Studium während der Coronapandemie: Allein im Uni-Kosmos

Die Pandemie stellt Studierende vor Herausforderungen. Wer nicht aus einem Akademikerhaushalt kommt, hat es schwer.

Studierende sitzen in einem Hörsaal

Vor der Pandemie: Erstsemester bei der Begrüßung an der Universität Köln im Oktober 2019 Foto: Christoph Hardt/imago

BERLIN taz | Matea Buzuk kämpft mit dem schlechten Gewissen. Die Studentin der Kulturarbeit hat einen ihrer Nebenjobs in einer Veranstaltungslocation zu Beginn der Pandemie verloren. Um über die Runden zu kommen, lieh sie sich Geld – auch bei ihren Eltern. Dabei sei der Vater als Taxifahrer wegen Corona ebenfalls von geringeren Einnahmen betroffen. BAföG erhält sie nicht. Um ihre Eltern nicht mehr als unbedingt notwendig zu belasten, versucht sie nun, nur das Nötigste einzukaufen und vereinzelte Aushilfsjobs aufzutreiben.

Überbrückungs­hilfen werden nur bei einem Kontostand unter 500 Euro gezahlt

Wie Buzuk haben Tausende Studierende während der Coro­na­pan­demie ihren Nebenjob verloren. Allerdings geht eine im Mai veröffentlichte ­Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) davon aus, dass eine Gruppe besonders betroffen ist: Die der sogenannten Arbeiterkinder, wie Nichtakademikerkinder auch genannt werden. Sie jobben häufiger als ihre Kommilito­nInnen aus Akademikerfamilien in gering qualifizierten Berufen – hinter Bartresen und an Theatergarderoben. Und damit in Branchen, die seit Monaten unter den Coronamaßnahmen ächzen.

Dabei sind gerade Kinder aus nichtakademischen Familien auf ihre Nebenjobs angewiesen. Wie die 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks zeigt, macht der eigene Verdienst bei Studierenden ohne akademischen Hintergrund 30 Prozent des Gesamteinkommens aus. Bei Akademikerkindern sind es 20 Prozent.

Barschicht statt Hiwi-Stelle, Einlass statt Elternfinanzierung – fällt der Job weg, können Ausgaben für einen kaputten Laptop schnell zur Schwierigkeit werden; steigende Mieten zur Dauerbelastung. „Die größte Hürde im vergangenen und im jetzigen Semester ist die Studienfinanzierung“, erklärt auch Julia Munack, Sprecherin der Organisation ArbeiterKind.de, die Studierende aus Familien ohne Hochschulerfahrung vernetzen will.

Wer vor der Pandemie schon blank war, geht leer aus

Zwar gibt es Hilfen für Studierende, die in Geldnot geraten sind: Bis Ende Mai 2021 bietet die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ein zinsloses Darlehen von 650 Euro im Monat. BAföG-Anträge können schneller an ein geändertes Elterneinkommen angepasst werden. Studierende mit finanziellen Einbußen sollen im November wieder staatliche Nothilfen beantragen können. Wie die erneute Unterstützungsrunde ausgestaltet wird, ist indes weitgehend unklar. Noch sind die Antragsformulare nicht online verfügbar.

Auf Anfrage der taz erklärte ein Ministeriumssprecher allerdings, Bildungsministerin Anja Karliczek könne sich vorstellen, dass die Überbrückungshilfe auch über den November hinaus bis zum Ende des Wintersemesters weiterlaufe. Außerdem sollen die Voraussetzungen für die Antragstellung vereinfacht werden.

Das Programm, das im Oktober mit dem Verweis auf sinkende Antragszahlen ausgesetzt wurde, hatte massive Kritik auf sich gezogen. Zum einen, weil die Hilfen nur bei einem Kontostand unter 500 Euro ausgezahlt wurden. Vor allem aber, weil Studierende, die schon vor der Pandemie in eine finanzielle Schieflage geraten waren, leer ausgingen. Eine Regelung, die die hochschulpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Nicole Gohlke, in dessen Plenardebatte zuletzt als „unterlassene Hilfeleistung“ bezeichnete.

„Es hat sich bereits in den vergangenen Monaten gezeigt, dass zu viele Anträge abgelehnt werden mussten, da die Notlage nicht pandemiebedingt war, sondern unabhängig davon schon davor bestand“, findet auch die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack. Zudem müsse die Höhe der Hilfe überdacht werden, da die bisherigen maximal 500 Euro Zuschuss im Monat die durchschnittlichen Lebenshaltungskosten nicht im Ansatz deckten.

Antragstellung zu kompliziert

Gegenüber der taz beklagt ArbeiterKind.de-Sprecherin Munack darüber hinaus auch noch bürokratische Hürden: Manche Studierende hätten ihrer Organisation gegenüber angegeben, die Überbrückungshilfe gar nicht erst beantragt zu haben, weil der Antrag zu kompliziert gewesen sei und es wenig Hilfe dabei gegeben habe.

Zugang zum Studium Während laut Hochschul-Bildungs-Report aus dem Jahr 2017 von hundert eingeschulten Akademikerkindern durchschnittlich 74 ein Studium beginnen, finden nur 21 Arbeiterkinder den Weg an die Hochschulen. Ihre Unterrepräsentation verstärkt sich im Laufe der Hochschullaufbahn: Nur 8 von ihnen erhalten einen Masterabschluss, bei den Akademikerkindern sind es 45. Mit einer Promotion beendet durchschnittlich eines von hundert Nichtakademikerkindern die Bildungslaufbahn, im Gegensatz zu 10 Promovierten aus Akademikerfamilien.

Studienabbruch Studierende, die vor allem berufliche Alternativen und persönliche Gründe für einen Stu­dien­abbruch anführen, kommen zur Hälfte aus Akademikerfamilien. Geld spielt dagegen vor allem bei Arbeiterkindern eine Rolle: 72 Prozent der Studierenden, die aus finanziellen Gründen abbrechen, haben keinen akademischen Hintergrund. (jk)

Indes ist das BAföG nur für wenige Studierende eine Stütze. Lediglich 11 Prozent erhalten das staatliche Darlehen. Den Höchstsatz von derzeit 861 Euro bekommt etwa die Hälfte von ihnen. Als Grund für die niedrigen Zahlen wird oft ein zu niedriger Freibetrag beim Elterneinkommen genannt: Derzeit liegt der bei 1.890 Euro für verheiratete Paare.

Und selbst wer den Höchstsatz bekommt, dürfte angesichts der in diesem Jahr weiter gestiegenen Mietpreise in deutschen Unistädten schnell auf zusätzliche Einnahmen angewiesen sein. In München kostet eine durchschnittliche Studierendenwohnung laut MLP Studentenwohnreport 2020 momentan 724 Euro warm.

Angesichts der Pandemie hat die Debatte über eine Reform des BAföG erneut an Fahrt aufgenommen. Die Linke will die Elternfreibeträge um 10 Prozent anheben, das BAföG in einen rückzahlungsfreien Vollzuschuss umwandeln und die Wohnpauschale „ortsangemessen erhöhen“.

Die Grünen schlagen eine studentische Grundsicherung vor. Dabei sollen alle Studierenden bis 25 Jahre einen monatlichen Garantiebetrag von 290 Euro erhalten, außerdem gäbe es einen einkommensabhängigen Bedarfszuschuss – ohne Rückzahlung. Die SPD strebt an, einen Notfallmechanismus im BAföG zu etablieren, mit dem Studierende in Krisenzeiten unterstützt werden können. Wie es um dessen Umsetzung steht, ist ungewiss.

Doch es sind nicht nur die finanziellen Probleme, die den Studierenden in der Pandemie zu schaffen machen. Hinter ihnen liegt ein Semester vor dem heimischen PC, vor ihnen ein „Hybridsemester“, wie manche Hochschulen die angestrebte Mischung aus vielen Onlineveranstaltungen und wenigen Präsenzseminaren optimistisch nennen. Gerade für Studierende ohne akademischen Hintergrund birgt das zusätzliche Herausforderungen.

„Wir erleben oft, dass Studierende aus Arbeiterfamilien sich fremd an der Uni fühlen, weil der Habitus ein ganz anderer ist, als der, den sie bislang gewöhnt waren“, berichtet Munack. Von 100 eingeschulten Arbeiterkindern finden durchschnittlich ohnehin nur 21 den Weg an die Hochschulen, und damit 53 weniger als bei den Akademikerkindern. „Das ist wie eine andere Sphäre zu Beginn des Studiums. Man hat vor den Lehrenden teilweise auch Ehrfurcht, weil die so viel erreicht haben, ist selbst völlig neu und unbedarft in der akademischen Welt und will auch nicht auffallen.“

Finden Seminare online statt, fehlen SitznachbarInnen, die bei Unsicherheiten unkompliziert befragt werden können. Gerade Erstsemester, die noch keine Gelegenheit hatten, ein soziales Netz an den Unis aufzubauen, leiden darunter.

„Ich kannte keine Kommilitonen, ich kannte keine Profs, ich kannte eigentlich niemanden. Und dann ging es online los und da waren ganz viele Namen und der Professor, den man als einzigen gesehen hat“, erzählt Philipp Guppenberger von seinen ersten Hochschultagen. Wie viele Nichtakademikerkinder entschied sich der 22-Jährige zunächst für eine Ausbildung, begann dann im Sommersemester ein BWL-Studium – in einer neuen Stadt, mitten im digitalen Nirgendwo.

„Als die erste Hausarbeit anstand, fiel mir total die Decke auf den Kopf, weil ich überhaupt keinen Plan hatte“, so Guppenberger, „Wir mussten das Thema festlegen, eine Gliederung erstellen und ich war völlig überfordert.“ Seine Eltern hätten sich zwar zum Korrekturlesen bereit erklärt, allerdings nie selbst eine wissenschaftliche Arbeit geschrieben. Rat fand er schließlich nicht an der Uni, sondern bei einer Freundin.

Zu der Unsicherheit im digitalen Unikosmos gesellten sich Existenzsorgen: Seinen ursprünglich an Land gezogenen Nebenjob in einem Restaurant, der neben BAföG und elterlichen Zuschüssen die Studienfinanzierung sichern sollte, konnte der gelernte Koch nie antreten, obwohl er recht schnell Ersatz in einer Tankstelle fand. Ein weiterer Stressfaktor, der nicht zu unterschätzen ist: Eine im Auftrag von Juso-Hochschulgruppen durchgeführte Befragung weist darauf hin, dass Arbeiterkinder während der Coronapandemie doppelt so häufig unter Existenzängsten leiden, wie ihre KommilitonInnen aus Akademikerhaushalten.

Die im Juli veröffentlichte Studie ist zwar nicht repräsentativ, weitere Auswertungen würden laut Studienautorin Jacqueline Niemietz allerdings nahelegen, dass sich die Existenzangst der Studierenden auch negativ auf deren Produktivität auswirkt. „Das heißt, je höher meine Existenzangst ist, desto weniger Kurse werde ich im Semester belegen“, so Niemietz.

„Ich kann nicht sagen: Ich mach mal langsam“

Gerade für Arbeiterkinder scheint eine schnelle Beendigung ihres Studiums aber schon aus finanziellen Gründen oft wichtig. „Ich kann jetzt nicht sagen, dann mache ich dieses Semester mal langsam und schaue, was auf mich zukommt“, sagt etwa Julia Wirth. Die Soziologiestudentin ist die erste aus ihrer Familie an einer Uni. Von ihren Eltern habe sie wenig Unterstützung bei der Studienentscheidung bekommen.

Weil deren Gehalt knapp über der BAföG-Einkommensgrenze läge, sei sie neben Studijobs aber auf ihre finanzielle Hilfe angewiesen. Ein Umstand, der schon zu Streitigkeiten geführt habe. „Wenn ich jetzt weniger Prüfungen mache, dann hinke ich noch mehr hinterher. Wie soll ich meinen Eltern erklären, dass ich länger brauche?“ Dass viele Bundesländer die Regelstudienzeit wegen Corona um ein weiteres Semester verlängern wollen, hilft der 23-Jährigen kaum.

Ob die Coronapandemie langfristig zu höheren Studien­ab­bruch­zahlen insbesondere bei Arbeiterkindern führen wird, lässt sich derzeit kaum absehen. Eine Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) aus dem Jahr 2017 zeigt aber, dass Arbeiterkinder ihr Studium öfter als Akademikerkinder aus finanziellen Gründen abbrechen. Gründe, die angesichts des pande­mie­be­dingten Teil­lock­downs verstärkt zum Tragen kommen könnten.

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