Straftäter in der Warteschleife

Weil Verurteilte in Niedersachsen lange auf Therapieplätze warten müssen, kommt es zu weiteren Taten

Noch im Juni hatte der Staatssekretär aus dem Gesundheitsministerium gesagt, ihm sei von solchen Straftaten nichts bekannt

Von Nadine Conti

Dass der niedersächsische Maßregelvollzug aus allen Nähten platzt, ist zwar nichts Neues. Nun aber hat die Justizministerin Barbara Havliza (CDU) in der vergangenen Woche zum ersten Mal Zahlen dazu vorgelegt, was das bedeutet.

101 verurteilte Straftäter warten zur Zeit als sogenannte „Selbststeller“ in Freiheit darauf, dass ein Therapieplatz für sie frei wird. Gegen 58 von ihnen – also mehr als die Hälfte – wurden in der Zwischenzeit schon wieder neue Ermittlungsverfahren angestrengt.

Das sei ja auch nicht weiter verwunderlich, konstatiert Havliza. Immerhin handelt es sich hier zu großen Teilen um Suchtkranke, viele der Taten seien dem Bereich der Beschaffungskriminalität zu zuordnen. Die Liste wird angeführt von Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, Diebstählen, Wohnungseinbrüchen. Allerdings stehen auch Körperverletzungen und je ein Fall von sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung darauf. „Dieser Zustand stellt sich unter rechtsstaatlichen, sicherheits- und gesellschaftspolitischen Aspekten als bedenklich dar. Zudem widerspricht er den Grundsätzen eines effektiven Opferschutzes“, erklärt Havliza. Die Landesregierung sei bestrebt die Situation zu verbessern.

Bis vor einem halben Jahr war sich die Landesregierung allerdings noch nicht einmal einig, wie ernst die Situation überhaupt sei, wie Björn Försterling (FDP) in seiner Kleinen Anfrage genüsslich vorführt. Im Juni hatte nämlich noch der zuständige Staatssekretär im Gesundheits- und Sozialministerium, Heiger Scholz (SPD), gesagt, ihm sei nicht bekannt, dass es zu gravierenden Straftaten durch die wartenden Verurteilten gekommen sei.

Seine Vorgesetzte, Ministerin Carola Reimann (SPD), bemüht sich jetzt, das Justiz­ministerium zum Buhmann zu machen: Man sei einfach nicht in dem Maße informiert worden, wie man sich das gedacht habe. Die Meldewege würden jetzt überprüft.

Abhilfe wird das nicht schaffen. Aber auch die Pläne für einen weiteren Ausbau des niedersächsischen Maßregelvollzugs seien doch wohl kaum ausreichend, kritisiert Helge Limburg (Grüne). 23 zusätzliche Plätze hat die Sozialministerin für das kommende Jahr angekündigt – ohne sich auf ein Datum festlegen zu wollen.