Baumrinde als Rohstoffe für Textilien: Schicke Borke

Industriedesignerin nutzt die Rinde heimischer Bäume zur Herstellung von Textilien. Dazu musste sie neue Verarbeitungstechniken entwickeln.

Oberfläche einer Rinde von einer Stieleiche

Schon jetzt ziemlich schick, aber nicht Prêt-à-porter: die Eiche Foto: McPhoto/W. Rolfes/imago

BERLIN taz | Charlett Wenig geht in den Wald, um eine neue Jacke zu designen. Sie fertigt sie zusammen mit ihrer Kollegin Johanna Hehemeyer-Cürten aus der Rinde der Kiefer. Noch sind es Unikate. Wenig, eine junge Industriedesignerin, geht es aber nicht nur um eine Jacke: Sie ist auf der Suche nach grüneren, also ökologischeren Materialien, mit denen sie Models auf den Laufsteg schicken, aber auch Werkstoffe für Zelte oder Messepavillons ersetzen kann.

Derzeit schreibt sie dazu ihre Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam. Sie wurde zusammen mit Hehemeyer-Cürten – sie ist eine Modedesignerin von der Kunsthochschule Weißensee – bereits in einem Wettbewerb für Nachwuchsforscherinnen und -forscher ausgezeichnet – Kategorie: „Visions“.

Eigentlich ist es allerdings eine alte Sache. Baumrinde zählt zu den ältesten Textilien der Welt. In Uganda zum Beispiel kleidete der Stoff früher Könige. Doch im 19. Jahrhundert brachten arabische Händler gewebte Baumwollstoffe in das ostafrikanische Land. Die Produktion des Borkenstoffs, häufig englisch Bark Cloth genannt, nahm rapide ab. Wiederentdeckt wird er erst in den 90er Jahren.

2005 erklärte die Unesco die handwerkliche Herstellung des Rindentuchs zum „Meisterwerk des mündlichen und immateriellen Kulturerbes“, 2014 zählt die Nasa den Stoff zu den Top 10 weltweiter Material­innovationen, genauer: das Rindentuch, das das deutsch-ugandische Unternehmen Barktex mit Sitz im baden-württembergischen Ebringen aus Uganda importiert.

Die Kunden sind Designer und Innenausstatter, sie machen daraus Schuhe, Tapeten, Lenkradbezüge. Nur: Der Stoff ist aus der sich immer wieder erneuernden Rinde des ostafrikanischen Feigenbaums Mutuba. Forscherin Wenig sucht das Material bei frisch gefällten Bäumen in Brandenburg und Hessen.

Bisher nur ein Abfallprodukt

Sie, eigentlich ein ruhig, sachlicher Typ, schwärmt regelrecht: „Kiefern, Eichen, Fichten werden mehr als 20 Meter hoch, die Baumrinde ist ein riesiges Stück.“ Nur sei diese bislang ein Abfallprodukt. Weltweit fielen in der Holzindustrie jedes Jahr rund 60 Millionen Tonnen Rinde an, die allenfalls zu Rindenmulch für den Garten verarbeitet, meist aber verbrannt werde. Eine Verschwendung, zumal wenn man bedenkt: Der Ressourcenverbrauch der Menschheit ist derzeit so hoch, dass eigentlich 1,6 Erden nötig wären, um ihn nachhaltig zu decken. Das rechnen Umweltexperten immer wieder vor.

Charlett Wenig geht in Schritten vor. Herausforderung Nummer eins, die sie zunächst lösen musste: Wie schält man einen Baum? „An der Antwort habe ich ein Jahr lang viel gearbeitet“, sagt Wenig. Ohne Wulf Hein im hessischen Birstein hätte es womöglich noch länger gedauert.

Hein sei Archäo-Techniker, erzählt die Forscherin. Ihn habe sie ausfindig gemacht. Er könne Rinden schälen, weil er sich viel damit beschäftigt habe, wie die Menschen in der Steinzeit gelebt hätten. Damals seien Fußböden aus Birkenrinde gelegt worden. Auch im Neuen Garten des Potsdamer Schlosses Sanssouci stünde ein „Borkenhäuschen“, wenn auch wieder neu aufgebaut, es sei ein Zeichen für die Nutzung von Rinde auch im Barock.

„Man brauche ein bisschen Handwerk und Geschick, um sie zu gewinnen“, meint Wenig. „Der Baum muss gerade voll im Saft stehen, es muss also geregnet haben, dann setzen Sie einmal einen Längsschnitt, gehen dort mit einem Schäleisen hinein und heben die Borke, so dass Sie sie dann langsam in einem Stück abziehen können.“ Das hört sich einfacher an. als es ist: Selbst wenn sie Helferinnen und Helfer hat, braucht sie zwei bis drei Tage, um rund 12 Bäume zu schälen, die sie im Jahr für ihre Forschung benötigt.

Nur: Die Rinde besteht in der Regel aus einer inneren Bastschicht, in der Nährstoffe für den Baum transportiert werden, und aus der Borke, das sind die abgestorbenen Bastzellen. Elastisch ist sie nicht. „Baumrinde trocknet superschnell und zerbröselt dann regelrecht“, sagt Wenig. So kam Herausforderung Nummer zwei. Wenig versuchte mit ihren Kolleginnen und Kollegen im Labor die Rinde – wie sie sagt – zu „flexibilisieren“.

Es gelang mit einer Lösung aus Glyzerin, die sonst Lebensmittel feucht hält und in Kosmetik steckt. Bis zu zwei Tage legte Wenig die Rinde darin ein „da wurde das wie Leder, nur nicht ganz so flexibel“. Aber sie konnte mit Hehemeyer-Cürten zum ersten Mal eine Jacke aus dem Material fertigen – und stieß auf Herausforderung Nummer drei.

Verwebte Rindenstreifen

Der Stoff war noch immer zu steif. Das Model, dem sie die Jacke auf den Leib schneiderten, konnte die Arme nicht heben. Also tüftelten sie weiter, verwebten Rindenstreifen dünn wie Spaghetti. Es entstand ein stretchiger Stoff für Jacken oder Hosen.

Lässt er sich denn auch im strömenden Regen tragen? „Ich würde auch mit einer Lederjacke bei solchem Wetter nicht rausgehen“, sagt Wenig. Und wie soll die Rinde im großen Stil geerntet werden? Die Holzindustrie müsse sich dafür freilich umstellen, doch es sei denkbar, mit der Technik zu arbeiten, mit der auch Holzfurnier hergestellt werde.

Dass ihr Rindenstoff nicht von heute auf morgen auf den Laufstegen der Welt getragen wird, schreckt Wenig nicht. „Das ist Grundlagenforschung“, sagt sie. Und weiter: „Bis Carbon entwickelt wurde, hat es auch lange gedauert.“ Das Material, aus dem zum Beispiel Fahrradrahmen und Sportgeräte gemacht werden, gilt als bruchfest und leicht. Sie wolle Naturmaterialien verstehen und Designerinnen und Designer damit vertraut machen, meint Wenig: „Baumrinde könnte auch ein Stoff sein, der sich als Außenhaut für Zelte auf Festivals oder Pavillons auf Messen eignet.“ Sie wird wieder in den Wald gehen und am Stoffwechsel forschen.

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