Neues Album von Future Islands: Flennen mit den Profis

Große Gefühle sind bierzelt­kompatibel: Die US-Band Future Islands lässt es auf ihrem neuen Album „As Long As You Are“ wieder menscheln.

Future Island sind vier nicht ganz alte weiße Männer in schlichten Baumwollhemden, die Haare sind kurz, es gibt einen Oberlippenbart und einen grauen Vollbart

Future Islands, rechtsaußen Heulboje Samuel T. Herring Foto: Justin Flythe

„Who am I?“, „Is it too much to carry?“, „What’s my purpose?“, „Can any fool learn love?“, „Am I the one I forgot to love?“ et cetera, et cetera: Auch „As Long As You Are“, das neue Album der US-Band Future Islands, zeigt Sänger Samuel T. Herring wieder als eifrigen und tiefgründigen Fragensteller – an das Leben und an sich selbst.

Future Islands: „As Long As You Are“ (4AD/Beggars/Indigo)

Wenn Herring auf der Bühne steht, haut er sich zur Versinnbildlichung seiner Songtexte gerne auf den Brustkorb, dass es hörbar kracht. Dass er beim Singen in Tränen ausbricht, ist keine Seltenheit. Zwischen den Strophen schaut er mit großen, grün-grauen Augen erwartungsvoll ins Publikum, als wolle er sagen: Euch geht es doch genauso wie mir! Auch ihr seid auf der Suche nach dem Glück, und bekommt es nicht hin! Auch ihr steht euch selbst im Weg, und hasst euch am Ende dafür!

Und so haben Future-Islands-Konzerte immer auch etwas von kollektiven Therapiestunden: Band und Fans verwandeln das Abarbeiten am alltäglichen Abgrund gemeinsam in ein kathartisches Konzerterlebnis.

Natürlich polarisiert diese Band, verlogenes Authentizitätsgehabe sagen manche. Die Haarschnitte wie von Mutti, Sänger Herring mit beginnender Glatze mehr Gröne- als Diestelmeyer. Doch wer sich ihren Auftritt von 2014 in der TV-Show von David Letterman anschaut, als sie den Song „Seasons“ spielten, kann kaum übersehen, dass ­Future Islands mehr wagen als andere. Das Video wurde über drei Millionen Mal aufgerufen und bescherte ihnen größeren, wenn auch immer noch bescheidenen Ruhm.

Da war die Band schon seit acht Jahren auf Ochsentour, nicht ohne Stolz zählt sie auf ihrer Website future-islands.com bis heute jeden einzelnen Liveauftritt. Auf Albumlänge funktioniert diese Band etwas anders, wobei sich ja auch einiges von Herrings Leidenschaft über seinen Gesang vermittelt. Wie seine Stimme im Auftaktsong „Glada“ supersonor über die sanften Synthesizer-Flächen kratzt, ist fast schon obszön.

„Glada“ gibt den Tonfall für „As Long As You Are“ vor. Das neue Album ist nicht weniger leidenschaftlich als die Vorgänger, klingt insgesamt aber weniger verzweifelt. Fans wissen es bereits, Herring ist seit drei Jahren glücklich mit der schwedischen Schauspielerin Julia Ragnarsson liiert – plötzlich erscheint der hemdsärmelige Leidensmann in unverhofftem Glamour. „Meine erste ernsthafte Beziehung im Erwachsenenalter“ nennt sie der 36-Jährige in einem Interview.

Keine neue Erkenntnis, aber die Band macht Schlager

Im Weiteren schrauben sich auf dem Album die Refrains in ekstatische Höhen, getrieben von Gerrit Welmers’ Synthesizer und William Cashions hüpfendem New-Wave-Bass. Sam Herring kämpft dieses Mal weniger mit der Welt, er feiert auch sich und das Leben.

Es ist keine neue Erkenntnis, dass diese Band Schlager macht; auch dieses Mal könnten Stücke wie „The Painter“, „Waking“ oder „Born in a War“ problemlos aus der Jukebox der häkelgardinenbehangenen Eckkneipe dröhnen.

Mit „For Sure“, dem zweiten Stück auf dem Album, setzen Future Islands aber noch mal eins obendrauf, hier gehen Helene Fischer und Indie-Disco eine Kernfusion ein, man hört schon das Bierzelt mitgrölen. Das ist nicht mehr schön, aber mit einem wie Samuel T. Herring am Mikrofon geht das dann gerade noch irgendwie in Ordnung.

Eigentlich wollte der 36-Jährige nie Musik machen – erst als ihm klar wurde, dass er seiner Leidenschaft für Performancekunst auch als Sänger in einer Popband nachgehen kann, hat er sich umentschieden. „Who am I?“, „What’s my purpose?“, „Am I the one I forgot to love?“ – vielleicht werden diese und ähnliche Fragen bald in Stadien und Bierzelten gestellt, „As Long As You Are“ hat das Zeug dazu.

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