Über Crystal Meth und Konsumkultur: Mittelschichtkids und weiße Hasen

Kein Wunder, dass Crystal Meth so schnell so beliebt werden konnte: Die Droge passt zu unserer aggressiven Konsumkultur.

Ein weises Kaninchen mit einem schwarzen Fleck ums Auge

Ein White Rabbit, beinahe jedenfalls Foto: picture alliance/Andreas Arnold/dpa

Grace Slick von Jefferson Airplane sang 1969 im Song „White Rabbit“: „Eine Pille macht dich größer und eine Pille macht dich klein/ Aber diejenigen, die deine Mutter dir gibt, tun überhaupt nichts.“

Nach dem Baden im Schlachtensee, im Sommer, ging ich rüber zur Krummen Lanke. Auf der Wiese prügelten sich etwa 30 Jungs, ich schaute ihnen zu. Einer erklärte mir: „Die Scheißtürken wollten uns unser Crystal Meth abnehmen.“ Es waren auf beiden Seiten Mittelschichtkids. Tage später prügelten sie sich noch einmal, nach einem Konzert in einem Steglitzer Einkaufscenter, diesmal standen noch Mädchen drum herum und feuerten sie kreischend an, die Polizei schaute kurz zu.

Auf dem Schlachtensee-Parkplatz nahm ich einen Jungen mit, der nach Schöneberg musste. Freimütig erzählte er unterwegs, dass er der Lieferant dieser Droge sei. Er stelle sie selber her. Er prahlte. Ich wusste nicht, ob ich ihm glauben sollte.

Dann erfuhr ich von Pit, meinem Verleger in der Bayerischen Rhön, dass dort, aber auch in Sachsen, die Jungmänner überall auf Crystal Meth seien, das aus dem nahen Tschechien komme. Es sei fürchterlich, die würden alle verblöden, aber richtig. Nicht zufällig sei Crystal Meth mit dem Aufkommen der Rechten zur Massendroge des ländlichen Prekariats geworden: Es sei ein Methamphetamin, das bereits die Nazis als „das Wundermittel Pervetin“ an alle, die im „Kampf“ durchhalten sollten oder wollten, verteilt hatten.

Von einem US-Anthropologen, Jason Pine, lernte ich dann, dass auch die Jungmänner im ländlichen Missouri alle auf Crystal Meth seien. Sie würden das Zeug selber herstellen „aus pseudoephedrinhaltigen Erkältungsmedikamenten und gängigen Supermarkt- und Baumarktprodukten“. Anders als in der Rhön war das in Missouri ein großes Thema bei Journalisten und Polizisten. Zu dieser Droge gehöre „die häusliche Gewalt und die der Droge über ihre Nutzer, die Macht und Ermächtigung des Rauschs, die Sucht, alles, was Leute auf sich nehmen, um an Drogen zu gelangen oder sie herzustellen, die Explosionen und Verletzungen und anderen Spuren dieser Gewalt“.

Die Wertsachen der Mütter

Den Nutzern und zugleich Herstellern gehe es dabei um „den Traum von einem besseren Leben“, den die „Konsumkultur“ ihnen verspreche, aber vorenthalte. Mir fielen dazu Mittelschichtsmütter ein, die ich kannte, deren fast erwachsene Söhne aggressive, drogenabhängige Loser waren, allerdings waren sie nicht auf Crystal Meth, sondern nahmen wahllos alles, bis hin zu den Wertsachen ihrer Mütter. Eine taz-Autorin brachte mal ihren Freund, einen Crystal-Meth-Verdämmerten aus einer reichen Familie, mit in die taz. Er stahl sogleich eine Handtasche, wurde allerdings erwischt und flog raus.

Diese Meth-Köche sind ein „verkörperter Kapitalismus“, wie Jason Pine das Missouri-Prekariat nennt. Sie gehörten zur amerikanischen Idee vom „better living through chemistry“. Die Jungs sind Bastler, die sich „in rastloser Aktivität“ zu „Consumer-Produzenten im Zustand absoluter Unabhängigkeit“ entwickelten.

Was sie anrührten, ist laut Pine „in jeder Hinsicht explosiv, im Körper wie in der Plastikflasche“, deren aufsteigendes Gas sie rechtzeitig entweichen lassen müssen, damit sie ihnen nicht um die Ohren fliegt. Daneben bastelten sie an „Sicherheitsvorkehrungen und schützen ihr Labor mit Fallen vor Eindringlingen.“ Nicht zufällig ist das Slangwort für den Methamphetamin-Rausch „to tweak“, welches das Magazin New Yorker auch für die „rastlose Aktivität“ eines Steve Jobs verwendete, eine Art von „Zukunftserregtheit“.

Keine Befriedigung

Die von eigenen Musikgruppen begleitete „Crystal-Meth-Kultur“ in Missouri ist zwar weitaus depravierter als die im Süden Berlins, aber beide sind weit entfernt von einer „Untergrundökonomie“, wie sie zum Beispiel Sudhir Venkatesh in den Chicagoer Ghettos bei den mit der Polizei kooperierenden Heroindealer-Gangs erforschte.

„Was Meth oder ähnliche Dopamin-konzentrierte Drogen hervorrufen, hat nichts zu tun mit Befriedigung im engeren Sinne“, sagt Pine. Vielmehr gehe es „um die Antizipation der Belohnung, nicht darum, sie zu erleben“. Deswegen schwärmen alle, denen das Missgeschick passierte, alt geworden zu sein, bevor sie 30 wurden, vom körpereigenen Glückshormon Dopamin, das ausgeschüttet wird, wenn man sich auf irgendeine Art und Weise selbst belohnt, wobei sie stets an etwas hart Erarbeitetes denken.

Jason Pine fragt sich, ob die Meth-Köche „eine persönliche Souveränität oder ein Gefühl von Selbstermächtigung und Meisterschaft in ihrer Tätigkeit finden, die ihnen in regulären Jobs nicht zur Verfügung stehen würden“.

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geb. 1947, arbeitet für die taz seit 1980, Regionalrecherchen, ostdeutsche Wirtschaft, seit 1988 kulturkritischer Kolumnist auf den Berliner Lokalseiten, ab 2002 Naturkritik.

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