Die Wahrheit: Der letzte Walzer

Eins-zwo-drei-Eins-zwo-drei: So geht ein Walzer. Schade, dass er im Pop so selten ist. Paar gute Beispiele lassen sich trotzdem finden.

Der erste Walzer, den ich als solchen wahrnahm, war „Mull of Kintyre“ von Paul McCartney. Da war ich dreizehn. Ein Freund hatte mir die Single ausgeliehen. Ich legte sie auf und verstand augenblicklich, was ein Dreivierteltakt war. Nicht kapiert hatte ich den Dreier bis dahin bei „Norwegian Wood“. Hier bemerkte ich nur bei jedem Hören, dass der Beat irgendwie auf charmante Weise humpelte und rumpelte.

Der Walzer ist nämlich ein Stolperer. Ein Strauchler ohne Hinfallen. Das war mir fremd. Ich kannte bis dahin nur durchratternde Viervierteltakte. Manchmal tänzelnd synkopiert, okay. Aber doch immer „four to the bar“. Der Dreier bei „Norwegian Wood“ war nicht so offensichtlich und nicht so eins-zwo-drei-eins-zwo-drei-aufdringlich wie bei „Mull of Kintyre“ – eher in einen dylanesken Sechsachtel lappend. Aber Walzer bleibt Walzer.

Bevor mich nun ein Klugscheißer-Shitstorm ereilt: Selbstverständlich weiß ich, dass nicht jeder Dreivierteltakt ein Walzer ist. Aber da man mit einem bisschen guten Willen auf alles Walzer tanzen kann, was drei oder sechs Zählzeiten hat, selbst auf ein steifes Menuett, bin ich da eher tolerant.

Der Begriff „Walzer“ taucht angeblich zum ersten Mal bei Schiller auf. In der Ballade „Eberhard der Greiner“ im Zusammenhang mit einer Feier: „Und Weib und Kind im Rundgesang / Beim Walzer und beim Becherklang / Lustfeiern unser Glück.“ Überhaupt gilt der Walzer als heiterer Tanz. Demgegenüber sind aber die meisten Waltz-Songs der angloamerikanischen Popularmusik eher melancholisch, oft sogar todtraurig.

Fine Time

In „Lucille“ von Kenny Rogers sagt ein Mann zu seiner ihn gerade verlassenden Frau: „You picked a fine time to leave me, Lucille / With four hungry children and a crop in the field.“ In der noch wesentlich deprimierenderen deutschen Version von Michael Holm ist der Nachwuchs nicht nur hungrig und die Ernte steht auf dem Feld – hier sind die Kinder gleich „krank und die Schulden so viel“. Respekt, Herr Holm.

Der Titel von Hank Williams’ Klassiker „I’m so lonesome I could cry“ spricht für sich – und das vielleicht schönste Walzerlied aller Zeiten, „Mr. Bojangles“, geschrieben von dem Countrymusiker Jerry Jeff Walker, beschreibt einen alten versoffenen Entertainer, der in einer Gefängniszelle für die Mitgefangenen tanzt. Und ihnen, während er steppt, aus seinem Leben erzählt, unter anderem von seinem … – Jessesmaria, geht es noch trauriger? – … toten Hund!

Weltberühmt wurde „Mr. Bojangles“ durch Sammy Davis jr., der – abergläubisch, wie er war – den Song erst gar nicht singen wollte, weil er Angst hatte, selbst wie Mr. Bojangles eines Tages als verarmter und abgehalfterter Künstler zu enden. Das Lied wurde dann einer seiner größten Hits. Und Jerry Jeff Walker dürfte es ein sorgenfreies Restleben beschert haben. Bis letzten Freitag. Da starb Jerry Jeff. One-two-three-one-two-three. And then he clicked his heels.

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Autor, Theater-Dramaturg, Performer und Musiker. Hartmut El Kurdi schreibt Theaterstücke, Hörspiele (DLF / WDR), Prosa und für die TAZ und DIE ZEIT journalistische und satirische Texte. Für die TAZ-Wahrheit kolumniert er seit 2001. Buchveröffentlichungen (Auswahl): "Revolverhelden auf Klassenfahrt", "Der Viktualien-Araber", "Mein Leben als Teilzeit-Flaneur" (Edition Tiamat) / "Angstmän" (Carlsen) / "Als die Kohle noch verzaubert war" (Klartext-Verlag)

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kari

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