Genuss à la française aus Cuxland

KULTURIMPORT Die Französin Catherine André und ihr Partner Daniel Denieau stellen auf einem alten Hof bei Bad Bederkesa Ziegenkäse auf Gourmet-Niveau her. Das Handwerk hat sie sich drei Jahre lang selbst beigebracht

Eine kleine Unachtsamkeit genügt, und die Crottins fallen in sich zusammen

VON THOMAS JOERDENS

Vor 25 Jahren fühlte sich Catherine André super glücklich und dennoch ein wenig ratlos. Die Französin aus dem Jura hatte nach ausgiebigen Aufenthalten in Paris und Berlin endlich gemerkt, dass sie aufs Land gehört und mit ihrem Freund nach langer Suche einen bezahlbaren ehemaligen Gasthof in dem Dörfchen Neubachenbruch bei Bad Bederkesa gefunden. Nun hockte sie mit einem Kätzchen und einem Zicklein alleine in einer großen, zugigen Bruchbude aus dem vorletzten Jahrhundert. Ihr Freund arbeitete weiter in Berlin, und sie fragte sich: „Und nun?“ Sie schaute dem süßen Ziegenbaby, das ihr Freunde gegen die Einsamkeit geschenkt hatten, tief in die Augen und wusste plötzlich die Antwort: „Ziegenkäse herstellen wie in Frankreich. Mit Tieren leben und gut essen. Das ist eine tolle Idee!“

Catherine André, ein Stadtkind aus Besançon und eine gelernte Schauspielerin, blickt amüsiert zurück. Die zierliche Frau mit den rehbraunen Augen und den langen offenen Haaren trieb nach dem Ende ihrer Ausbildung suchend durchs Leben. Weil sie in der Heimat keine Engagements bekam, zog sie enttäuscht nach West-Berlin, blieb dort hängen und hielt sich als Putze, Kellnerin, Nachhilfelehrerin über Wasser.

Von Ziegenkäse wusste Catherine André nur, dass sie ihn gerne aß. „Wir hatten keine Ahnung. Wir hatten kein Geld. Und wir wussten nicht, ob das was wird“, sagt die 53-jährige Catherine André mit einem weichen französischen Akzent. Geld habe sie noch immer nicht, weil alles ins Haus, die ewige Baustelle, fließe. Die geräumige Schankstube, in der wir an einem Holztischchen mit Ziegenfelldecke sitzen, wurde erst vergangenen Winter fertig.

Dafür ist der Plan mit der norddeutschen Ziegenkäseproduktion à la française grandios aufgegangen. Feinschmecker, Sterne-Köche und Käse-Liebhaber loben den Käse vom „Ziegenhof Bachenbruch“ als den besten Deutschlands und feiern Catherine André als Ziegenkäse-Königin. „Das ist natürlich eine sehr gute Werbung für uns“, sagt sie. Ihr seien solche Superlative ein wenig peinlich. Doch sie weiß um die Qualität ihrer Waren und legt darauf größten Wert.

André beliefert das Sterne-Restaurant „Sterneck“ in Cuxhaven. Zu ihren Kunden gehörten die Sterneköche Michael Hoffmann, Ulrich Heimann, Christian Rach und Markus Kebschull. Die meisten Abnehmer, über 30 Gastronomen und viele Privatkunden, leben in Hamburg. Wöchentlich belädt die Ziegenhirtin oder Chevrière ihren Kombi und bringt Verdurettes, Poivrotins und Klassiker nach Art des St. Maure, des Crottins oder des Chevrotin des Aravis an die Elbe.

Catherine André stellt 15 Sorten und Varianten her. Darunter die bekannten Ziegenrollen à la St. Maure mit dem Strohhalm in der Mitte. In der Käserei entstehen überdies Eigenkreationen wie der kleine Hartkäse Truffio mit Trüffeln oder Entre deux, ein Weichkäse mit blauem Edelschimmel, Knoblauch und einer Schicht Asche in der Mitte. Neben Käse von der Ziege verkauft die Chefin Salami, Schinken, Rillettes. Leider stehe Ziegenfleisch im Gegensatz zu Ziegenkäse noch nicht sehr häufig auf den Einkaufszetteln der Deutschen, bedauert die Bäuerin.

Vor allem wegen der reifen Käsesorten steht Catherine André in der Feinschmecker-Szene hoch im Kurs. Die kugeligen Crottins, auch Pferdeäpfel genannt, lagern bis zu einem Jahr in einem der beiden Reiferäume. Darin liegt die Luftfeuchtigkeit bei 90 Prozent und die Temperaturen bei zwölf beziehungsweise 14 Grad Celsius. Schwankungen beeinflussen den Reifeprozess. Deshalb bleiben die Türen für Gäste verschlossen.

Catherine André doziert, wie das Futter, die Jahreszeiten, ja, selbst tägliche Wetterschwankungen den Käse beeinflussen. Die Temperatur der Milch und die Lufttemperatur, die Konsistenz des jungen Käses und 1.000 andere Dinge sind zu beachten. „Man muss sich sehr konzentrieren“, sagt André. Eine Unachtsamkeit genügt, und die Crottins fallen in sich zusammen oder der Käse der künftigen Ziegenrollen läuft zu schnell ab. Und dann könne man von vorne anfangen.

Drei Jahre hat es gedauert, bis Catherine André ihre Ziegenrollen guten Gewissens verkaufte. Sie hat sich alles selbst beigebracht, ständig ausprobiert, aus Fehlern gelernt und zahllose missratene Käse an die Schweine, Gänse, Hühner, Katzen und Hunde auf ihrem Hof verfüttert. Freunde und Bekannte kosteten ebenfalls, komnmentierten Fort- und Rückschritte. Die einzige professionelle Hilfe war das Handbuch eines französischen Affineurs, ein Käsespezialist in Sachen Veredelung.

Ende der 1990er-Jahre verliebte sich Catherine André in den 15 Jahre jüngeren Franzosen Daniel Denieau, der ihr Freund und Partner wurde. Der zurückhaltende Koch und Konditor sowie die offensive Schauspielerin teilen sich die Arbeit auf dem Ziegenhof. Daniel übernimmt das Melken und steht in der Käserei, während Catherine sich um die Tiere kümmert, zu den Kunden fährt und die Öffentlichkeitsarbeit erledigt.

Bis weit nach Mitternacht sitzt das Paar häufig nach 16-stündigen Arbeitstagen bei Käse, Brot, Wein am Tisch und tauscht Käse-Ideen aus, die man mal ausprobieren könnte. Privat- und Arbeitsleben gehören bei André-Denieau untrennbar zusammen. Das bedeutet Sieben-Tage-Wochen übers gesamte Jahr.

Während der Melksaison von März bis November herrscht in der Käserei Hochbetrieb. Danach folgt die Schlachtzeit und im Februar kommen die Lämmer, die von Catherine André zunächst alle die Flasche bekommen. Nur im Januar kehrt etwas Ruhe ein. „Ich habe im Leben nie so viel gearbeitet, und manchmal wünsche ich mir mehr Freizeit“, sagt Catherine André. Ihr Grundgefühl blieb seit den Abenden mit dem Kätzchen und dem Zicklein vor einem Vierteljahrhundert jedoch unverändert: „Ich bin angekommen und sehr glücklich!“