Franziska Giffey soll Berlins SPD retten: Schnell noch das Ruder rumreißen

Am Samstag sollen die Familienministerin und Raed Saleh zur neuen SPD-Doppelspitze gewählt werden. Aber tragen die Genossen den Rechtsschwenk mit?

Franziska Giffey und Raed Saleh in einem Boot

Sitzen im selben Boot: Raed Saleh und Franziska Giffey Foto: Wolfgang Kumm

BERLIN taz | Gute Vorsätze wünschen sich die meisten normalerweise zum neuen Jahr. Weil die Berliner SPD aber schon lange nicht mehr zur Norm gehört, darf es mit dem Neustart ruhig auch mal Herbst werden. Wenn die 279 Delegierten am kommenden Samstag im Hotel Estrel zu ihrem Landesparteitag zusammenkommen, wählen sie mit Bundesfamilienministerin Franziska Giffey und Fraktionschef Raed Saleh nicht nur zwei neue Landesvorsitzende. Sie stimmen auch über einen deutlichen Ruck nach rechts ab.

Dass der Ton bei der SPD künftig mehr in Richtung CDU als Grüne und Linke gehen wird, darauf haben Giffey und Saleh die Genossinnen und Genossen bereits eingestimmt. In einem Interview im Tagesspiegel forderten sie unter anderem mehr Polizei gegen Linksextremisten, den Bau des umstrittenen Karstadt-Projekts am Herrmannplatz und den Bau neuer U-Bahn-Linien. Zuvor hatte Saleh bereits betont, die Verkehrswende des rot-rot-grünen Senats ausbremsen zu wollen.

Fast schon genüsslich stellte der CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner am Wochenende daraufhin die Frage nach dem Original und der Kopie. „Was die künftige SPD-Landesspitze vorschlägt, steht im diametralen Gegensatz zu dem, was die Sozialdemokraten in den letzten Jahren gemacht haben“, sagte Wegner ebenfalls dem Tagesspiegel. „Offenbar war aus Sicht von Frau Giffey und Herrn Saleh die Senatspolitik von Rot-Rot-Grün falsch. Diese Einschätzung teile ich.“

Mehr Polizei und ein Herz für U-Bahnen und Autofahrer: Selbst wenn die Berliner SPD dabei beansprucht, das Original und nicht die Kopie zu sein, stellt sich doch die Frage, ob die designierte Landesvorsitzende und Spitzenkandidatin sowie ihr Mehrheitsbeschaffer für eine solche politische Kehrtwende überhaupt genug Rückhalt in ihrer Partei haben?

Einen ersten Vorgeschmack auf ungemütliche Zeiten bekamen die Spitzensozis bereits am Freitag. Nicht der von Giffey favorisierte ehemalige Kulturstaatssekretär Tim Renner geht für die Neuköllner SPD ins Rennen um ein Bundestagsmandat. Sieger der Mitgliederbefragung wurde der lokal bestens vernetzte 35-jährige Hakan Demir. Demir bekam 51,95 Prozent der abgegebenen Stimmen, Renner 45,18 Prozent.

Der Termin Im Herbst 2021 werden Bundestag und Berliner Abgeordnetenhaus am gleichen Tag gewählt. Ein möglicher Termin wäre der 26. September.

Die Ausgangslage Rot-Rot-Grün verfügt in Umfragen seit Jahren über eine stabile Mehrheit. CDU – und erst recht FDP und AfD – sind politisch blass geblieben. Vieles deutet also auf eine Neuauflage der bisherigen Koalition hin, allerdings unter anderen Vorzeichen: Die Grünen, für die Bettina Jarasch als Spitzenkandidatin ins Rennen geht, liegen in Umfragen klar vor der SPD und würden nach derzeitigem Stand damit die Regierende Bürgermeisterin stellen. (taz)

In einem Jahr wird in Berlin gewählt. Laut jüngsten Umfragen steht die SPD zwischen 15 und 18 Prozent, die Grünen kommen auf Werte zwischen 20 und 26 Prozent, die CDU liegt bei 21 oder 22 Prozent und die Linke bei 15 bis 16 Prozent. Wenn Franziska Giffey Regierende Bürgermeisterin werden will, muss die SPD also noch gewaltig aufholen. Der Kurswechsel nach rechts ist dabei fast ihr letzter Schuss. Denn ihre Nominierung als Kandidatin für eine Doppelspitze des SPD-Landesverbands hat sich bislang in den Umfragen nicht zugunsten der SPD abgebildet. Genauso wenig wie die Tatsache, dass es ein offenes Geheimnis ist, dass Giffey im Dezember offiziell zur Spitzenkandidatin für die Wahl zum Abgeordnetenhaus gekürt wird.

Das Kalkül, die beliebte Bundesministerin werde auch zum Zugpferd in der Landespolitik, muss also nicht zwingend aufgehen. Stattdessen könnte die Schlappe in Neukölln zur Blaupause eines Konflikts werden, der die SPD den ganzen Wahlkampf über begleitet: Eine rechte Führungsriege wird von der linken Parteibasis getrieben. Was, wenn sich zum Beispiel die Forderungen von Giffey und Saleh nicht im Wahlprogramm der SPD wiederfinden?

Mit dem Rechtsschwenk geht die SPD ins Risiko. Noch riskanter aber könnte ein bloßes Weiter-so sein. Denn die hypothetische Annahme, dass sich die SPD in einem Jahr als Juniorpartnerin in einer grün-rot-roten Koalition wiederfindet, wäre damit fast schon ein Automatismus. Eine Wiedervorlage einer Koalition mit der CDU wiederum würde an der sozialdemokratischen Basis kaum Zustimmung finden.

Auch die CDU hat nicht allzu viele Optionen. Sollte sie auf dem Bundestrend mitsurfen und stärkste Partei werden, könnte sie sogar am eigenen Erfolg verzweifeln. Denn eine Koalition mit den Grünen wäre für diese nur vermittelbar, wenn ihre Spitzenkandidatin Bettina Jarasch Regierende Bürgermeisterin würde. Liegen die Grünen hinter der CDU, spricht dagegen alles für Verhandlungen mit SPD und Linken. Erst recht, wenn die Grünen ihre guten Umfragewerte einmal über die Ziellinie bringen und stärker werden als die SPD. In diesem Fall würde sich Giffey die Frage stellen, ob sie als Senatorin in ein Kabinett Jarasch eintritt – etwa als Bildungssenatorin.

Auch wenn Grüne, Linke und SPD eine stabile Mehrheit haben und es keine Wechselstimmung gibt, dürfte der Wahlkampf härter werden als zuvor. Statt eines Koalitionswahlkampfes steht ein Lagerwahlkampf bevor mit der CDU und der SPD auf der einen Seite und den Grünen und der Linken auf der anderen. Das Besondere: Niemand darf die Parteien aus dem anderen Lager zu scharf attackieren. Denn kommt es zum Schwur, müssen Grüne und SPD oder Grüne und CDU sich zusammenraufen.

Der Stadt steht ein Lagerwahlkampf mit Samthandschuhen bevor

Einen ersten Vorgeschmack auf einen solchen Lagerwahlkampf mit Samthandschuhen gab bereits Kai Wegner. Er sagte am Wochenende: „Ich habe Sympathien für einige Grüne.“

Und am kommenden Wochenende gibt es den ersten Vorgeschmack für die SPD. Giffey wird sicher ein gutes Ergebnis bekommen. Aber bei Saleh rechnen viele Genossen nicht mit mehr als 60 Prozent.

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