Klimageld von reichen für arme Länder: Zu wenig, zu teuer, an die Falschen

Industrieländer haben armen Staaten ab 2020 jedes Jahr 100 Milliarden Dollar versprochen. Ob das klappt? Unklar. Das Geld vergrößert manche Probleme.

Eine Frau rettet ihre Habseligkeiten nach einem Taifun auf den Philippinen

Klimaopfer: Eine Frau rettet ihre Habseligkeiten nach einem Taifun auf den Philippinen Foto: Rouelle Umali/Xinhua/eyevine/laif

BERLIN taz | Es war einer der wenigen Erfolge der gescheiterten Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember 2009. Die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton verkündete: „Wir sind bereit, mit anderen Staaten daran zu arbeiten, im Jahr 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar gemeinsam zu mobilisieren.“ Das Versprechen rettete den UN-Prozess und diente immer wieder als Beweis, dass die Industrieländer die Armen der Welt nicht mit der Klimakrise alleinlassen würden.

2020 ist fast vorbei, und eine vorläufige Bilanz zeigt: Die Verursacher der Klimakrise haben die Hilfen für die Opfer massiv erhöht, zuletzt auf knapp 80 Milliarden US-Dollar jährlich. Aber weil Daten fehlen, ist unklar, ob das 100-Milliarden-Ziel erreicht wird. Deutlich wird auch: Es geht nicht nur um die Höhe; der Geldfluss ist schwer zu durchschauen, finanziert teilweise die falschen Projekte und landet oft bei den falschen Adressaten. In manchen Fällen verschlimmern die Zahlungen die Probleme, anstatt zu helfen.

Als Wegweiser im Dschungel der Klimafinanzen gelten die Berichte der Industrieländer-Organisation OECD. Die trägt regelmäßig die unübersichtlichen Bilanzen zusammen, die unter anderem aus Entwicklungshilfe, Zahlungen an internationale Hilfsprogramme, privaten Investitionen und Exportkrediten bestehen. Der aktuelle Report weist aus: Im Jahr 2018 flossen aus den OECD-Ländern 78,9 Milliarden – deutlich mehr als die 52 Milliarden, die noch 2013 zu Buche standen. 62,2 Milliarden davon kamen aus Steuergeldern, 14,6 Milliarden waren private Investitionen etwa in Windparks. Während die öffentlichen Ausgaben stetig zugenommen haben, blieben die privaten Geldflüsse zuletzt etwa gleich.

Erreichen die Industrieländer nun die magische Grenze von 100 Milliarden? Eine Aussage darüber vermeidet der OECD-Bericht. „Wir bekommen alle Daten für 2020 erst Anfang 2022, und es wäre unseriös, jetzt zu spekulieren“, heißt es von der Organisation. Sie weiß genau, wie politisch explosiv eine Aussage wäre, ob die reichen Länder ihr Versprechen halten oder nicht. Denn bei den harten Verhandlungen über neue Klimapläne, die 2021 in Glasgow anstehen, sind diese Zahlen gute Argumente.

Schreibt man den Trend fort, der zuletzt jedes Jahr etwa 7 Milliarden US-Dollar mehr an Hilfen zeigt, werden die geforderten 100 Milliarden knapp verfehlt. Schon 2016 hatte die OECD die damaligen Pläne addiert und für 2020 hochgerechnet – sie kam auf 91 Milliarden. Jetzt macht die Coronakrise solche Vorhersagen noch schwieriger: Zählen etwa die billionenschweren Hilfspakete mit bei der Klimafinanzierung? Erste Untersuchungen zeigen, dass in 16 der G20-Staaten die ökologischen Folgen der Coronahilfen negativ sind. Weil noch vieles unklar ist, „ist da bisher eine Aussage wirklich nicht zu machen“, sagt ein OECD-Experte.

Aber die Kritik von Hilfsorganisationen richtet sich nicht nur auf die fehlenden Mittel, sondern auch darauf, wie sie gewährt werden. Denn nur etwa 20 Prozent der öffentlichen Hilfen werden als Zuschüsse ausgezahlt, moniert der aktuelle „Schattenbericht zu Klimafinanzen“ der Entwicklungsorganisation Oxfam. Etwa 80 Prozent der Hilfen dagegen sind Kredite, mehr als die Hälfte davon nicht einmal zu besonders günstigen Konditionen. Das sei ein „Skandal, der gern übersehen wird“, heißt es in dem Bericht, denn solche Kredite trieben arme Länder immer tiefer in die Schuldenfalle.

Dazu kommt aus Sicht von Oxfam: Wegen Rechentricks der Industriestaaten könnte „der Anteil der bilateralen Klimafinanzierung um ein Drittel niedriger liegen als angegeben“, das Geld fließe zum großen Teil in Projekte, die kaum auf Geschlechtergerechtigkeit achteten, zu wenig werde auf den lokalen Märkten ausgegeben. „Das Ziel von 100 Milliarden auf diese Weise zu erreichen“, lautet das Fazit, „wäre kein Grund zu feiern, sondern ein Grund, sich Sorgen zu machen“.

Auch andere Experten haben ihre Probleme mit den Klimafinanzen: „Nach wie vor fließt zu wenig Geld in die Anpassung an den Klimawandel“, sagt Sven Harmeling von Care Deutschland. Laut Oxfam gehe nur ein Viertel der Gelder an Projekte, mit denen sich etwa Bauern gegen Dürre und Fluten absichern können. Nur ein Fünftel des Kapitals floss in die am wenigsten entwickelten Länder, nur 3 Prozent in kleine Inselstaaten, wo die Schäden durch Stürme und steigende Meeresspiegel stark zunehmen.

Der Grund dafür: Projekte und Investitionen lohnen sich eher und sind leichter durchzusetzen, wo es eine funktionierende Verwaltung und ein gutes Wirtschaftsumfeld gibt, was in den ganz armen Regionen oft nicht der Fall ist. „Eigentlich haben sich alle geeinigt, dass sich die Gelder für Anpassung mit der Senkung von Emissionen die Waage halten müssen“, so Harmeling. Aber ein profitabler Solarpark zieht eben mehr Kapital an als ein Damm, der Felder sichert.

Wenn die Industrieländer ihr 100-Milliarden-Ziel verfehlen, „wird das eine Vertrauenskrise auf dem Weg zu den Verhandlungen von Glasgow bringen“, schreibt Raju Pandit Chhetri von der nepalesischen Entwicklungsgruppe Prakriti Resource Center in einer Mail an die taz. Nepal führt derzeit die Gruppe der ärmsten Länder. Ohne neues Geld müssten diese Länder ihre Budgets zur Bekämpfung der Klimakrise umschichten – „auf Kosten von dringend nötigen Ressourcen für Bldung, Gesundheit, Infrastruktur und Hungerbekämpfung“. Chhetri verweist außerdem auf UN-Studien, wonach die Kosten für die Anpassung massiv unterschätzt würden und schon 2030 bei 140 bis 300 Milliarden liegen könnten.

Dass die Anpassung bei den Zahlungen vernachlässigt wird, moniert auch der Internationale Fonds für Agrarentwicklung (Ifad), ein Arm der UN-Agrarbehörde FAO. In einem aktuellen Report warnt der Ifad, dass „nur 1,7 Prozent der Klimafinanzierung an kleine Bauern in Entwicklungsändern geht“, obwohl diese überproportional anfällig für Klimaveränderungen seien und einen Großteil der Lebensmittel für die Bevölkerung produzierten. Gerichtet war diese Kritik auch an die Entwicklungsbanken der UN-Staaten, die sich in der Mitte November erstmals trafen, um zu überlegen, wie ihr Geschäftsmodell mit dem Pariser Abkommen vereinbart werden kann.

Ebenfalls Mitte November zeigte die 27. Sitzung des „Grünen Klimafonds“ der UNO, dass es bei den Finanzen langsam vorangeht. Der Fonds, in den Industrieländer jeweils für fünf Jahre knapp 10 Milliarden Dollar einzahlen, vergibt Hilfen an Projekte, die die Auswirkungen der Klimakrise lindern und die weltweite Energiewende voranbringen sollen. Das aktuelle Treffen verhandelte etwa über Waldschutz in Argentinien und Costa Rica, bessere Klima-Informationen auf den Südsee-Inseln oder Energieeffizienz in Bangladesch. Die USA schulden dem Fonds noch 2 Milliarden Dollar. „Wir hoffen, dass die neue US-Regierung das begleichen wird“, sagt Care-Lobbyist Harmeling. Er lobt die deutsche Bundesregierung, die ihren Anteil an der Klimafinanzierung von 2014 bis 2020 von jährlich 2 auf 4 Milliarden Euro verdoppelt hat, und legt die nächste Forderung auf den Tisch: „Alle Staaten haben sich im Pariser Abkommen verpflichtet, die Klimafinanzierung auf der Basis der 100 Milliarden weiterzuentwickeln“, sagt Harmeling. „Deutschland sollte deshalb bis 2025 seinen Anteil noch einmal auf jährlich 8 Milliarden Euro verdoppeln.“

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