Soziale Ungleichheit im Kulturbereich: Millionen für die Direktoren

In den New Yorker Museen sind die Gehaltsunterschiede eklatant. Nun werden die ersten Gewerkschaften gegründet.

Blick von der Straße auf das MoMa

Das New Yorker Museum of Modern Art. Nach sechs­monatiger Schließung hat es wieder geöffnet Foto: dpa

Als Marcia Tucker 1977 das New Museum in New York gründete, hatte sie eine Vision: Ein hierarchiefreier Raum sollte es sein. Jeder sollte das gleiche Gehalt bekommen. Um nichts anderes als um neue Ideen und aktuelle Kunst sollte es gehen. Letzteres hat sich bewahrheitet: Das vergleichsweise kleine Museum genießt weltweit einen herausragenden Ruf als Ausstellungsort für zeitgenössische Kunst. Das mit dem gleichen Gehalt steht auf einem anderen Blatt: Die langjährige Leiterin des New Museum, Lisa Phillips, verdient im Jahr über 750.000 Dollar, das Einsteigergehalt für Mitarbeiter liegt bei 35.000 Dollar.

Diese Art von Gehaltsgefälle ist an den meisten New Yorker Museen Alltag. Spitzenreiter im Topverdienerbereich ist Glenn Lowry, der Direktor des MoMA. Mit 2,3 Millionen Dollar Jahresgehalt nimmt er etwa 48-mal so viel mit nach Hause wie ein Mitarbeiter des pädagogischen Dienstes des Museums. Richard Armstrong, der Direktor des Guggenheim Museum verdient 1,4 Millionen, das 34-Fache eines Mitarbeiters im pädagogischen Dienst; und Peter Gelb, der Intendant der Metropolitan Opera, verdient mit 2,1 Millionen Dollar das 53-Fache eines Mitarbeiters im Verkaufsbereich.

Für die Angestellten des New Museum war im vergangenen Jahr eine Schmerzgrenze erreicht. „Viele von uns konnten von ihren Vollzeitgehältern nicht überleben“, sagt Dana ­Kopel. Sie selbst verdiente 45.000 US-Dollar pro Jahr als Senior Editor und Publications Coordinator an dem Museum. In einer Stadt wie New York, wo die Miete für ein kleines Zimmer pro Monat bei etwa 1.000 Dollar beginnt, ist das nicht viel.

Dazu kommt, dass viele der oft gut ausgebildeten Museumsmitarbeiter ihre hohen Ausbildungskosten abbezahlen müssen. In den USA kann ein Jahr an einer Hochschule schnell über 50.000 Dollar kosten. ­Kopel und ihre Kollegen beschlossen, sich zu wehren. Mit einem für die Kunst- und Kulturwelt ungewöhnlichen Schritt: Sie gründeten eine Gewerkschaft. „Die Leichtigkeit, mit der wir zu diesem Entschluss kamen, spricht für unsere Frustration“, sagt ­Kopel.

Gute Kulturmanager sind selten

Kaum jemand würde wohl bestreiten, dass die Führung eines Museums in der Größe des MoMA, des Metropolitan Museum oder auch des New Museum eine komplexe und anspruchsvolle Aufgabe ist. Und gute Kulturmanager sind selten. Doch Museen sind Nonprofitunternehmen, die zu einem großen Teil auf Spendengeldern, Eintrittsgelder und zum Teil öffentliche Gelder angewiesen sind, dem Allgemeinwohl dienen und Steuerbegünstigungen erhalten.

James Abruzzo, ein Berater für Nonprofit-Gehälter, plädiert deshalb für einen Wertewechsel im Kulturbereich. Die Gehaltsunterschiede dort seien zu groß, sagt er. „Die Vorstände der Museen müssen ihren Institutionen wieder beibringen, ihre Mitarbeiter mehr zu schätzen. Auch im Hinblick auf ihre Bezahlung.“

Michael Kaiser, Vorsitzender des DeVos Institute of Arts Management an der University of Maryland, sagte der New York Times: „Wir haben eine Ungleichheit in unserem Vergütungssystem.“ Das unverhältnismäßig hohe Gehalt für Führungspositionen im Kulturbereich zeige vor allen Dingen, „dass die Vorstände dieser Institutionen unsicher sind. Weil sie selbst nicht wissen, wie sie diese Institutionen führen sollen.“

US-amerikanische Museen finanzieren sich zu einem beträchtlichen Teil von den Vermögen ihrer reichen Vorstandsmitglieder. Diese sind einer Studie zufolge zu fast 90 Prozent weiß, zu über 70 Prozent über 50 Jahre alt und zu 55 Prozent männlich. Sie sind es auch, die über die Vergabe der Chefposten entscheiden. Viele von ihnen kommen aus der freien Wirtschaft und sind hohe Gehaltsgefälle gewohnt.

Für Tom Eccles, den Geschäftsführer des Center for Curatorial Studies des Bard College, kann sich die Arbeit an einem Museum deshalb manchmal „wie die Arbeit in einem Dienstleistungsbetrieb für Reiche“ anfühlen. Gewerkschaften passen da nicht ins Bild.

Abwehr und Drohung

Die Leitung des New Museum wollte die Bildung einer Gewerkschaft an ihrem Haus nicht so einfach hinnehmen. Eine Agentur wurde engagiert, die darauf spezialisiert ist, Gewerkschaftsbildungen in Unternehmen abzuwehren. Auf ihrer Webseite wirbt sie mit der Vision einer „gewerkschaftsfreien Zukunft“. Mitarbeiter des Museums berichten, dass einige von ihnen daraufhin überraschend zu „Supervisoren“ befördert wurden.

Laut dem Arbeitsgesetz der USA können sie dann nicht mehr Mitglied in einer Gewerkschaft werden. Alle Mitarbeiter sollen außerdem in persönlichen Gesprächen eindringlich gewarnt worden sein.

Über 50 Künstler, darunter so berühmte wie Andrea Fraser, Martha Rosler oder Liam Gillick, empörten sich damals in einem offenen Brief über die Reaktion der Museumsleitung. Sie passe so gar nicht zu dem progressiven Image des Museums. Die Museumsleitung rechtfertigte sich später, dass sie die Agentur nur für kurze Zeit engagiert habe.

Ähnliche Erfahrungen machten die Mitarbeiter des Guggenheim Museum. Sie folgen dem Beispiel des New Museum und gründeten im Sommer 2019 eine Gewerkschaft. Die Leitung des Guggenheim nahm sich damals einen Anwalt zu Hilfe, der auf der Internetseite seiner Kanzlei als Antigewerkschaftsspezialist beschrieben wird. Auch Richard Armstrong, der Chef des Guggenheim Museum, soll sich in einer E-Mail an seine Mitarbeiter deutlich gegen eine Gewerkschaftsgründung ausgesprochen haben.

Wie eine Bewegung

„Es gibt diese eigenartige Gefühl in der Kunstwelt, das wir dankbar sein müssen, diese Jobs zu haben“, sagt Dana Kopel, Gründungsmitglied der Gewerkschaft am New Museum. „Aber das sind auch einfach nur Jobs. Und wir haben die gleichen Rechte wie alle anderen Arbeiter auch.“ Museumsmitarbeiter aus dem ganzen Land hätten sie bereits um ihre Hilfe gebeten. „Es fühlt sich wie eine Bewegung an.“

Die Coronakrise hat die Lage an den New Yorker Kulturinstitutionen nochmals verschärft. Die New Yorker Museen waren monatelang geschlossen. Viele von ihnen sind es immer noch. Die, die wieder geöffnet haben, empfangen nur einen Bruchteil ihrer üblichen Besucherzahlen. Die Einnahmeverluste sind enorm. Nun geht es für die Museumsmitarbeiter nicht mehr nur um zu niedrige Gehälter. Nun geht es um ihre Jobs.

Laut einer Studie für das New York City Department of Cultural Affairs wurden bereits über 15.000 Mitarbeiter im New Yorker Kulturbereich gekündigt. Viele Museumsleiter haben zwar Gehaltskürzungen von bis zu 50 Prozent hingenommen. Die Kündigungen aber betreffen die schlechter bezahlten Jobs. Vor allen Dingen Mitarbeiter im Besucherservice oder im pädagogischen Bereich und das Kassen- oder Sicherheits­personal müssen gehen.

Lektion gelernt

Das sind auch die Bereiche, in denen die New Yorker Museen die meisten nichtweißen Mitarbeiter haben. Am Metropolitan Museum zum Beispiel waren 43 Prozent der Mitarbeiter nichtweiß. Unter den 400 entlassenen Mitarbeitern sind dagegen 48 Prozent People of Color.

Viele Kulturinstitutionen hatten im Zuge der antirassistischen George-Floyd-Proteste im Mai versichert, an ihrem Diversitätsproblem zu arbeiten. Die coronabedingten Kündigungen lassen sie nun oft weißer dastehen als zuvor. Auch Dana Kopel wurde im Juni dieses Jahres vom New Museum gekündigt. Gemeinsam mit 17 weiteren Kollegen. Viele davon waren Gewerkschaftsmitglieder. Sie habe ihre Lektion gelernt, sagt sie, und widmet sich jetzt ganz der Gewerkschaftsarbeit.

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