Bremen spart bei
den Ärmsten

Die rot-grün-rote Regierungskoalition kürzt Asylsuchenden seit 2019 die Leistungen. Dabei müsste das laut Bund in Pandemiezeiten gar nicht sein, sagt der Flüchtlingsrat und spricht von „Schikane“. Auch der Bremer Rat für Integration kritisiert die Kürzungen

Im Frühjahr demonstrierten BewohnerInnen der Erstaufnahme Lindenstraße für ihr Recht auf Social Distancing. Aber bis heute müssen sie wie eine Wohngemeinschaft wirtschaften Foto: Hannes von der Fecht

Von Jan Zier

Asylsuchenden und Geduldeten, die in Sammelunterkünften leben, werden ihre ohnehin geringen Leistungen monatlich um bis zu zehn Prozent gekürzt: So sieht es das Asylbewerberleistungsgesetz seit dem vergangenen Sommer vor. Bremen solle diese Sparmaßnahmen angesichts der Coronapandemie sofort aussetzen – das fordern der Bremer Rat für Integration und der Flüchtlingsrat.

Zwar geht es hier um ein Bundesgesetz, Bremens Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) könnte die Leistungskürzung aber mit einer fachlichen Weisung zumindest vorübergehend aussetzen, argumentieren die beiden Organisationen. Das Sozialressort sagt jedoch, sein Ermessensspielraum gehe „gegen null“.

Geflüchtete bekommen laut den Asylbewerberleistungsgesetz maximal 354 Euro im Monat – zusammengesetzt aus einem sogenannten „Taschengeld“ und Geld für sonstige Bedarfe. Betroffene erhalten nach einem Beschluss des Bundes seit 2019 jedoch monatlich bis zu 34 Euro weniger, erklärt Holger Dieckmann vom Bremer Flüchtlingsrat.

„Die grundrechtswidrige, realitätsferne und zynische Begründung lautete, einander fremde Bewohner*innen einer Gemeinschaftsunterkunft könnten wie ein Haushalt gemeinsam wirtschaften und hätten dann weniger Ausgaben als Alleinstehende“, so Dieckmann. Zum Vergleich: Alleinstehende und Alleinerziehende bekommen 416 Euro Sozialhilfe im Monat.

Seit April legt die Coronaverordnung in Bremen allerdings ausdrücklich fest, dass in Übergangswohnheimen und der Erstaufnahmestelle in der Lindenstraße das Abstandsgebot einzuhalten ist. Damit sei es seit einem halben Jahr „de facto unmöglich oder sogar verboten“, wie eine Familie oder Wohngemeinschaft zu wirtschaften, argumentiert der Flüchtlingsrat.

Den Ausweg habe eine parlamentarische Anfrage der Grünen im Bundestag aufgezeigt. Denn in der Antwort vertritt die Bundesregierung etwas verklausuliert die Auffassung, dass „übergangsweise“ durchaus ein Verzicht auf die Leistungskürzung „in Betracht kommen kann“. Nämlich dann, wenn in den Sammelunterkünften aus Gründen des Infektionsschutzes Maßnahmen ergriffen wurden, „die die Möglichkeit eines gemeinsamen Wirtschaftens in erheblichem Umfang einschränken“.

Eine Weisung des Sozialressorts, die Kürzungen zumindest für die Dauer der Pandemie auszusetzen, sei deshalb „sachlich geboten, rechtlich möglich und lange überfällig“, sagt Holger Dieckmann. Die Behauptung, Menschen, die ansonsten keinerlei Bezüge zueinander hätten, könnten wie eine Familie gemeinsam wirtschaften und so zehn Prozent ihrer Kosten einsparen, „ist so absurd wie diskriminierend“. Der Flüchtlingsrat lehnt das Asylbewerberleistungsgesetz grundsätzlich ab und fordert seit Langem dessen ersatzlose Streichung.

Der Sprecher des Sozialressorts, Bernd Schneider, betont zwar, dass Bremen die entsprechende Gesetzesänderung abgelehnt habe, sieht sich aber trotzdem in der Pflicht, den Geflüchteten die Leistungen zu kürzen. „Das ist geltendes Recht, das wird angewandt“, so Schneider.

„Das ist geltendes Recht, das wird angewandt“

Bernd Schneider, Sprecher des Sozialressorts

Mehr Geld könnten Betroffene nur dann bekommen, wenn sie alle und einzeln Anträge stellen würden und dabei Mehrbedarf konkret nachweisen würden, sagt Schneider, der das nach eigenem Bekunden „sehr unglücklich“ findet. Zu diesen Einzelanträgen habe das Ressort bisher aber weder den Sozialämtern noch den Beratungsstellen noch den Betroffenen „auch nur die leiseste Hilfestellung gegeben“, entgegnet Dieckmann.

Schneider verweist zudem auf ein Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen in einem Eilverfahren, das Dieckmann über den Einzelfall hinaus jedoch nicht für einschlägig hält. Es sei „im gerichtlichen Eilverfahren an einer Auslegung gehindert“, wonach dem klagenden Mann aus Gambia die Leistungen nicht gekürzt würden, sagt das LSG im Urteil. „Eine solche Entscheidung bindet das Ressort gerade nicht in negativer Hinsicht“, sagt Dieckmann. Zudem hätten die Richter*innen „Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Kürzungen“ geäußert – und nur deshalb nicht dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt, weil es sich um ein Eilverfahren handelte.

Zumindest in Rheinland-Pfalz geht man einen anderen Weg. Dort gibt es bereits eine entsprechende Weisung des zuständigen Ministeriums: Es empfiehlt den Landkreisen und kreisfreien Städten „dringend“, geeignete Einzelfälle dahingehend zu überprüfen, ob nicht vorübergehend auf die Kürzungen verzichtet werden könnte. Das Sozialressort hält jedoch an den Kürzungen fest: Rheinland-Pfalz habe keine solchen Urteile wie Bremen, sagt Schneider – „daher können die (noch) anders agieren“.

Der Bremer Rat für Integration unterstützt die Forderung des Flüchtlingsrates: Es könne nicht sein, dass ausgerechnet in der Pandemie „bei den Ärmsten der Gesellschaft, den Asylsuchenden und Geduldeten“ gespart werde, teilte er mit. Und während die Spitze des Sozialressorts auch der Sozial-Deputation erklärte, rechtlich an die Kürzungen gebunden zu sein, sieht Dieckmann das Ganze als „eine politische Frage“: „Wer von den Betroffenen – und nur die könnten klagen – würde vor Gericht dagegen vorgehen, mehr Geld zu bekommen?“, fragt der Sprecher des Flüchtlingsrates. „Es geht schlicht darum, Asylsuchende zu schikanieren.“ Das Bremer Sozialressort beteilige sich „willfährig“ daran.