Frisches Sendungsbewusstsein

FREIFUNKER Das „Herbstradio“ bietet Szene und Skurriles. Die Macher dürfen bis November ihr eigenes Programm zusammenstellen. Gerne würden sie verlängern, doch es fehlt Geld

■  Das Herbstradio ist in der Innenstadt auf UKW 99,1 MHz zu empfangen – einer Frequenz, die regelmäßig an Veranstaltungsradios vergeben wird.

■ Veranstaltungsradios werden von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg genehmigt. Das Herbstradio ist offiziell an das Internationale Literaturfest Anfang September und die Märchentage Ende November gekoppelt.

■ Eine Frequenz kann theoretisch jeder beantragen. Die Gebühren sind jedoch recht hoch, etwa 10.000 Euro im Monat. Ein privater Radiosender muss außerdem nachweisen, dass seine Finanzierung für die nächsten sieben Jahre steht.

VON BASTIAN BRINKMANN

Der enge Raum ist voll von Mikrofonen und wirren Kabeln, in der Ecke stehen Rechner und Mischpult. Es ist Technik aus drei Jahrzehnten, der Studioboden besteht aus Spanplatten. Hier haben schon zu DDR-Zeiten Piratenfunker gearbeitet. Jetzt steht Paul Motikat im Keller des ehemals besetzten Hauses in der Lottumstraße in Prenzlauer Berg und sieht müde aus. Unter der Kneipe „Freudenhaus“ ist sein Studio, wo er bis tief in die vergangene Nacht Schalter gedrückt, am Computer gefrickelt und Regler geschoben hat.

Motikat macht Freies Radio; er ist Mitglied der Radiopiloten, die zusammen mit der Gruppe Klubradio seit dem 1. September auf der UKW-Frequenz 99,1 ein Programm unter dem Namen „Herbstradio“ produzieren. Dessen Lizenz läuft bis zum 22. November. Das hätten die Radiomacher gern anders: Sie würden am liebsten das ganze Jahr hindurch senden.

Der Einsatz stimmt

„Hier funktioniert alles für lau“, sagt Motikat. Er trägt schwarze Jeans zum schwarzen Hemd. Irgendwer hat den CD-Spieler geliehen, irgendwer kam mal zum Löten vorbei. Hauptsächlich finanziert sich das Projekt mit Mitteln des Hauptstadtkulturfonds. Die Radiopiloten teilen sich die Sendezeit mit dem Klubradio, das, unterstützt von der Brotfabrik, aus dem Haus der Kulturen der Welt sendet.

Das Programm soll vor allem eins nicht sein: weichgespült. Anders als die Privatradios, die kommerziell und von Werbung abhängig sind. Anders als die öffentlich-rechtlichen Sender, die ihnen zu professionell sind. Und auch anders als der offizielle Amateurfunk, der Offene Kanal. Herbstradio will mehr Underground sein, mehr Szene, weniger darauf ausgerichtet, Nachwuchs für den RBB heranzuzüchten.

Wer bei Herbstradio eine Sendung moderiert, bekommt dafür kein Gel. „Alle machen nur aus Liebe zum Radio mit“, sagt Motikat. Er schätzt, dass inklusive der Gäste bis zu 1.000 Menschen beteiligt sind. Dabei sind u. a. der Club der polnischen Versager, das aus Radio Multikulti hervorgegangene Multicult 2.0, die Lesebühnen Radio Hochsee, Reformbühne Heim & Welt und die Surfpoeten. Organisator Andreas Jeromin, ein Radiopilot, macht eine Sendung mit Musik, die noch nie jemand gehört hat. Er spielt zum Beispiel Werbejingles aus den 50ern, und zwar zusammen mit dem Blogger Andreas Mischalke. Der sammelt auf Flohmärkten Schallplatten und präsentiert sie gern: „Endlich gibt es Radio, für das sich Berlin nicht mehr schämen muss. Kein elender Charts-Schrott und keine Werbung.“

Herbstradio will Underground sein, Szene. Es geht nicht darum, Nachwuchs für den RBB heranzuzüchten

Motikat selbst hat eine Reisesendung. „Ich komme ja aus Berlin nicht weg“, sagt er. Immerhin habe er mit den anderen monatelang diese acht Wochen geplant. Die Organisatoren sind sogar auf den Kirchturm des Stadtklosters Selig im Norden von Prenzlauer Berg geklettert, um ihre Antenne zu montieren – obwohl einer von ihnen Höhenangst hatte.

Das ist Einsatz, den die Medienanstalt Berlin-Brandenburg gern sieht. Trotzdem wird es keine generelle Förderung für Freie Radios geben, wie es sich die Herbstradio-Macher wünschen, bestätigt Ingeborg Zahrnt, Justiziarin der Anstalt. Die Verteilung der GEZ-Gelder sei rechtlich so festgesetzt, dass Freie Radios nicht finanziert werden dürften. Die Forderung nach einer Förderung beantwortet sie mit einem Hinweis auf den Offenen Kanal. „Da gibt es auch noch Fenster für die ganz schrägen Sachen.“

Sie haben nichts gegen den Offenen Kanal, betont Radiopilot Motikat. Sie wollten aber ihr eigenes Ding machen. Und „Herbstradio“ – das klinge nach frischem Wind. Aber auch nach Abschied. Nicht für immer, hofft Motikat: „In ein paar Jahren haben wir vielleicht die Grundfinanzierung für ein permantes Radio.“

■ Wer auf UKW 99,1 keinen Empfang hat, kann den Sender online hören: www.herbstradio.org