Integrationsgipfel während der Pandemie: Corona verschärft Ungleichheiten

Am Montag tagte der 12. Integrationsgipfel. Fassbare Ergebnisse brachte er nicht. Kritiker beklagen zu wenig Einsatz der Bundesregierung gegen rechts.

Angela Merkel und Franziska Giffey bei der Pressekonferenz zum 12. Integrationsgipfel

Im Zeichen von Corona: der Integrationsgipfel Foto: Florian Gärtner/photothek/imago

BERLIN taz | Die Zahlen sind eindeutig: Die Corona-Einschränkungen treffen MigrantInnen besonders hart. So ist die Arbeitslosigkeit unter den Zugewanderten stärker gestiegen als bei Deutschen. Ein Drittel jener, die in Deutschland seit dem Lockdown im März ihre Arbeit verloren, hat eine ausländische Staatsbürgerschaft. In Österreich sind es 41, in der Schweiz 46 Prozent.

Diese Zahlen hat die OECD ermittelt. Sie fand zudem heraus, dass die Coronapandemie die Integration von MigrantInnen in den Arbeitsmarkt erheblich erschwert. Ein Grund: Sie sind weit häufiger als Einheimische im Gastgewerbe, in Res­taurants und ähnlichen Jobs beschäftigt, die besonders stark vom Lockdown betroffen waren.

Die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, steht Eingewanderten hingegen deutlich seltener zur Verfügung. Sie leben zudem öfter auf engem Raum und jobben in Branchen mit hohem Ansteckungsrisiko, etwa der Fleischindustrie. Beides sind Gründe, warum die Ansteckungsgefahr für Zuwanderer größer ist für Einheimische. Corona, so das Resümee der Studie, verschärft bestehende Ungleichheiten. Zu den 30 Mitgliedsländern der OECD gehören neben den EU-Ländern unter anderem Australien, Japan, die Türkei und die USA.

Zeitgleich zur Veröffentlichung der Studie am Montag fand der 12. Integrationsgipfel statt, dessen zentrales Thema die Auswirkungen der Coronapandemie auf MigrantInnen in Deutschland war. An den Integra­tionsgipfeln nehmen 300 Akteure teil – aus der Bundesregierung, migrantischen Verbänden und zivilgesellschaftlichen Organisationen.

Wer einen Job hat, verliert ihn leichter

Angela Merkel betonte vor der Presse, dass die Regierung „besonderen Wert“ darauf legt, dass die Integration keinen Schaden nimmt. Man wolle mit den Phasen zwei und drei des Nationalen Aktionsplans Integration Ankommen und Eingliederung ermöglichen. Doch das Problem ist ein doppeltes: Wer einen Job hat, verliert ihn leichter. Und MigrantInnen haben es schwerer anzukommen, etwa weil Sprachkurse im Frühsommer komplett ausfielen.

Das Bild, das Integrationsstaatsministerin Annette Widmann-Mauz zeichnete, ähnelt dem OECD-Befund: „Die Coronapandemie trifft gerade Menschen mit Einwanderungsgeschichte und Geflüchtete hart. Sie arbeiten oft in Branchen, die besonders mit den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu kämpfen haben.“ Widmann-Mauz will im Rahmen des Nationalen Aktionsplans „eine Digitaloffensive“ in Gang setzen. Sie nannte zwei Schwerpunkte: Es gehe darum „mit digitalen Integrationskursen, Sprachförderung und gezielter Beratung in sozialen Netzwerken vor allem Frauen beim Berufseinstieg und der Arbeitsmarktintegration zu unterstützen“.

Dabei soll kommunales Integrationsmanagement helfen. Man dürfe „trotz Corona bei der Integration keine Zeit verlieren“. Widmann-Mauz erwähnte, allerdings ohne konkret zu werden, die Notwendigkeit, dass berufliche Qualifikationen von MigrantInnen schneller anerkannt werden sollen. Insgesamt hat der Gipfel Absichtserklärungen, aber keine fassbaren Ergebnisse gebracht.

Und es gibt auch Kritik. Die grüne Bundestagsabgeordnete Filiz Polat hält es zwar für richtig, dass „die Bundesregierung den Bedarf nach ­digitalen Integrationsangeboten in Pandemiezeiten“ sieht. Gleichzeitig aber kürze das Innenministerium „Mittel bei Integrationskursen und wichtigen Projekten zur Integration vor Ort“.

Gipfel nicht mehr als hübsche Hochglanzveranstaltung

Dass ausgerechnet Innenminister Horst Seehofer (CSU) bei dem Gipfel nicht erschien, stieß auf Kritik. Aziz Bozkurt, Chef der AG Migration und Vielfalt in der SPD, hält Seehofers Abwesenheit für einen Ausdruck von „fehlendem Interesse“. Außerdem sei die Schwerpunktsetzung der Bundesregierung verfehlt. „Wir haben erlebt, wie mit der ersten Coronawelle Flüchtlingsunterkünfte und insbesondere die Ankerzentren zu Corona­hotspots wurden und sogar Menschenleben kosteten“, so Bozkurt zur taz.

Es sei „schön und gut, dass die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Widmann-Mauz den Blick auf Schwächen bei der Digitalisierung der Integrationskurse legt“, viel wichtiger aber sei es, die Ankerzentren aufzulösen, an denen die Union indes unbedingt festhalten wolle. „Selbst zu Coronazeiten kommt der Integrationsgipfel aus der Kategorie hübsche Hochglanzveranstaltung nicht hinaus“, resümierte Bozkurt.

Der zweite Kritikpunkt: Das Thema Rechtsextremismus, das beim letzten Gipfel noch ein Schwerpunkt war, spielte keine Rolle. „Es wäre ein gutes Zeichen für unsere Einwanderungsgesellschaft gewesen, hätte die Bundesregierung heute einen Ausblick über Vorhaben beim Kampf gegen rechts präsentieren können.“ Der Union fehle da der Wille, so Bozkurt.

Ferda Ataman, Mitbegründerin des Vereins Neue Deutsche Medienmacher, hält es zwar für gut, dass sich die Bundeskanzlerin „während der Pandemie Zeit für den Dialog nimmt“. Der Gipfel zeige aber, dass die Regierung „immer noch ein Integrationsverständnis aus den 90er Jahren pflegt und Ausländern Deutsch beibringen will“. Der Kampf gegen Rassismus komme zu kurz.

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