresse einen grünen Kapitalismus entwickeln müssen, in Konkurrenz zu China. Er überzeugt und drängt die US-Wirtschaft zu den Zukunftsmärkten, die jede Menge Jobs made in America bringen, er treibt die globale Zusammenarbeit bei Großproblemen wie Klimakrise, Hunger und Artensterben voran. Zusammen mit Deutschland und China beginnt die globale Revolution von Wind- und Sonnenenergie schon 2003. Präsident Gore vertraut der Wissenschaft, sein Vize Joe Lieberman führt in den USA den CO2-Preis ein. Die AmerikanerInnen lieben jetzt sparsame Autos, gedämmte Häuser und fettfreie Burger, die weniger dick machen.

Auch bei Präsident Gore schien nicht nur die Sonne. Die Terroranschläge von 9/11 verwickeln die USA in einen Kampf mit dem Islamismus, wegen der US-Bankenkrise schlittert die Weltwirtschaft in die Rezession. Aber Gore setzt auf eine starke UNO und auf Hilfe für Länder in (Umwelt-)Not. Mit Gore haben die USA ihren CO2-Ausstoß um 20 Prozent gesenkt, weltweit sinken ab 2010 die Emissionen, es folgt eine Dekade des grünen Wachstums. Beim erfolgreichen Klimagipfel von Kopenhagen 2009 wird beschlossen, die Erwärmung unter 1,5 Grad zu beschränken und 1 Grad anzustreben. Die Entwaldung des Amazonas sinkt ab 2008, das Artensterben kommt fast zum Stillstand, auch weil verlässliche Finanzhilfen aus den Industriestaaten fließen und viele Entwicklungsländer auf Nachhaltigkeit setzen.

Was es für Gore in diesem Szenario allerdings nicht gibt: seine Auftritte als globaler Klima-Guru, seinen Film „Eine unbequeme Wahrheit“, seine zwei Oscars dafür und seinen Friedensnobelpreis.

Aber hier ist der Deal: Wenn Donald Trump auch nur mit einer einzigen Stimme verliert und endlich sein Amt wieder einem Erwachsenen übergibt, kann er von mir aus bei den Oscars abräumen. Das reicht nicht? Okay, wir finden für ihn auch noch irgendeinen Nobelpreis.