Kreuzzügler im Kreuzfeuer

Unser langjähriger Korrespondent nimmt Abschied von Amerika. In Teil 2 seiner Abschiedstrilogie stellt er fest: Die meisten Amerikaner denken viel moderater als ihre eifernden Politiker – zum Glück

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

In Europa, aber auch anderswo hat sich seit einiger Zeit der Eindruck festgesetzt, dass Amerika unter der Regentschaft von Bush junior in eine gefährliche Radikalität abgedriftet ist. Viele sehen die USA mittlerweile als Land eifernder Ideologen und religiöser Fundamentalisten. George W. Bush ist ein Kreuzzügler im modernen Gewand. Sein Wahlsieg im Herbst 2004 scheint zu belegen, dass die Amerikaner den Verstand verloren haben.

Keine Frage, die christliche Rechte in den USA ist einflussreicher denn je und hat einen direkten Draht ins Weiße Haus. Schließlich ist Bush selbst ein wiedergeborener Christ. Dass Amerikaner zudem immer schon konservativer und religiöser waren als die meisten Europäer, ist auch kein Geheimnis.

Dennoch existiert eine dramatische Kluft zwischen einer Politikerkaste, die zunehmend extreme Positionen vertritt, und einer Bevölkerung, die sich davon nicht beeindrucken lässt. Umfragen und Studien belegen, dass Amerikaner insgesamt moderate Ansichten pflegen zu Themen wie Waffenkontrolle, Abtreibung, Homosexualität und zu außenpolitischen Fragen wie der Mitarbeit der USA in internationalen Organisationen.

Nach einer kürzlich veröffentlichten Gallup-Umfrage wollen 68 Prozent der Amerikaner zum Beispiel das Abtreibungsrecht erhalten. Nur 29 Prozent wollen seine Abschaffung. Verschiedene Analysen über die letzten Jahre zeigen, dass rund 60 Prozent schärfere Waffengesetze fordern. Im vergangenen März lehnte eine deutliche Mehrheit die Intervention der Republikaner im Sterbehilfefall der Komapatientin Terri Schiavo ab. Nach Parteipräferenzen befragt, verorten sich weitaus mehr Wähler als unabhängig und nicht als Demokraten oder Republikaner.

Trotzdem scheint eine Politik der Mitte derzeit im Niedergang begriffen. Immer weniger Senatoren und Abgeordnete im Kongress suchen den Kompromiss oder brechen, wenn es der Anstand gebieten würde, mit der Parteidisziplin. Rühmliche Ausnahmen bildeten jüngst die Beilegung des Streits um Bushs Richternominierungen und die Ablehnung des Un-Diplomaten John Bolton als UN-Botschafter durch einige Republikaner.

Vor allem das Abgeordnetenhaus ist zu einem Hackverein verkommen, ein maßgebliches Verdienst des republikanischen Fraktionschefs und Demagogen Tom DeLay aus Texas. Die Arroganz der Macht ist so groß, dass die Opposition bei Gesetzesinitiativen erst gar nicht mehr konsultiert wird. Auch im Senat werden unabhängige und parteiübergreifend agierende Politiker immer öfter kaltgestellt.

Das Treiben im Kongress spiegelt sich in den Polit-Talkshows der Kabelkanäle wider, besonders auf CNN, FoxNews oder MSNBC, wo sich die Gäste anschreien, anstatt sachlich und respektvoll zu argumentieren. CNN hat zwar seine wohl nervigste Brüll-Sendung „Crossfire“ eingestellt, doch dafür wird woanders kräftig weiter gelärmt. Ein Ende des Elends ist hier nicht in Sicht – ebenso wenig wie in der Politik.

Zu einflussreich sind Lobbygruppen, zu gering ist das Interesse an der Rückkehr zu pragmatischer Politik. Warum auch, wenn vor allem die Republikaner gemerkt haben, dass sich eine Radikalisierung auszahlt und man damit prima Wahlen gewinnen kann. Längst ist sie zum Instrument von Machterhalt und -ausbau geworden. Nicht nur Legislative und Exekutive befinden sich fest in konservativer Hand, auch weite Landstriche im Süden und im Mittleren Westen sind im Würgegriff des extremen Republikanerflügels.

Demokraten haben auf diese Radikalisierung bislang keine Antwort gefunden und sich auch nicht ernsthaft bemüht, die aufgegebene Mitte zu besetzen. Eher versuchen sie die Republikaner nachzuahmen, indem sie der linken Parteibasis hörig sind. Im Parlament glänzen sie weniger durch konstruktive Gegenentwürfe als durch ihre trotzige Verweigerungshaltung. Die Energie der Partei speist sich vor allem aus der Howard-Dean-Fraktion, wütenden Liberalen, die glauben, die Wahlen 2000 und 2004 gingen (neben Betrug und Verschwörung) deswegen verloren, weil die Demokraten ihre ureigenen Prinzipien über Bord warfen und sich der Mitte anbiederten.

Gibt es Hoffnung auf Besserung? Von den Republikanern ist aus genannten Gründen vorerst kein Wandel zu erwarten. Die Demokraten – eher gezwungen, die Mitte zu umwerben, da es schlichtweg weniger Liberale als Konservative in den USA gibt – wären gut beraten, in die Schule von Bill Clinton zu gehen. Sein Erfolgsrezept war es, die Partei in die gesellschaftliche Mitte zu manövrieren. Ohnehin verlangen die sozialen und wirtschaftlichen Probleme des Landes sowie seine internationale Stellung einen intelligenten Mix aus liberalen und konservativen Politikansätzen. Doch mit einem solchen Schritt tun auch sie sich schwer. Genauso wie die Republikanische Partei sind sie heute ein ideologischer Club, und nicht mehr wie einst ein loser und eher flexibler Zusammenschluss von Interessengruppen.

Sollte sich die Radikalisierung nicht irgendwann als Bumerang erweisen, eben weil Amerikaner gemäß ihrer Mentalität wieder eine gemäßigt-pragmatische Politik einfordern (und der Einschüchterungsfaktor des 11. September irgendwann nachlässt) oder ein charismatischer Demokrat das Lagerdenken aufbricht, wird sich das Bild einer aus dem Lot geratenen Supermacht verfestigen, die sich selbst und der Welt damit schadet.