Die dunkle Seite der Kunst

Die israelische Künstlerin Yehudit Sasportas bezieht ihre Inspiration aus dem Moor bei Cloppenburg: Ihre Eindrücke formt sie zu Landschaften der Seele in Schwarz, Weiß, Grau

Romantische Landschaftsmalerei auf Japanisch: Vertical swamps no.6 Foto: Uwe Walter/Yehudit Sasportas

Von Jens Fischer

Kleiner Kleidungstipp: Ganz in Schlaubergerschwarz gehaltene Textilien machen den Besucher zu einem ästhetisch kongenialen Detail der Ausstellung „Archäologie des Unsichtbaren“. Denn in der Kunsthalle Wilhelmshaven ist alles schwarz, wenn es nicht mit Weiß oder zu Grau vermischt ist.

Der auf einer Wasseroberfläche sich spiegelnde Mond zaubert als Video-Loop schimmernde Leuchteffekte in den bauhäuslerisch-brutalistisch nüchternen Museumssaal. Die melancholisch abgetönte Atmosphäre richtet sich nicht an den Kopf des Betrachtenden, sondern an dessen Gefühl. Denn für die israelische Künstlerin Yehudit Sasportas ist Kunst eine Form der Meditation. Sie lädt ein, aller beklemmenden Neugier zum Trotz tief abzutauchen ins Dunkle der wilden Natur ihrer Bilder und Filme – als Schnittstelle zur Nachtseite des Bewusstseins. Dabei nutzt Sasportas der Wirklichkeit abgeschaute Kompositionen fiktiver Landschaften als Ausdruck des Bedrückenden. Das Unbewusste soll so erreicht werden, das sich im Sichtbaren verbirgt – „Mental Landscapes“ seien ihre Werke, hat die Künstlerin notiert.

Die von verdorrten Baumstämmen strukturierte stille Weite sumpfigen Terrains ist das zentrale Motiv, inspiriert vom Naturschutzgebiet Restmoor Dreesberg im niedersächsischen Landkreis Cloppenburg. Dort lauscht Sasportas mehrmals im Jahr dem Innenleben der Torflandschaft und lässt sich faszinieren von der nicht erkennbaren Tiefe der dunkel morastigen Erde, die nicht preisgibt, was an ihrem Grund schlummert.

Was die Künstlerin daraus entwickelt, ist besonders überzeugend in einem traumverzerrten Video zu erleben. Ein Spotlight tastet sich durch einen nächtlichen Wald, der immer weiter ausgeleuchtet wird, bis ein Breitwandszenario mit Unterholz und halbtoten Baumsilhouetten in der Dämmerungstristesse sichtbar ist. Schwarzer Flitter nieselt durchs Bild, das digital animiert ins Vibrieren gerät, ins Taumeln, zum lebendigen Organismus wird, während schwarze Balken vorübergleiten und zeitlupig umfallen. Bis sich Risse im Boden auftun, in denen das vermutet Abgründige glüht. Schnell aber heilen die Risse, die Szenerie wird zum abstrakt fluiden Gefüge – und verschwindet schließlich im sich wieder verfinsternden Bildschirm. Dazu klimpert jemand maximal wenige Töne im ausgemergelten Neo-Klassik-Stil und grundiert diese Zuspielung mit sahnigen Sinuskurven-Sounds.

Das funktioniert immersiv – als ein Angebot zum Hinein- und Darinaufgehen. „Die Leichen im Keller sollen ans Licht, das Unbewusste will befreit werden“, so erklärt Kuratorin und Kunsthallenchefin Petra Stegmann. Kryptisch ist das Konzept verbunden mit Sasportas’virtuell für die Wüste Negev entworfenem Architekturprojekt „Liquid Desert“, der „Allegorie eines dreidimensionalen skulpturalen Diagramms der Psyche“.

Aber man muss davon nichts wissen und auch nicht verstehen, was die Künstlerin an die zentrale Stele des Museums geschrieben hat. Die kontemplativen Anreize funktionierten einfach so: „Sonst verlassen bei uns Besucher schon mal nach zehn Minuten eine Ausstellung mit den Worten, nichts verstanden zu haben“, so Stegmann.

Jetzt würden die meisten bis zu 45 Minuten bleiben und sich einfach einlassen auf die Kunst: Diese Bilder verlocken einfach dazu, sich hineinzuträumen, einen Fixpunkt zu suchen im naturalistisch-surreal-abstrakt tobenden Gewirr der künstlerischen Arrangements und auf den ersten Blicken Ungesehenes, Fremdes an die Oberfläche der Wahrnehmung zu beamen. Was auch Auslöser sein kann, in sich selbst hinabzublinzeln.

Etwa vor den großformatigen „Vertical Swamps“-Werken. Ausgangspunkt ist die von ihrem metaphysischen Impetus durchtränkte Landschaftsmalerei der deutschen Romantik, das ins Jenseits weisende Idyll. Visualisiert hat Sasportas das aber in der Anmutung japanischer Tuschezeichnungen.

Eine kontraststarke Farbgebung verwandelt dabei die Harmonie der Szenarien ins Apokalyptische und durchbricht das wiederum mit geometrischen, den russischen Konstruktivismus zitierenden Elementen. Schwarze Vierecke sind wie Intarsienblöcke in die Bilder eingearbeitet. Im Kontext der Sasportas-Lesart könnten es Black Boxes vergessener Daten sein. Nicht entzifferbare, nonverbale Rohmaterialien des Lebens, die auch mal als Strichcodes über ein Bild laufen.

Anmutig hingegen die Stillleben: zart übertuschte Fotos von Töpfen, Vasen und Eulen als Zeugen in der Nacht verborgenen Lebens. Dank Langzeitbelichtung wirken diese Werke geheimnisvoll geisterhaft, geradezu transparent.

„Die Leichen im Keller sollen ans Licht“

Petra Stegmann, Direktorin der Kunsthalle Wilhelmshaven und Kuratorin der Ausstellung

In Wilhelmshaven erstmals zu sehen ist die schauerromantische Serie „The Witnesses“. Bei genauerer Betrachtung erweisen sich die Umrisse und Schraffuren der Grafitzeichnungen von Waldgetier als Konglomerat oszillografischer Abbildungen von Tonaufnahmen. Sasportas hat sie in Bäumen des Schwarzwalds getätigt. Hochsensible Mikrofone installierte sie dort, für die Ameisengekrabbel schon einer akustischen Detonation gleich kommt. So vereint ist der von Menschen unhörbare Klang der Natur, auch ein unbewusster Raum, mit seinen sichtbaren Erscheinungen.

Der Ausstellung gelingt es, Arbeiten aus den letzten zehn Jahren zu einer Installation der Sasportas-Kunst zusammenzufassen, die das Collagenhafte der Werke im Großen abbildet. Selbst konnte die Künstlerin wegen Corona nicht live mitinszenieren, nur daheim in Israel an einem 3-D-Modell des Museums die Hängung vorbereiten.

Eine lokale Intervention soll es aber geben: An Tonskulpturen von Minen arbeitet Sasportas gerade und will Schriftrollen hineintöpfern mit poetischen Botschaften und auch hier wieder mit grafisch-visualisierten Geräuschen.

Vielleicht sind es die in Wilhelmshavener Bunkern gemachten Aufnahmen, denn zwei Assistentinnen hat Sasportas an den Jadebusen geschickt, um die betonierten Unorte verdrängter Geschichte zu erkunden. Die Minen-Nachbildungen will die Künstlerin, sofern sie nicht schon beim Versand vom Mossad gesprengt werden, im Museumskabinett ausgestellt sehen – und zur Vernissage dann im Banter See versenken, auf dessen Grund sich ein U-Boot-Bunker befindet.

„Yehudit Sasportas: Archäologie des Unsichtbaren“: Kunsthalle Wilhelmshaven, bis 10. 01. 21