KIM TRAU POLITIK VON UNTEN
: Fürsorge und Bevormundung

Die Schwed_innen kümmern sich um ihre Mitmenschen. Leider übertreiben sie es damit manchmal etwas. Aber trotzdem: Was für eine tolle Gesellschaft!

Ich habe mich verliebt, in ein Land, in Schweden. Es fing im vergangenen Sommer im Zug von Malmö nach Uppsala an, wo ich ein Jahr lang studieren wollte. Beim Blick aus dem Fenster sah ich Landschaften an mir vorbeiziehen, die mich berührten. Wälder, Felsen, Wiesen so weit ich schauen konnte. Mir stiegen Tränen in die Augen. Alles sah so schön aus. Auf den Boden der Tatsachen wurde ich noch am selben Tag geholt: Man sollte nicht bei dreißig Grad dick angezogen und mit viel Gepäck einen Berg hinaufmarschieren, nicht gleich beim Anblick eines ungeputzten Zimmers in Panik geraten und vor allem nicht glauben, eine von Schimmel befallene Schaumstoffmatratze ließe sich wieder brauchbar machen.

Schweden hat es mir angetan. Daran konnten auch die lange Dunkelheit und Kälte nichts ausrichten. Im Gegenteil, vielleicht haben gerade sie etwas ganz anderes besonders sichtbar gemacht, die schwedische Gesellschaft.

Aber bevor ich mich hemmungslos in Verallgemeinerungen ergehe, eine Geschichte, die ich gehört habe: Jemand hatte des Öfteren Alkohol im Systembolaget gekauft – in Schweden kann Alkohol ab 3,5% nur in diesen staatlichen Geschäften erworben werden – und mit Kreditkarte bezahlt. Da erhielt sie_er einen Brief von der Bank mit der Frage, ob sie_er nicht mal darüber nachdenken wolle, sich wegen eines Alkoholproblems beraten zu lassen. Das kann man jetzt als Bevormundung kritisieren, für mich ist das Ausdruck einer Fürsorgementalität, wie sie mir in Schweden oft begegnet ist.

Leider hat diese Fürsorge auch eine restriktive Seite, unter der auch Trans* Leute zu leiden haben. Ohne Sterilisation/Kastration ist eine Korrektur des Geschlechtseintrags in Schweden nicht möglich. Und wer dies wünscht, kann sich weder eine_en Psychologin_en frei aussuchen, noch kommt sie_er an einem strengen Gremium der Gesundheitsbehörde vorbei, dass alle medizinischen Maßnahmen absegnen muss. Das dazugehörige Gesetz von 1972 war zwar das erste der Welt. Auf eine grundlegende Reform wartet es dafür bis heute.

Ich weiß nicht, ob mich mein Weg wieder nach Schweden führen wird, aber die Zeit dort wird mich auf eben diesem Weg begleiten. Ganz persönlich in der Erkenntnis, dass eine Karriere an der Uni nicht nur denkbar, sondern machbar ist. Dass, wenn ich mit meinem Trans*-Sein und meiner Beschäftigung mit dem Thema offen umgehe, mir vor allem Respekt entgegengebracht wird. Und auch politisch in dem Wissen, dass es nicht beim Jammern über eine Zwei-Klassen-Medizin, ein Schulsystem, das nicht nach Leistung, sondern nach Herkunft selektiert oder über den mangelnden Gestaltungsspielraum der Politik bleiben muss. Wie schön, dass es einen Tellerrand gibt, über den man hinausschauen kann.

■ Die Autorin studiert Geschichte, nun wieder in Berlin. Foto: privat