Berliner Kurzfilmfestival läuft online: Kurze Einblicke in 270 Welten

Das Festival Interfilm streamt Filme aus aller Welt. Dort treffen feministische Animationen auf poetische Meditationen oder postkoloniale Positionen.

Zwei gelb gekleidete, surreal wirkende Schauspieler im Kurzfilm "Zombie"

Reise zwischen Hoffnung und Dystopie in einem halluzinierten Kinshasa: der Kurzfilm „Zombie“ Foto: Baloji Tshiani/Interfilm Festival Berlin

Glockengeläut, ein Fenster, das geöffnet wird. Der Blick aus dem Fenster fällt auf Messdiener. Weiter schweift der Blick, das Haar des einen Messdieners wird zu einem Hügel. In den über 20 Jahren seiner Filme hat der italienische Animationsfilmer Simone Massi die Technik eines Vorwärts in die Tiefe des Filmraums perfektioniert.

In einer Mischung aus visuellen Umdeutungen von Flächen, die sich zu Formen öffnen, etwa bei einem Zoom auf die Stirn eines Jungen, die zu einem Himmel wird, über den Vögel flattern, entfalten Massis Filme einen Sog. In seinem neusten Film „L’infinito“ wird dieser Sog begleitet von Giacomo Leopardis gleichnamigem Gedicht. „Untergehen in diesem Meer ist inniger Schiffbruch.“

Massis Film ist Teil des diesjährigen Internationalen Wettbewerbs des Kurzfilmfestivals Interfilm. Dort werden 270 Kurzfilme aus aller Welt in 30 Programmen gezeigt. Auch Interfilm wurde von der Schließung der Kinos kalt erwischt und hat schnell umgemodelt. Nun präsentiert es die Programme der diesjährigen Ausgabe kurzerhand online auf der Berliner Streamingplattform „sooner“.

Neben dem internationalen, dem deutschen und dem Wettbewerb der kurzen Dokumentarfilme gibt es einen Länderschwerpunkt zu Kurzfilmen aus Polen, Themenprogramme zu Postkolonialismus, zu Beirut, zu neuen Talenten des chinesischen Kurzfilms sowie zu revoltierenden jungen Frauen.

Interfilm Berlin, 11. 11.-13. 12., Streaming auf interfilm.de/sooner. Vollständiges Programm auf: www.interfilm.de. Tickets erhältlich ab 11. 11

Eine Lücke klafft inmitten des Hügels, der mit Palmen bedeckt ist. Stimmengewirr. Wie von Zauberhand erhebt sich die Palme zurück an ihren Platz. „Rewild“ von Nicholas Chin, Ernest Zacharevic ist ein schlichter wie effektiver Film. Die alte Filmtechnik, Aufnahmen rückwärts abzuspielen, wird hier zur Utopie. Sie findet Bilder dafür, wie es wäre, die Zerstörung der Umwelt rückgängig zu machen. Das Beispiel im Film ist die Abholzung der Wälder Sumatras. Beinahe die Hälfte des Waldes ist in nur zwei Jahrzehnten verschwunden. „Rewild“ läuft im Umweltfilm Wettbewerb von Interfilm.

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Bedrückende Poesie

In Zusammenarbeit mit Afrikamera präsentiert Interfilm zwei Programme unter dem Titel „Focus on Postcolonialism“. In einem dieser Programme läuft „No Archive Can Restore You“ der Künstlerin und Filmemacherin Onyeka Igwe. Es ist eine Spurensuche im leerstehenden Gebäude der Nigerian Film Unit. Sie wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, um statt der zentralen britischen Colonial Film Unit die Filmarbeit in den Kolonien zu dezentralisieren. Igwe erkundet Filmbilder, die nicht wirken als seien sie Vergangenheit.

Interfilm steht seit Jahren für einen unkomplizierten Einstieg in die Welt des Kurzfilms. Das wird auch bei der notgedrungenen Transformation in ein Onlinefestival beibehalten: der Festivalpass kostet gerade einmal 7,95 Euro. So sind alle Voraussetzungen gegeben, um als Zuschauer:in abzutauchen in ein Meer von Kurzfilmen und zu schwelgen.

Im flirrenden Kinshasa von Baloji Tshianis „Zombies“, in der bedrückenden Poesie von Daniel Asadi Faezis „Where we used to swim“ oder in Renata Gasiorowska feministischem Animationsfilm „Cipka“. Unendliche Weiten des Kurzfilms. Im Laufe des Jahres haben Festivals Erfahrungen gesammelt, wie Filme am besten online zu präsentieren sind.

Spannend wird sein zu sehen, wie gut es Interfilm gelingt, Gespräche und Begegnungen ins Internet zu verlagern. Schön wäre ja, wenn die Diskussionen durch den Wechsel der Plattform nicht ganz wegfielen.

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