Die Wahrheit: Die Hörner des Präsidenten

Der letzte amerikanische Traum: Wie ich einmal ein güldenes Geheimnis frisierte, vergrub und letztlich doch verriet.

Nachdem das Geheimnis gelüftet war, gab es überall Tumulte Foto: Reuters

Als die Wiederwahl des Präsidenten anstand, ließ er mich in sein ovales Büro kommen. Bis dahin war alles, was der Präsident berührt hatte, zu Gold geworden, seine Hotels, seine Frauen, selbst sein eigenes Haar erstrahlte gülden. Er aber bestimmte, dass nur ich die Haarpracht in der ihm genehmen Form schneiden dürfte.

Die Frisur des Präsidenten? Damit sollte mich in diesen schweren Zeiten abgeben? Waren nicht Äußerlichkeiten längst verblasst? Zählten mittlerweile nicht allein die inneren Werte? Der Präsident wischte meine Einwände brüsk beiseite. Als Fremder aus der Heimat seiner Vorfahren hätte ich keine Freunde im Establishment der Hauptstadt und könnte somit ein Geheimnis wohl bewahren.

Der Präsident warnte mich drei Mal eindringlich, dass ich das Geheimnis nicht verrate, sollte er es jedoch von jemandem hören, werde er mir die CIA, die NSA, die DEA, das FBI und den NCIS auf den Hals hetzen, die mich je nach Lust und Laune vierteilen oder steinigen, rädern oder schmäuchen, zermalmen oder zersägen dürften. Ich würde jedenfalls mausetot sein.

Ich versprach ihm also, das Geheimnis zu bewahren, und wurde sein persönlicher Haarschneider. Im selben Augenblick lüftete der Präsident den Schopf auf seinem Kopf und darunter kamen zu meiner großen Überraschung zwei Hörner zum Vorschein. Sie waren dick und kurz und leuchteten rot im Dunkeln. Vor Schreck rief ich laut: „Der Präsident hat zwei Hörner auf dem Kopf.“

Hände vor dem Mund

Er aber hielt mir seine beiden Riesenhände vor den Mund, damit mich niemand hören konnte, und warnte mich noch einmal, niemals die Weltpresse zu informieren, damit sie sein dunkles Geheimnis nicht unters Volk brächte. Das Volk würde ihn sonst sofort verjagen.

Vorsichtig griff ich zur Schere, immer bemüht, die unheimlichen Hörner nicht zu berühren und seine biberpelzgleichen Haare so vorteilhaft wie möglich aussehen zu lassen, damit er wiedergewählt werde und mein Leben verschone. Und so ging es Woche um Woche im Wahlkampf, und ich wurde immer schweigsamer und verschlossener. Aber hat je ein Mensch einen stummen Friseur gesehen? Einen, der still vor sich hin schnippelt? Ich wusste, dass ich irgendwann mit dem Geheimnis herausplatzen würde und dass es dann um mich geschehen wäre.

Die Last auf meiner Seele wurde so groß, dass ich eine serbische Wunderheilerin in New York aufsuchte. Sie hatte den dicksten Hintern der Welt, aber das hatte so wenig mit ihrem Heilmittel zu tun wie die Tatsache, dass ihr Mann Schauspieler war in einer Serie, die „Recht und Ordnung“ hieß. Genau wie der Wahlkampfslogan des Präsidenten.

Die Heilerin, deren eisiger Mann den Namen Tutuola trug, schlug mir vor, etwas zu tun, was bei den Griechen wie den Yoruba üblich sei. Dort gehe einer, der ein Geheimnis nicht mehr für sich behalten könne, es aber loswerden wolle, hin und grabe ein Loch. Da hinein rufe er es und bedecke es dann mit Erde, damit es für immer darin verbleibe. Sie selbst habe die Methode bereits einmal angewandt, und es habe ihr tatsächlich geholfen. Allerdings sei ihr ein wahrlich gewaltiges Hinterteil gewachsen und selbst ein Seelendoktor aus dem schönen Wien könne den Vorgang nicht erklären, was aber auch nicht nötig sei, da sie und ihr Gatte mit ihrem Körper nach der entrümpelten Seelenlast sehr zufrieden seien. Mir werde es bestimmt ähnlich ergehen.

Motel in der Wüste

Nicht ausmalen wollte ich mir, wo und an welcher Stelle mir etwas wachsen würde, doch bevor die inneren Konflikte mich überwältigen konnten, beschloss ich, ihrem Rat zu folgen. Ich suchte also eine von der Hauptstadt weit entfernte einsame Gegend auf, fuhr in die Mojave-Wüste und übernachtete in einem heruntergekommenen Motel im Flecken Tecopa.

Am nächsten Morgen wanderte ich hinaus ins Death Valley. Als ich den von Menschen am wenigstens frequentierten Punkt erreicht hatte, kniete ich mich nieder, grub mit bloßen Händen ein Loch, schrie hinein: „Der Präsident hat zwei Hörner auf dem Kopf“, bedeckte das Loch mit Erde und kehrte zurück in die Hauptstadt, um meine Tätigkeit wieder aufzunehmen.

Es war eine große Erleichterung. Auch wenn der Präsident misstrauisch blieb. Zu Recht! Denn zum ersten Mal seit Menschengedenken hatte es in der Nacht nach meiner Grabung im Tal des Todes geregnet. An ebenjener Stelle wuchs nun über dem Loch rasend schnell ein Binsengewächs, das eine alte Binse wahrmachen sollte: „Eines Tages kommt alles zurück.“

Es begab sich nämlich, dass ein ehrwürdiger Häuptling vom Stamme der Shoshonen auf einer sentimentalen Wanderung durch die Wüste die Binsenpflanze entdeckte und die harten Gräser zu einem Posthorn flocht, auf dem er simsen wollte. Er konnte sich leider kein hochwertiges Smartphone leisten und musste auf Naturprodukte zurückgreifen. Deshalb funktionierte das Binsenhorn auch nicht so gut wie ein gewöhnliches Mobilfunkgerät. Statt die Nachrichten des Häuptlings zu übermitteln, sandte das Binsenhorn immer nur eine einzige SMS hinaus: „Der Präsident hat zwei Hörner auf dem Kopf.“

Es kam, wie es kommen musste, wenig später erreichte die SMS Wolf Blitzer von CNN, der sofort „Breaking News“ verkündete und im „Situation Room“ die Nachricht aller Nachrichten enthüllte: „Der Präsident hat zwei Hörner auf dem Kopf.“

Blick mit wilden Augen

„Fake!“, rief der Präsident und erbleichte. Dann sah er mich mit wilden Augen an, denn ich schnitt ihm gerade wieder einmal die Haare. Natürlich dachte er, dass ich CNN sein Geheimnis verraten hatte, aber ich konnte ihm glaubhaft versichern, dass ich nichts mit den Shoshonen und ihrem Häuptling zu hatte. Ich war schließlich nicht Karl May! Und ein Friseur und eine Binse, das passte doch auch kaum zusammen, behauptete ich und erschrak fürchterlich, als ich in den Spiegel sah. Mir war eine cyranesk lange Nase gewachsen.

Bevor sich jedoch der Zorn des Präsidenten auf mich verfestigen konnte, überschlugen sich die Ereignisse, da das gemeine Volk aufs Höchste verwundert war und sich fürchtete. Einige meinten, man müsse den Präsidenten auf der Stelle fortjagen, andere erklärten, es sei besser, ihm lediglich die Hörner abzuschneiden, habe er doch ein gutes Händchen für die Lösung aller Probleme.

Als man sich aber nicht auf einen goldenen Handschlag für ihn einigen konnte, fingen die Anhänger des Präsidenten an, auf die einzuschlagen, die nicht mehr Anhänger des Präsidenten waren. In wenigen Stunden gab es einen fürchterlichen Tumult im ganzen Land. Weil mich manche seiner Gegner an meinem Riesenorgan als seinen persönlichen Haarschneider erkannten, machten sie auch Jagd auf mich, zum Glück konnte ich unbeschadet ins Land der deutschen Pygmäen fliehen.

Von dem Kleinstaat aus betrachtet, ließ sich der gordische Schlamasselknoten nicht mehr durchschlagen. Und so rettete ich mich zumindest auf eine schwersymbolische Ebene, die spätere Generationen von Germanisten bitte dechiffrieren sollen, während ich noch immer meinen Enkeln vom großen schiefgelaufenen amerikanischen Traum erzählen werde.

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