Kommentar von Gereon Asmuth zur Räumung des Hausprojekts Liebig34
: An der Grenze zur Pornografie

In der Nacht vor der Räumung stand ein Polizist oben auf dem Dach des Hausprojekts Liebig34. Breitbeinig, mit nach oben gereckten Armen posierte er offenbar für die Kameras seiner Kollegen. Wenige Stunden später wurden Beamte dabei beobachtet, wie sie Selfies vor dem da schon geräumten Haus machten.

An die Öffentlichkeit aber gelangten ganz andere Bilder, auch diese mit tatkräftiger Hilfe der Berliner Polizei. Deren Pressesprecher geleitete eine Truppe von Journalist*innen durch das frisch geräumte Haus. Anfangs um die Barrikaden aus Holz und Beton im Treppenhaus zu zeigen, die seine Kolleg*innn aufbrechen mussten. So weit okay. Doch dann durfte die Presse auch Küchen und Schlafräume ablichten. Pikiert berichteten nicht nur Boulevardmedien von schmutzigem Geschirr, Essenresten und gammeligen Matratzen.

Ekelerregend sind die Fotos tatsächlich. Aber aus einem ganz anderen Grund. Denn hier wird ein Lebensstil ganz gezielt desavouiert. Hier wird durch die Macht der Bilder die Behauptung aufgestellt, die Liebig34 sei tatsächlich das „Drecksloch“, als das es von rechten Gruppen verunglimpft wird. Als ob irgendjemand erwartet hätte, dass die Bewohner*innen ihr Haus besenrein und am besten noch frisch tapeziert dem Gerichtsvollzieher übergeben würden. Dass das Haus vor dem monatelang angekündigten Polizeieinsatz wesentlich wohnlicher aussah, zeigen mittlerweile ältere Bilder auf Twitter.

Doch selbst wenn die Liebig34 nicht den Ansprüchen von Schöner Wohnen entsprochen und das Bad nicht keimfrei gepudert wurde. Geht das irgendjemanden etwas an? Und vor allem: Ist das ein Grund, die Menschen auf die Straße zu setzen? Nein. Nein. Und nochmals nein. Das Haus wurde nicht geräumt, weil der Spülplan in der Gemeinschaftsküche nicht eingehalten oder die Bettwäsche keinen Persilschein hatte. Es wurde geräumt, weil der Wert von Eigentum von Gesetzgebern und Richtern höher bewertet wird als das Recht auf Wohnen. Bilder aus den Wohnungen dienen allein der öffentlichen Erregung, auf dass sich die feine Gesellschaft in einem orgastischen Ah-Oh-Ih-Gestöhne ergötzen kann. Es ist an der Grenze zur Pornografie. Gefördert von der Berliner Polizei, die wissen sollte, dass selbst frisch geräumte Vielleicht-Besetzer*innen noch einen Anspruch auf Privatsphäre haben.

Diese Bilder machen blind. Sie lenken ab vom eigentlichen Skandal: Es ist in Deutschland möglich, Menschen vor die Tür zu setzen, auch nach jahrzehntelanger Nutzung eines Hauses. Und das droht vielen Mieter*innen, genauso wie den „schmutzigen Chaoten“.

inland 6, berlin