Der Allzunahverkehr

Bisher ergebnislos wird darüber debattiert, ob der öffentliche Personennahverkehr aus Infektionsschutzgründen von privaten Busunternehmen unterstützt werden soll

Abstand halten? Im ÖPNV ist das nicht möglich Foto: xHahnex/Eibner-Pressefotox EP_joha/Imago

VonBenno Schirrmeister

Jetzt dann offenbar doch: „Wir werden Reisebusse einsetzen, wenn es gar nicht anders geht“, sagt Jens Tittmann, Sprecher von Bürgermeisterin und Verkehrssenatorin Maike Schaefer (Grüne) der taz. Bislang hatte sich die Bremer Straßenbahn AG (BSAG) mit Händen und Füßen und die Verkehrssenatorin mit Bedenken und Einwänden gegen diese Ad-hoc-Maßnahme gewehrt. Weder würden die privaten Busunternehmer*innen den gleichen Tarif zahlen wie die BSAG, noch sei mit ihren Fahrzeugen die Barrierefreiheit zu garantieren, so Tittmann.

Gefordert hatte die Maßnahme CDU-Verkehrspolitiker Heiko Strohmann. „Die Fahrzeuge privater Busunternehmen stehen seit Monaten still“, hatte er bereits vergangene Woche argumentiert. Die BSAG aber könne den „erhöhten Bedarf an öffentlichem Nahverkehr nicht decken“. Entsprechend wäre die Unterstützung der BSAG durch private Anbieter*innen „ein Gewinn für alle“, so Strohmann. Praktikabel wäre das, glaubt Michael Kaiser, Geschäftsführer des Gesamtverbandes Verkehrsgewerbe Niedersachsen und Bremen. So seien in Nordrhein-Westfalen etwa 500 solcher Zusatzbusse schon seit Wochen unterwegs.

Am gestrigen Mittwoch informierte die BSAG nun darüber, dass sie „punktuell“ prüfen werde, wo der unterstützende Einsatz von Reisebussen „prinzipiell möglich“ sei. Vielfach würde er an der größeren Höhe der Fahrzeuge scheitern, warnte Vorstandsmitglied Matthias Zimmermann vor überzogenen Erwartungen. „In Bremen gibt es nun mal eine ganze Reihe niedriger Unterführungen.“ Auch sei der Eindruck falsch, die BSAG wäre überfordert. „Wenn in den Hauptverkehrszeiten alle Plätze besetzt sind, ist das normal“, so Zimmermann.

Normal ist allerdings gerade nicht so toll: „So eng wie vor Corona“ quetsche man sich morgens in Busse und Bahnen heißt es von Schüler*innen, das mache das Abstandhalten auf dem Weg zur Schule oft unmöglich. Bei der BSAG denkt man offenbar eher an die Berufspendler*innen, die zwischen Hauptbahnhof und Güterverkehrszentrum unterwegs sind. Dort sei mit Inkrafttreten des Winterfahrplans am Montag aber ohnehin bereits für Entlastung gesorgt worden. Eine neue Linie 63 S verbindet als Shuttle die Endpunkte ohne Zwischenhalt. „Was wir dort aber auch erleben ist, dass bei einem drei bis vier Minuten-Takt der erste Bus überfüllt und der nächste leer ist“, so BSAG-Sprecher Jens-Christian Meyer.

Christoph Spehr, Landesvorstandssprecher von Die Linke, hält den Rückgriff auf private Busunternehmen für sinnvoll. „Das muss möglich sein“, so das Mitglied der Verkehrsdeputation. Und ein bisschen wundert er sich über den Koalitionspartner: „Wenn wir bei Gesundheit und Wirtschaft auch so zögerlich rangingen, würde gar nichts klappen“, sagt er der taz. „Wir befinden uns in einer Lage, da müssen alle schauen, was sie tun können, um die Neuinfektionen einzudämmen.“ Dazu gehöre es, die Busauslastung zu entzerren.

Zwar hat eine Auswertung des Robert-Koch-Instituts (RKI) keine Hinweise auf ein gesteigertes Infektionsgeschehen im ÖPNV erbracht. Doch das Ergebnis sei „sicher auch bedingt durch die massiven Gegenmaßnahmen“, warnt das RKI-Bulletin, den einschlägigen Zahlen zu viel Beweiskraft zuzutrauen. Umgekehrt haben internationale Studien einen Zusammenhang zwischen Verbreitung des Virus und Bus- und Bahnverkehr nachgewiesen. Es sei jedenfalls „nicht zu vermitteln, dass Leute zusammengedrängt im Bus stehen können – und sobald sie aussteigen, sind sie eine per Coronaverordnung verbotene Versammlung“, spitzt Spehr zu.

„In Bremen gibt es eine Reihe niedriger Unterführungen“

Matthias Zimmermann, BSAG-Vorstandsmitglied

Sehr skeptisch äußert sich dagegen Kai Steuck, der stellvertretende Landesbehindertenbeauftragte. Hier dürfe „kein Präzedenzfall geschaffen werden“, warnt er. Ein barrierefreier ÖPNV müsse „oberste Prämisse“ sein – und „erst, wenn alle barrierefreien Fahrzeuge auf der Straße sind“, dürfe über Ergänzungsangebote nachgedacht werden, die den Standard nicht erfüllen. Gerade unter Pandemiebedingungen sei es ja wichtig, „die Voraussetzungen für ein inklusives, barrierefreies und diskriminierungsfreies Zusammenleben zu schaffen und nicht zu unterminieren“. Und gewisse Reserven hat auch die Gewerkschaft: So erinnert Verdi-Sekretär Franz Hartmann daran, dass laut Bremer Tariftreuegesetz „die beauftragten Unternehmen schon tarifgebunden sein müssten“.

Aber das sei genau für ihn jedenfalls „kein Problem“ so Kay Artal, Inhaber von „Artal-Reisen“: „Erstens zahle ich Tarif – und zweitens: Wenn die BSAG uns beauftragt und entsprechend bezahlt, hätte ich überhaupt kein Problem damit, meinen Fahrer*innen dafür auch den höheren BSAG-Lohn zu zahlen.“

Anders als die meisten hat er auch barrierefreie Reisebusse in seinem Fuhrpark. Aber ohnehin sei die Frage in diesem Fall so gravierend nicht: Die Entlastungsbusse würden ja die regulären begleiten „im selben Takt, denn für einen Zwischentakt ist da gar kein Platz“, so Artal. Wenn von zwei Schulbussen, die gleichzeitig an der Haltestelle stehen, nur einer barrierefrei sei, „das müsste doch reichen“, so der Unternehmer.