Kündigungen bei Böll-Stiftung: Rauswurf leicht gemacht

Die Heinrich-Böll-Stiftung setzt sich für Freiheit und Gerechtigkeit ein. Doch für ihre eigenen Mitarbeiter gelten diese Rechte offenbar nicht immer.

Zentrale der Böll-Stiftung in Berlin

Arbeitsrecht zweiter Klasse für ausländische Mitarbeiter: Zentrale der Böll-Stiftung in Berlin Foto: Jürgen Ritter/imago

BERLIN taz | Ein Anwalt, der eine eingeschüchterte Mitarbeiterin drängt, einen Aufhebungsvertrag zu unterschreiben. Die Aufforderung, unverzüglich den Schreibtisch zu räumen und den Schlüssel abzugeben, und ein sofortiges Abschalten des Mail-Accounts. Und das alles, ohne dass ein aktueller Vorwurf im Raum steht und obwohl das Arbeitsverhältnis noch mehrere Wochen weiterläuft. Die Szene klingt nach den Methoden fragwürdiger Konzerne. Doch abgespielt haben soll sie sich im Sommer im Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Warschau.

Beschrieben wird der ungewöhnliche Rauswurf in einer Mail der betroffenen Mitarbeiterin an den Vorstand und den Betriebsrat der Stiftung, die der taz vorliegt. Was sie berichtet, passt, ebenso wie weitere Vorgänge im Warschauer Büro, so gar nicht zum Selbstbild dieser Institution. Die hat sich großen Zielen verschrieben: „Demokratie und Menschenrechte, Selbstbestimmung und Gerechtigkeit“ finden sich an zentraler Stelle im Leitbild der Stiftung, die den Grünen nahesteht und nach dem Literaturnobelpreisträger benannt ist, der in seinen Romanen gesellschaftliche Missstände angeprangert hat.

Für diese Ziele setzt sich die Böll-Stiftung nicht nur in Deutschland ein, sondern auch von ihren 32 Auslandsbüros aus. Eines davon befindet sich in Warschau, wo die Fundacja Heinricha Bolla in einem Altbau residiert. Verantwortlich für die inhaltliche Arbeit waren dort neben der Direktorin bisher vier Programmkoordinator*innen. Doch nur eine von ihnen wird im nächsten Jahr noch für „Böll“ arbeiten. Neben der Mitarbeiterin, die gezwungenermaßen ­gehen muss, hat ein weiterer aus Frustration über die Arbeitsbedingungen zu Ende Oktober gekündigt; die dritte verlässt die Stiftung zum Jahresende.

Keine Warnung, keine Abmahnung

Die Mitarbeiterin, deren Beschäftigung im Sommer so abrupt endete, möchte mit der taz nicht sprechen. Doch in ihrem Brief an Vorstand und Betriebsrat, dessen Authentizität sie bestätigt, zeigt sie sich schwer enttäuscht. Sie sei dankbar, dass sie für die Stiftung arbeiten durfte, denn sie teile deren Werte wie „Menschenrechte, Arbeitnehmerrechte, Gleichheit, Fairness, Solidarität und Respekt“, schreibt sie im Juni. Und fährt fort: „Ich bin jedoch zutiefst besorgt darüber, dass die Art und Weise, wie ich letzten Freitag abrupt entlassen wurde, offensichtlich diesen Werten widerspricht.“

Nachdem sie noch im Mai zunächst mündlich und dann per Mail eine Zusage der Leiterin des Warschauer Büros bekommen hatte, dass ihre Stelle verlängert werde, wurde sie im Juni ins Büro bestellt, wo ein Anwalt sie drängte, einen Aufhebungsvertrag zu unterschreiben, heißt es weiter. Als Grund wurde dem Schreiben zufolge lediglich genannt, ihre Person passe nicht „zur Struktur des Büros“. Vorherige Warnungen oder Abmahnungen habe es nicht gegeben.

In ihrem eigenen Leitbild schreibt die Böll-Stiftung: „Wir überprüfen und verbessern unsere Arbeit in einem kontinuierlichen Prozess und stellen uns der internen und externen Bewertung.“ In diesem Fall kann davon keine Rede sein: Eine Reaktion des Vorstands auf den Brief hat es nach Auskunft eines weiteren Mitarbeiters des Warschauer Büros nie gegeben. Der Betriebsrat äußerte zwar sein Bedauern, erklärte aber, in diesem Fall nichts tun zu können.

Dahinter steht ein strukturelles Problem: Die örtlichen Angestellten der ausländischen Büros haben keinerlei offizielle Vertretung. Denn sie sind formal nicht bei der Stiftung in Berlin angestellt, sondern beim jeweiligen ausländischen Büro; darum fallen sie nicht unter das deutsche Arbeitsrecht, und der Betriebsrat ist für sie nicht zuständig. Einen Sprecher oder eine Sprecherin der Auslandskräfte, die ihre Position in Berlin vertreten könnte, gibt es ebenfalls nicht. Somit sind die Angestellten in den Auslandsbüros komplett von den örtlichen Direktor*innen abhängig, die zugleich Vorgesetzte und einzige formale An­sprech­part­ner*in­nen sind.

In der Praxis ist das so lange kein Problem, wie diese gut mit dem Team zusammenarbeiten. Doch davon kann in Warschau offenbar keine Rede mehr sein, seit im Januar eine neue Direktorin ihren Dienst antrat. Von Anfang an soll das Verhältnis von Misstrauen und Kontrolle geprägt gewesen sein, berichtet der Mitarbeiter, der eineinhalb Jahre für die Stiftung in Polen gearbeitet hat und diese Ende Oktober freiwillig verlässt. Auch er möchte aus Sorge vor negativen Konsequenzen seinen Namen nicht gedruckt sehen.

So sei ein von den Angestellten verfasster Brief mit Vorschlägen zur Verbesserung der Zusammenarbeit von der Direktorin nie beantwortet worden. Mit permanenter Einmischung und Kontrolle habe sie die inhaltliche Arbeit massiv behindert. Zudem waren öffentliche Äußerungen plötzlich unerwünscht: Nicht nur Interviews im Namen der Stiftung sollen den Expert*innen verboten worden sein, auch private Stellungnahmen wurden teilweise zum Problem erklärt.

Der Mitarbeiter etwa, der nun freiwillig geht, hatte im April einen Appell für wirtschaftliche Solidarität angesichts der Coronakrise unterzeichnet, den polnische Intellektuelle verfasst hatten und der von zahlreichen EU-Abgeordneten der Grünen unterstützt wurde. Weil dabei ohne sein Wissen erwähnt wurde, dass er für die Heinrich-Böll-Stiftung arbeitet, kündigte die Büroleiterin nicht nur eine Abmahnung an, sondern verlangte für die Zukunft, vor allen Veröffentlichungen informiert zu werden – „auch wenn diese als Privatperson erfolgen“, wie sie in einer Mail schreibt.

Arbeitsvertrag der Böll-Stiftung

„Der Mitarbeiter verpflichtet sich, keine Interviews zu geben“

Stützen konnte sie sich dabei auf den Arbeitsvertrag, in dem es heißt: „Der Mitarbeiter verpflichtet sich, keine Interviews zu geben und keine Materialien zu veröffentlichen. Ausnahmen bedürfen der vorherigen Genehmigung.“ Wohlgemerkt in einer Stiftung, die in ihrem Leitbild erklärt: „Wir ermutigen zu Zivilcourage und gesellschaftlichem Engagement.“

Eine Anfrage der taz bei der Warschauer Büroleiterin zu den Vorfällen blieb unbeantwortet. Auch der verantwortliche Böll-Vorstand wollte sich nicht direkt äußern. Eine Antwort kam lediglich von der Pressestelle der Stiftung. Darin werden die Vorwürfe zurückgewiesen. Details zum Fall der Mitarbeiterin, deren Vertrag in Anwesenheit des Anwalts beendet wurde, könnten aus Datenschutzgründen nicht genannt werden; sie sei aber vorab mehrfach darauf hingewiesen worden, dass der Vertrag auslaufen könne. Auch gebe es für die Angestellten in den ausländischen Büros kein Verbot, sich öffentlich zu äußern. Allerdings sei es üblich, so etwas „vorher grundsätzlich abzustimmen“, denn in politisch schwierigen Lagen müsse „jede Aussage wohl überlegt sein“.

Die Antwort der Stiftung widerspricht zudem der Aussage, dass die örtlichen Mit­ar­bei­ter*innen generell nicht direkt mit der Berliner Zentrale kommunizieren dürfen – und beweist in ihrer Antwort zugleich, wie wenig Kommunikation es tatsächlich gibt. Denn zu den weiteren Kündigungen im Warschauer Büro heißt es in der Stellungnahme, diese stünden „weder in einem zeitlichen noch sonstigem kausalen Zusammenhang mit dem von Ihnen erwähnten Vorgang“.

Offenbar kein Einzelfall

Eine Nachfrage zu seinem Kündigungsgrund hat es aus Berlin aber nie gegeben, sagt der Mitarbeiter, der die Stiftung Ende Oktober verlässt. Dabei macht er kein Geheimnis daraus: „Ich habe bei der Heinrich-Böll-Stiftung angefangen, weil ich an ihre Ziele glaube: Gerechtigkeit, Menschenrechte und Umweltschutz voranzubringen“, sagt der Mann, der zuvor schon für andere Nichtregierungsorganisationen und Stiftungen gearbeitet hat, der taz. „Es bricht mein Herz, zuzusehen, wie die Organisation daran scheitert, diese Werte bei der Behandlung ihrer ausländischen Angestellten zu leben.“ Die Welt verändern zu wollen sei nicht glaubwürdig, solange den Worten nicht auch Taten folgten, meint er. „Aus diesem Grund – damit die Böll-Stiftung ihr großes Potenzial auch selbst lebt – habe ich mich entschieden, die Vorfälle öffentlich zu machen.“

Bei den Vorgängen im polnischen Büro handelt es sich offenbar nicht um einen Einzelfall. Vor mehreren Jahren soll es einen ähnlichen Konflikt im Böll-Büro in Belgrad gegeben haben, allerdings mit einem anderen Ausgang: Nachdem ein Großteil des Teams dort mit der Kündigung gedroht hatte, wurde der Direktor ausgetauscht. In Pakistan sollen zahlreiche Böll-Mitarbeiter nach ­einem Konflikt mit dem örtlichen Direktor gegangen sein.

Auch bei anderen deutschen Stiftungen sollen die deutschen Direktor*innen ihre uneingeschränkte Machtposition gegenüber den lokalen Mit­ar­bei­­ter*innen bisweilen ausnutzen, ist zu hören. Denn dass sie formal nicht vom Betriebsrat unterstützt werden dürfen, ist aufgrund der rechtlichen Situation bei allen diesen Stiftungen gleich. Doch bei einigen Stiftungen existieren zumindest Ombudspersonen, die Hinweise auf Missstände vertraulich entgegennehmen und eine Unterstützung bieten. Bei der Böll-Stiftung wird über ein solches System seit vielen Jahren debattiert, ohne dass es eine Entscheidung gibt. „Ich hoffe, dass das jetzt bald umgesetzt wird“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Wolfgang Pohl. Für die ehemaligen Angestellten in Warschau kommt es zu spät.

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