Als die Flut vorhersehbar wurde

Deutschlands erster Gezeitenrechner im Bremerhavener Schifffahrtsmuseum läuft wieder. Weltweit gibt es nur 30 solcher Anlagen. Das 105 Jahre alte Gerät gilt als einer der ersten analogen Computer

Nach langer Restaurierung ist Deutschlands erster Gezeitenrechner im Bremerhavener Schifffahrtsmuseum wieder betriebsbereit. Das 105-jährige Meisterwerk der Mechanik aus der Kaiserzeit solle nun regelmäßig öffentlich in Betrieb gesetzt werden, teilte das Haus mit. Restaurator Tim Lücke hatte 18 Monate daran gearbeitet, das große Objekt aus der Sammlung des Museums mit seinen zahlreichen Zahnrädchen und kreisrunden Tidengetrieben wieder gangbar zu machen, denn die Mechanik war größtenteils verharzt. Dafür seien rund 50.000 Euro investiert worden, hieß es.

Das Museum sieht in dem Gerät einen der ersten analogen Computer: Als im 19. Jahrhundert die Dampfschifffahrt aufkam und Fahrten weniger vom Wetter abhängig waren, wurde es unerlässlich, das Wechselspiel von Ebbe und Flut genauer zu verstehen. Die Wasserstände in den Häfen sollten exakt vorhergesagt werden. Der Engländer William Thomson konstruierte deshalb 1872 den Prototyp eines Gezeitenrechners.

Als der Erste Weltkrieg begann, sahen sich die deutschen Hydrographen gezwungen, ein eigenes Modell zu bauen, das 1915 am Marineobservatorium in Wilhelmshaven in Betrieb ging. Nach Stationen in Greifswald und Hamburg kam es 1975 ins Museum nach Bremerhaven.

In Deutschland seien insgesamt nur drei stationäre Gezeitenrechner gebaut worden, hieß es. Weltweit seien es innerhalb von fast 100 Jahren weniger als 30 gewesen. Neben dem Modell aus dem Jahr 1915 besitzt das Schifffahrtsmuseum noch ein weiteres aus der DDR. Der restaurierte Gezeitenrechner soll in Zukunft auch unter den Augen des Publikums regelmäßig in Betrieb gesetzt werden, damit die Getriebe nicht wieder verharzen.

Damit das imposante Gerät in Bewegung kommt und das Innere gesäubert werden kann, griff Lücke auf eine spektakuläre Technik zurück, die sogenannte Trockeneisstrahlung: Mithilfe von Pellets aus gefrorenem Kohlenstoffdioxid konnten selbst Kleinstteile im Inneren der Maschine gereinigt werden, ohne dass größere Ausbauten nötig waren. Dazu kam die Maschine kurzzeitig in den Außenbereich des Museums. Finanziell unterstützt wurden die Arbeiten von der Kulturstiftung der Länder, vom Deutschen Stiftungszentrum sowie vom Förderverein des Museums und von privaten Spendern. (epd)