Strategin des Wandels

Corona hat dem Museumsquartier Osnabrück einen neuen Digitalauftritt beschert. Er ist nicht nur Krisen-PR: Claudia Drecksträter, die ihn erschaffen hat, denkt weit über die Pandemie hinaus

Auch wenn die Ausstellung mal nicht so toll ist: Die Internetfilme des Museumsquartiers Osnabrück, die Claudia Drecksträter (links) und Roman Partikewitsch (mit der Kamera) drehen, machen auf jeden Fall Spaß Foto: Museumsquartier Osnabrück

Von Harff-Peter Schönherr

Nils-Arne Kässens hat Sinn für Hintersinn. Nicht viele Museumsdirektoren würden mitmachen, was er mitmacht. Aber Kässens weiß: Bilder brennen sich ein. Also hilft er mit, Bilder zu erschaffen.

Da ist dieser Augenblick auf Instagram, in dem Kässens, hoch oben auf dem Dach, die Stadt zu seinen Füßen, über Weitsicht und Tellerränder spricht, bevor er wieder nach unten steigt, durch die Handwerkerluke, nicht ohne eine Einladung an uns alle. Da ist dieser Augenblick in dem er, irgendwo im Magazin des Museums, einen Smiley in den Staub einer Glasplatte malt, denn: „Kunst macht happy!“ Und da ist schließlich dieser Augenblick auf der Website, in dem er in dem 55-Sekunden-Filmchen „Abwarten“ am Fenster steht und gedankenversunken Tee trinkt, während des ersten Corona-Shutdowns. „Das Museum“, versichert er, „kommt zu Ihnen!“ Es sind Augenblicke, in denen Kässens zeigt, dass er Sinn für Theatralik hat – und für augenzwinkernde Selbstironie.

Kässens ist Direktor des Museumsquartiers Osnabrück, das sich, weil es vier Häuser umfasst, „MQ4“ abkürzt: Zu ihm gehören das Felix-Nussbaum-Haus, das Kulturgeschichtliche Museum, die Villa Schlikker und das Akzisehaus. Und weil das MQ4 schon analog ein Ort des Experiments ist, soll auch sein „Digital-Quartier“ weit mehr als eine bloße Reaktion auf Covid-19 sein. Das Museumsquartier tritt an, ein neues, modernes Profil zu erzeugen, zumal für junge Zielgruppen.

Die Strategin dieses Kreativprozesses wiederum ist Claudia Drecksträter. „Öffentlichkeitsarbeit“ steht auf der MQ4-Website unter ihrem Namen. Aber das greift zu kurz. „Mediale Kuratorin“ träfe es besser. „Der Zugang zu uns soll niedrigschwellig sein“, sagt sie. „Wir sind kein Elfenbeinturm, und das zeigen wir auch.“ Geht es nicht rein um Dokumentation, sind ihre Filme, Fotos und Texte oft spielerisch, ironisch. „Aber zugleich ist viel Ernst darin, denn bei uns geht es ja um Themen wie ­Migration, Frieden, den Holocaust.“ Ein Balanceakt, der funktioniert. „Kunst kann auf befreiende Art Freude machen“, sagt Drecksträter.

Solche Sätze sagt sie gern, mehrschichtige Sätze, bei denen man dann ein bisschen rätselt, produktiv. Drecksträter entwickelt die Ideen, wählt die Locations aus, bereitet die Akteure vor. Neuland, in das hinein ihr das gesamte Museumsteam folgt, mit eigenen Ideen. „So was funktioniert nur, wenn alle mitmachen“, sagt Drecksträter. Und tatsächlich sind von der Aufsicht bis zum Direktor, der dafür schon mal in eine Badewanne in seiner Stadtgeschichte-Ausstellung stieg, alle dabei.

Wie man Marken neu positioniert, weiß Drecksträter, weil sie früher in internationalen Markenagenturen für Kunden wie Audi und die Lufthansa gearbeitet hat.

Für das MQ4 hat Drecksträter Onlineführungen und Event-Livestreams organisiert, in denen Kuratoren Exponate zeigen und deren Geschichte erzählen. Manchmal rollen Hubwagen durchs Bild. Für 53 Sekunden ist zu sehen, wer die Museums-Atemschutzmaske näht.

Der digitale Besucher ist überall dabei. Manchmal sogar bei den Dreharbeiten – jedenfalls fast, denn das ist natürlich Teil der Inszenierung. In dem Augenblick etwa, in dem Kässens in dem fünfminütigen Clip „Wir wollen mehr Museum wagen!“ auf seinem Hollandrad zum Eingang prescht. „Action!“, ruft sie vorher, „na los!“ Und dann werden, sehr symbolistisch, alle Türen des Hauses geöffnet. Auch Türen zu Luftschächten und Büroschränken. Und Fenster. Und Schubläden. Bittesehr: Offenheit! Eine neue Marke.

Rasche Stellprobe, noch schnell eine Kürzung beim Dialog, Kamera läuft. Die Stimmung ist ausgelassen. Heitfeld schmunzelt, Drecksträter lächelt, Partikewitsch lacht

Hinter der Kamera steht dabei meist Roman Partikewitsch. Der ist, auch, Kriminalfilm-Regisseur und an diesem Mittwochmorgen im späten Oktober, wie meist, ziemlich locker drauf. Heute geht der mehrtägige Dreh für die Ausstellung „Möser, eine begehbare Graphic Novel“ zu Ende, Magnus Heitfeld gibt dafür den Osnabrücker Juristen in goethe­zeitlicher Kostümierung. Partikewitsch verrenkt sich akrobatisch für die richtige Perspektive, Dreck­sträter hält den Darstellern Textschilder hin, macht Standfotos, ist Beleuchterin, Dramaturgin. „Oft entwickeln sich die Dinge ganz spontan, aus der Situation heraus“, sagt sie. „Das ist dann eigentlich das Beste.“

„Als Künstler trete ich an, um die Welt zu verbessern“, sagt Partikewitsch. „Nicht weniger.“ Seine Zeit im MQ4 begann mit Corona. „Beim ersten Lockdown war unsere Aufgabe vorrangig, das Museum online gehen zu lassen, täglich Inhalte zu erstellen. Bei der Wiedereröffnung hat man mich einfach behalten, worüber ich überglücklich bin.“

Jetzt, im zweiten Lockdown, braucht das MQ4 ihn erst recht. Längst ist Drecksträters „Digital-Quartier“ nicht mehr nur Beiwerk, Krisen-PR, sondern eine eigene Sparte des Museums. „Es geht jetzt darum, die Neuorientierung zu gestalten“, sagt Partikewitsch, „und nach außen hin zu zeigen, dass unser Museum neue Medien und Angebote ausprobiert.“ Was man dafür braucht? Drecksträter denkt nach. „Vor allem Fingerspitzengefühl!“

Rasche Stellprobe, noch schnell eine Kürzung beim Dialog, Kamera läuft. Die Stimmung ist ausgelassen. Heitfeld schmunzelt, Drecksträter lächelt, Partikewitsch lacht. Gut, die Ausstellung selbst ist Einstellungssache. Vor allem ist sie keine begehbare Graphic Novel. Aber das Filmen macht Spaß. Und je mehr Freiheiten es hat, desto größer der Wandel.

Museumsquartier Osnabrück im Internet: https://www.museums­quartier-osnabrueck.de