In der Stadt der goldenen Steine

REMIGRATION Erdogan Altindis ist Türkei-Rückkehrer. In Istanbul vermietet er Ferienwohnungen

■ Ferienwohnungen: Wohnen bei Erdogan Altindis ab 65 Euro pro Nacht. Im Herbst wird das Projekt Manzara erstmals ein Architekturstipendium für einen Aufenthalt in Istanbul ausschreiben. Informationen können erfragt werden unter info@manzara-istanbul.com, www.manzara-istanbul.com, Tel. +90 (0) 21 22 52 46 60, Serdar Ekrem Sokak no 14 Kuledibi Beyoglu Istanbul

■ Museums-Pass: Die Museums-Passkarte Istanbul (muze.gov.tr/museum_pass) kostet pro Person 72 Türkische Lira und gilt 72 Stunden für zahlreiche Museen.

■ Restaurant Çiya: Drei Restaurants in derselben Straße, geführt von Musa Dagdeviren. Auf Reisen durch die Türkei sucht er nach vergessenen Rezepten, die er hier nachkocht. Mittlere Preisklasse Kadiköy, Caferaga Mah. Güneslibahçe Sokak 48/B, tgl. 11–22 Uhr, Tel. 0 21 63 36 30 13, www.ciya.com.tr

■ Fischrestaurant Pandeli: Stairway to heaven. Eine blaue Treppe führt in den Fischgenusshimmel, man sitzt inmitten von blauen Fliesen, und der beste Blick: ins Getümmel des Gewürzbasars. Eminönü, Misir Çarsisi 1, Mo.–Sa. 11–15.30 Uhr, Tel. 0 21 25 27 39 09, www.pandeli.com.tr

■ Pudding Shop: Es gab Zeiten, da parkten vor dem Lokal VW-Busse mit deutschen Nummernschildern. Der Puddingshop war Anlaufstelle für Globetrotter, die sich vor der Erfindung von Smartphones hier Informationen für die Weiterreise suchten. Sultanahmet, Alemdar Mh., Divanyolu Caddesi 6, Tel. 0 21 25 22 29 70, tgl. 7–23 Uhr, www.puddingshop.com

■ Kafe Ara: eines der schönsten Cafés in der Innenstadt. Im Obergeschoss wohnt der Namengeber, der Fotograf Ara Güler. Großformatige Schwarzweiß-Abzüge seiner Istanbul-Bilder schmücken die Wände. Oft sitzt der Meister selbst an seinem Stammplatz an einem der bunten Fenster. Beyoglu, Mahallesi Tosbas Sok.2, Tel. 0 21 22 45 41 05

■ Restaurant Tiriyakii: Der Betreiber ist der eloquente Deutschtürke Barbaros Bilen. Im modernen Ambieten mit alten Ziegelmauern und einfachen Holztischen isst man hier Seebarschfilet im Schmortopf. Jeden Abend spielt die Hausband, drei Musikstudenten, Kumkapi, Ustad Sokak 37, Tel. 0 21 24 58 22 00, tgl. 11–24 Uhr, www.tiryakii.com

■ Dilek Zaptcioglu, Jürgen Gottschlich: „Istanbul. Reiseführer“. Marco Polo. Ein kenntnisreicher Führer der beiden taz-Autoren

■ Kai Strittmatter: „Gebrauchsanweisung für Istanbul“. Piper, München 2010. Wer nur ein einziges Buch über Istanbul lesen mag, sollte dieses lesen. Der SZ-Korrespondent analysiert sachlich und klar und schreibt wundervoll anschaulich.

■ Alexandra Klobouk: „Istanbul, mit scharfer Soße?“. Ein Bilderbuch über Ankommen und erste Gehversuche in der großen Stadt, auf Deutsch und auf Türkisch.

VON BARBARA SCHAEFER

Die Beweglichkeit von Erdogan Altindis scheint grenzenlos, in seinem Kopf ist nie Ruhe. Kaum ist eine Idee angedacht, werkelt er schon an deren Umsetzung, kaum ist eine Wohnung inspiziert, sieht er schon, was daraus werden kann. Kaum hat er einen interessanten Menschen in Istanbul aufgespürt, schafft er es, ihn oder sie in sein Gesamtprojekt einzubeziehen. Dieses heißt Manzara. Manzara bedeutet Weitblick, Aussicht, ein allgegenwärtiges Wort in Istanbul. Der Taxifahrer sagt „Manzara“ und weist auf den Ausblick auf den Bosporus und die nachts leuchtende Brücke hin, wenn er davon ablenken will, dass wir im Stau stehen und nichts vorangeht außer der Taxiuhr.

Erdogan Altindis erzählt gern die Gründungslegende von Manzara. Der 49-Jährige stammt aus dem Osten der Türkei, er erkrankte schwer an Kinderlähmung und kam zur medizinischen Behandlung mit zehn Jahren nach München zu seinem Vater. Die Ärzte empfahlen, er solle zur Reha noch etwas bleiben. So wurden aus den drei Monaten Sommerferien 35 Jahre. Er lernte Deutsch, ging auf die Schule in München, studierte Architektur. Aber er habe immer Sehnsucht nach der Türkei gehabt und schließlich Istanbul entdeckt. „Eine Stadt, in der er beide Kulturen leben kann“, sagt Altindis .

Architektonische Leidenschaft ausleben

Eines Tages mühte sich Erdogan Altindis in einer der Gassen um den Galataturm ins oberste Stockwerk einer Wohnung. Hier, in Beyoglu, im europäischen Teil der Stadt, traf und trifft sich die Boheme, die Moderne. Aufzüge sind selten in diesem Viertel, und Altindis geht seit seiner Kinderlähmung an Krücken. Die Wohnung, genauer gesagt der Blick, die Aussicht, Manzara eben, habe ihn umgehauen. Er kaufte sie, baute sie aus. „Da konnte ich meine architektonische Leidenschaft in voller Pracht entfalten.“

Und dann nahm es seinen Lauf. Altindis pendelte zwischen München und Istanbul. „Freunde haben mich besucht, dann haben Freunde von Freunden angefragt, alle waren begeistert und kamen wieder. Dann sagten sie, sie würden schon auch etwas dafür bezahlen.“ Irgendwann musste er genau planen, wenn er selbst in seiner eigenen Wohnung übernachten wollte. Also kaufte er eine zweite Wohnung, auch die war bald immer ausgebucht. Nach fünf Jahren kaufte er ein Apartment nur für sich und entwickelte seine Geschäftsidee: Ferienwohnungen vermieten in Istanbul. Keine schlechte Idee, bei acht Millionen Touristen jährlich in der Stadt.

Aber Manzara sollte mehr sein als eine reine Ferienwohnungsagentur. Sie sollte den Gästen „einen weichen Übergang in den Alltag Istanbuls ermöglichen“, sagt der deutschtürkische Architekt. So organisiert Manzara thematische Stadtspaziergänge. Die Guides sprechen fließend Deutsch und Türkisch. Sie sind, wie Altindis auch, Remigranten, gut ausgebildete Deutschtürken, die Istanbul attraktiver finden als deutsche Städte. Dort, am Bosporus, ist ihre Zweisprachigkeit ein Vorteil. Manzara betreibt auch ein Frühstückscafé, dort arbeiten außer den Deutschtürkinnen 15 Istanbulerinnen. „Sie kochen für uns“, sagt Altindis, „die meisten verdienen so das erste Mal ihr eigenes Geld.“

Seine Ferienwohnungen lässt er von Handwerkern aus dem Viertel renovieren. Für das Café wird beim Einzelhändler an der Ecke eingekauft. Wer möchte, kann sich den Kühlschrank füllen lassen, kann eine Massage oder eine Liveband auf der eigenen Dachterrasse buchen. Einmal habe ein Kunstdozent angefragt, der wollte für einige Monate bleiben und malen. Diese Idee habe ihm so gefallen, sagt Altindis, dass er dem Gast eine Wohnung zum Maleratelier ausbaute. Denn Istanbul sei laut, anstrengend, „da braucht man eine Rückzugsmöglichkeit“.

Und weil ihm die Förderung der Kunst am Herzen liegt, hat er 2009 ein Künstleratelierhaus in Galata eröffnet, in Zusammenarbeit mit der Kunststiftung NRW, der Hochschule für Kunst Braunschweig und der Stadt Köln. 25 Künstlerinnen und Kunststudenten haben dort schon gewohnt und gearbeitet.

Wo beginnt die Spekulation?

Was aber soll man davon halten, dass da einer hergeht und eine Wohnung nach der anderen kauft und wochenweise an Touristen vermietet. Zwar nicht überteuert, aber doch zu Preisen, die den ortsüblichem Wohnungsmarkt übersteigen? Treibt das nicht die Gentrifizierung, die Istanbuls Innenstadt umwälzt, weiter voran? Nein, sagt Altindis, „so ist es nicht“. Nur einige der Wohnungen gehören ihm. Meist kauft er die Wohnungen nicht, sondern übernimmt eine „kaputte Immobilie“, renoviert und macht einen Fünfjahresvertrag, danach geht sie an den Eigentümer zurück. Bislang sei es meist so, sagt Altindis, dass die „Eigentümer mit uns so zufrieden sind, dass wir die Wohnungen weiter behalten können“.

Aber bei Spekulationen mit Wohnraum will Altindis nicht mitbieten. So lässt er etwa die Finger von Tarlabasi, das gerade als nächstes aufkommendes Viertel gehandelt wird. Tarlabasi ist das Viertel hinter dem schicken Beyoglu. „Die Erde und die Steine Istanbuls sind aus Gold“, lautet ein Versprechen, dem Menschen in der ganzen Türkei vertrauen und hinterherreisen. Sie verlassen ihre Dörfer in der Osttürkei und kommen in Viertel wie Tarlabasi. Nun wird Tarlabasi in grober Manier saniert, abgerissen, umgebaggert. Tarlabasi: der kommende Kiez.

Altindis will da nicht mitzocken. Er macht Touren mit Architekten in die Gececondular, in Häuser und Viertel, die „über Nacht“ entstehen. Die Energie dieser Neuistanbuler findet er beeindruckend. Wer sich mit einer Waage auf die Galatabrücke setze und Passanten anbietet, sich zu wiegen – eine der vielen Istanbuler Ich-AGs –, der müsse schon mal nicht betteln, verliere sein Gesicht nicht. „Die sind ehrgeizig, die haben etwas vor“, sagt der ehemalige Migrant.

Für das Künstlerstipendium, das Manzara in diesem Jahr ausgeschrieben hatte, hat sich der bayerische Türke ein augenfälliges Zeichen ausgedacht: eine bayerische Brezel und ein Simit, den türkischen Sesamring, ineinander verschlungen wie die Lebenswege von Istanbuler Remigranten.